Dokument-Nr. 10316

[Matt, Franz]: Beilage zum Schreiben vom… an Seine Exzellenz den Herrn Apostolischen Nuntius, vor dem 05. April 1922

Ziff. XII und XIII.
Ziff. XII.
"Der bayerische Staat wird seinen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegen die katholische Kirche auch fernerhin nachkommen. Als solche Rechtstitel werden unter anderem das Herkommen, das Konkordat vom Jahre 1817 und die selbst vom Reichsdeputationshauptschluss anerkannten vermögensrechtlichen Verpflichtungen ausdrücklich erklärt. Bei der Ablösung dieser Leistungen wird der bayerische Staat dem veränderten Geldwerte und den tatsächlichen Bedürfnissen Rechnung tragen und insbesondere auch die sog. fakultativen und widerruflichen Staatsbeträge einziehen. Üb erdies werden auch jene konkordatsmäßigen Verpflichtungen berücksichtigt, die der Staat bisher nicht oder nur ungenügend erfüllt hat.
Die Ablösung muss in einer Form geschehen, die eine baldige Entwertung ausschließt.
Privatrechtliche Verpflichtungen bleiben aufrecht erhalten und werden nicht abgelöst. "
Ziff. XIII.
"Die staatlichen Gebäude und Grundstücke, die z. Zt. unmittelbar oder mittelbar kirchlichen Zwecken dienen, werden der Kirche kostenlos zur dauernden und uneingeschränkten Benützung überlassen. Der Staat wird der ihm obliegenden Baupflicht im bisherigen Umfang auch fernerhin nachkommen und im Bedarfsfall auch für notwendige Neubauten aufkommen."
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Im ersten Teile der Ziff. XII ist gesprochen von den vermögensrechtlichen Verpflichtungen des Staates Bayern gegenüber der katholischen Kirche in Bayern. Der zweite Teil der Ziff. XII und auch die Ziff. XIII behandeln Ablösungsfragen, die Ziff. XIII insbesondere die Bestimmung staatlicher, bisher für Kultuszwecke benützter Bauten und die baulichen Leistungen des Staates hieran einschließlich der Neubaufrage.
Art. 138 Abs. I der Reichsverfassung bestimmt:
"Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf".
Art. 173 a.a.O. lautet:
"Bis zum Erlass eines Reichsgesetzes gemäß Art. 138 bleiben die bisherigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen."
§ 18 Abs. IV der bayerischen Verfassung besagt in wesentlicher Übereinstimmung mit dem Inhalt dieser beiden Bestimmungen der Reichsverfassung:
"Bis zur Ablösung der Staatsleistungen gemäß Art. 138 der Verfassung des Deutschen Reiches bleiben die auf Gesetz, Vertrag oder besonderem Rechtstitel beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften aufrechterhalten".
§ 18 Abs. V. a.a.O. fügt noch folgende weitere Sicherung an:
"Bis zu dem gleichen Zeitpunkte dürfen Gebäude und Grundstücke des Staates, die derzeit irgend welchen Kultuszwecken dienen, diesen gegen den Willen der Beteiligten nicht entzogen werden."
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Aus diesen Verfassungsbestimmungen des Reiches und Bayerns ergibt sich eine hinreichende Sicherstellung der einschlägigen Pflichtleistungen des Staates Bayern, soweit sie "auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln" beruhen. Bei den Verhandlungen über das Konkordat von 1817 wurden generelle vertragsmäßige Sicherstellungen staatlicher Verpflichtungen nicht verlangt und demgemäß im Konkordate nur die einzelnen bestimmten Verpflichtungen des Staates aufgeführt. Die nun angesonnene Bindung hätte einen generellen Inhalt, würde mithin, zumal bei der vorgeschlagenen Wendung "Als solche Rechtstitel werden unter anderen ... ausdrücklich erklärt..." dem bayer. Staate viel weitergehende vertragsmäßige Verpflichtungen auferlegen. Überdies würde durch Satz 2 des Vorschlages unