Dokument-Nr. 1974
Pacelli, Eugenio an Matt, Franz
München, 11. September 1923

Abschrift
Euere Exzellenz!
Der Heilige Stuhl hat nicht verfehlt, seine ganze Aufmerksamkeit auf das mir von Euerer Exzellenz mit verehrtem Schreiben vom 21. Juli gütigst übersandte, in der Folge unterm 25. Juli und 1. August vervollständigte Memorandum zu lenken, und hat mir nunmehr den ehrenvollen Auftrag erteilt, Euerer Exzellenz die Antwort auf die dort gegebenen Erklärungen mitzuteilen.
Art. III §§ 1 und 2.
Trotz der ganz besonderen Bedeutung dieses Punktes und der schwerwiegenden Gründe, welche (wie in der Note N. 27728 vom 16. Juni lf. Js. dargelegt) die Beibehaltung der vom Heiligen Stuhl vorgeschlagenen Fassung als ratsam und gerecht erwiesen, will derselbe nicht ablehnen, dass der von der bayerischen Staatsregierung vorgeschlagene Wortlaut belassen bleibe, im Vertrauen darauf, dass die Regierung den Geist des äussersten Entgegenkommens, der den Heiligen Stuhl in den gegenwärtigen Verhandlungen unablässig beseelt, gebührend schätzen und erwidern werde.
Art. X.
Es wäre dem Heiligen Stuhl nicht schwer, auf die Ausführungen des Regierungs-Memorandums zu erwidern. Um aber die Diskussion betreff dieses Punktes nicht noch mehr hinauszuziehen, beschränkt sich der Heilige Stuhl darauf zu erklären, dass Er sich weder in iure noch in facto den erwähnten Aus-
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führungen anschliessen kann, und deshalb seinen Standpunkt aufrecht hält, gleichwohl sieht Er – mit Rücksicht auf die gegenwärtige finanzielle Lage und vom lebhaften Verlangen beseelt, endlich zur ersehnten Einigung zu gelangen – davon ab, zur Zeit weiter zu drängen. Er will indes durch dieses Entgegenkommen nicht für die Zukunft die Rechte der Kirche, besonders in Bezug auf das was die Seelsorgegeistlichen anlangt, preisgeben, und macht deshalb entsprechenden Vorbehalt.
Art. X § 1 h)
Der Heilige Stuhl besteht nicht auf der Weglassung des Zusatzes "nun c existentibus".
Was die Errichtung des Speyerer Seminars betrifft, so lässt sich der Heilige Stuhl herbei, die diesbezüglichen Verhandlungen auf gelegenere Zeit zu verschieben; Er hält aber auch hier grundsätzlich seinen Standpunkt (wie in der oben erwähnten Note N. 27728) aufrecht, der sich auf ein unbestreitbares Recht gruendet.
Art. X § 2.
Da dieser Paragraph die Errichtung von neuen Pfarreien oder die Erhebung von bereits existierenden Seelsorgestellen zu Pfarreien vorsehen will, hat der Heilige Stuhl vermerkt, dass der im Gegenentwurf der Regierung vorgeschlagene Ausdruck officia ecclesiastica libere erigi possunt seu immutari possunt nicht klar ist, weil eine Pfarrei nicht eigentlich officium genannt werden kann, weshalb Er den Zusatz vorgeschlagen hat "et instituta".
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Art. XIII § 1 b)
Der Heilige Stuhl hat mit der grössten Aufmerksamkeit erwogen, was im Memorandum und in der folgenden Note vom 25. Juli vorgebracht wird, und hat mit Genugtuung daraus entnommen, dass sich in dieser ausserordentlich wichtigen Materie der Weg zur Verständigung eröffnet. Doch erschien dem Heiligen Vater die Erklärung nicht als genügend, die letzhin darauf hinausgeht, dass die Priesterkandidaten, wie es schon bisher in einzelnen Fällen geschah, zur Ablegung der Reifeprüfung gleichgestellten Benediktiner-Gymnasien zugewiesen werden können, wenn das Ministerium es so bestimmt. Seine Heiligkeit wünscht deshalb, 1) dass der Text des fraglichen Absatzes b) klarer gefasst werde und unzweideutig ersehen lasse, dass zwar das Reifezeugnis erfordert sei, nicht aber der Besuch des Unterrichtes an der Anstalt, und dass ausserdem das Reifezeugnis nicht notwendig an einem Staatsgymnasium erworben werden müsse, sondern an einer gleichgestellten Anstalt erlangt werden könne; 2) dass dem selben Absatz b) ausdrücklich ein Passus angefügt werde, etwa wie folgt: "Die von den bischöflichen Ordinariaten (offiziell) präsentierten Zöglinge werden das Recht haben, zur Reifeprüfung an irgend einer klösterlichen gleichgestellten Anstalt (nach Wahl der Regierungsschulbehörden) zugelassen zu werden". Wenn man bedenkt, wie weit in der Einleitung des gegenwärtigen Artikels XIII der Kreis der Geistlichen gezogen ist, welche des Reifezeugnisses bedürfen, so wird jedermann die gerechten Forderungen des Heiligen Stuhles verstehen, die eine Sicherheit verlangen, dass eine so weitgehende Vorschrift nicht zum
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Schaden der kirchlichen Heranbildung der Priesterkandidaten gereiche.
Art. XIII § 1 c)
Der Heilige Stuhl wünscht, dass in dem Text des Konkordates das eingeführt werde, was im Memorandum über die bischöflichen Hochschulen Deutschlands erklärt wird.
Art. XIV § 1.
Der Heilige Stuhl nimmt zu Akt, dass die bayerische Regierung den von Ihm vorgelegten Text annimmt, insofern er sowohl den Grundsatz feststellt, dass die Ernennung der Erzbischöfe und Bischöfe dem Heiligen Stuhl zusteht, als auch bestimmt, wie der Heilige Stuhl in offiziöser Weise vor der Veröffentlichung der Bulle sich vergewissern wird, ob gegen den Kandidaten etwa Bedenken politischer Art bestehen.
Trotzdem kann der Heilige Stuhl den neuen Vorschlag der Regierung nicht annehmen, wonach das Kapitel bei Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles eine Vorschlagsliste mit den Namen von mindestens zwei Kandidaten dem Heiligen Stuhl übereicht, der dann einen der Vorgeschlagenen ernennt. Ein solcher Vorschlag unterscheidet sich nur in der Form von jenem der Wahl der Bischöfe durch die Kapitel, der als unannehmbar erklärt worden ist. Zudem würde er bei der Kandidatenwahl das Votum der bayerischen Bischöfe durchaus ausschliessen, von welchen doch anzunehmen ist, dass sie einen weiteren Blick für die religiösen Bedürfnisse Bayerns haben als die Mitglieder eines Domkapitels. Andererseits würde der Vorschlag die Aufgabe des Apostolischen Stuhles faktisch fast auf nichts reduzieren, obwohl gleichzeitig anerkannt wird, dass die Ernennung der Erz-
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bischöfe und Bischöfe Ihm zustehe. Es hat dem Heiligen Vater zu nicht geringem Schmerz gereicht zu ersehen, dass die Regierung eines überwiegend katholischen Landes sosehr darauf besteht, bei der Bischofswahl den Heiligen Stuhl auszuschalten, als hätte derselbe nicht stets Bayern gegenüber die angelegentlichste Sorge gezeigt und als hätten sich die von Rom ausgewählten Bischöfe nicht wohl verdient gemacht um die Religion und um ihr Vaterland.
Wollte schliesslich der Heilige Stuhl jetzt Bayern gegenüber in einer für die Kirche so vital-bedeutungsvollen Sache nachgeben, so blieben ihm keine genügenden Argumente übrig, um dasselbe Privileg allen andern katholischen Ländern zu verweigern; das würde, abgesehen von leicht vorauszusehenden Verwirrungen, ohne Zweifel eine beträchtliche Lockerung der Bande bewirken, welche alle Kirchen mit dem Stuhle Petri verknüpfen.
Aus diesen Erwägungen heraus und aus vielen anderen Gründen, die der Kürze halber übergangen werden, hat sich Seine Heiligkeit nach reiflicher Ueberlegung und langem Gebet entschlossen, dabei zu verharren, was ich Euerer Exzellenz in meiner Note N. 27488 vom 26. Mai lf. Js. mitzuteilen die Ehre hatte, indem Er den bayerischen Kapiteln zugesteht, alle drei Jahre direkt dem Heiligen Stuhl ihre Kandidatenliste vorzulegen; die freie Auswahl aus diesen sowie aus den von den hochwürdigsten bayerischen Bischöfen eingereichten Listen behält sich der Heilige Stuhl vor. Damit aber trotzdem die bayerische Regierung nicht meine, der Heilige Vater habe ihren Wunsch unbeachtet gelassen und ein Entgegenkommen, soweit möglich, nicht in
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Erwägung gezogen, hat Er – mit Seinem Zugeständnis bis zur äussersten Grenze gehend, welche Ihm Sein Gewissen gestattet – beizufügen geruht, dass bei Erledigung eines Bischof s stuhles ausschliesslich das interessierte Kapitel – auch wenn es erst vor kurzem gleich den übrigen bayerischen Kapiteln die erwähnte Triennalliste eingesandt hat – in durch eigene Satzung festzulegender Frist und Weise zusammenberufen werde, um neuerdings eine Liste von für das bischöfliche Amt würdigen und geeigneten Kandidaten aufzustellen und an den Heiligen Stuhl einzureichen. Dieser wird sowohl diese Liste als die früher vorgelegten Triennallisten der verschiedenen Kapitel und Bischöfe im Auge behalten, sich aber seine volle Freiheit wahren.
Da Vorstehendes das Aeusserste ist, was der Heilige Stuhl zugestehen kann, so wäre alles weitere Drängen in Bezug auf diesen Gegenstand zwecklos und es würde darum eine ablehnende Haltung der bayerischen Staatsregierung in diesem Punkt die Konkordatsverhandlungen definitiv zum Scheitern bringen, zu deren Erleichterung der Heilige Stuhl in allen übrigen Punkten so grosses Entgegenkommen gezeigt hat. Der Heilige Stuhl kann jedoch nicht umhin zu bemerken, dass, wenn die Regierung die gerechten Erwaegungen Seiner Heiligkeit nicht annaehme, die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen auf sie fallen würde; denn man wird nicht verstehen können, wie der bayerische Staat sich nicht genügend gesichert halten kann durch die vorgeschlagenen Bestimmungen, nach denen die Kandidaten für das Bischofsamt die deutsche Staatsangehörigkeit haben müssen, ihr Reifezeugnis an
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einem vom bayerischen Staat anerkannten Gymnasium erlangen müssen, eine deutsche wissenschaftliche Ausbildung haben müssen, nach denen überdies die Listen der Bischofskandidaten von den bayerischen Domkapiteln und den bayerischen Bischöfen zusammengestellt sein müssen, und schliesslich der Heilige Stuhl vor Veröffentlichung der Bulle sich versichern muss, dass die Regierung kein Bedenken politischer Art gegen die ausersehene Person erhebt.
Art. XIV § 2.
Um einen weiteren Beweis seines Entgegenkommens zu geben, nimmt der Heilige Stuhl mit Bezug auf die Besetzung der Kanonikate den Text des Regierungsentwurfes an. Auf diese Weise würden sich die Domkapitel des ganz besonderen Privilegs erfreuen, für eine Hälfte der Kanonikate zu wählen, während im Konkordat von 1817 solches nur für ein Viertel galt. Doch kann der Heilige Stuhl zur Unterdrückung des Zusatzes salva confirmatione, der von der bayerischen Regierung selbst in der von ihr vorgelegten offiziellen  Uebersetzung vorgeschlagen war, seine Zustimmung nicht geben. Wenn man sich übrigens den can. 177 § 2 vor Augen hält, so erscheint klar, so erscheint klar, dass der von der Regierung im Memorandum zum Ausdruck gebrachte Grund durch diese Unterdrückung "den Domkapiteln die freie Wahl zu sichern", nicht auf den Fall angewendet werden kann.
Art. XIV § 3.
Der Heilige Stuhl nimmt die Aenderung der Wortes Besoldungen in Bezüge zu Akt, sowie auch die Regierungserklärung, die von Bestimmungen dieses Artikels die Pfarrvikare aus-
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schliesst (auf die sich can. 458 bezieht), ebenso die ganze uebrige Pfarrgeistlichkeit, soweit es sich nicht um Pfarrer im strengen Sinne handelt; Er wuenscht, dass dies im Text des Artikels selbst zum Ausdruck komme. – Was die Besetzung der Pfarreien anlangt, so gibt der Heilige Stuhl weder dem österreichischen noch dem bayerischen System irgendwelchen Vorzug und ist geneigt, in dieser Materie Zugeständnisse zu machen, soweit sie begruendet sind; Er wuenscht aber, um moegliche Streitpunkte zu vermeiden, dass die Forderungen der Regierung bestimmt gefasst werden unter Vermeidung von zu allgemeinen Formeln (z. B. occasionem praebebit und forma usitata), auf dass klar ersichtlich sei, was die Regierung verlangt und was der Heilige Stuhl zugesteht.
In Erwartung einer baldigen gefaelligen Antwort habe ich die Ehre mit dem Ausdruck stets vorzueglichster Wertschätzung zu verharren als
Euerer Exzellenz
ergebenster
(gez.) + Eugen Pacelli
Erzbischof von Sardes
Apostolischer Nuntius.
Empfohlene Zitierweise
Pacelli, Eugenio an Matt, Franz vom 11. September 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 1974, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/1974. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 24.10.2013, letzte Änderung am 20.01.2020.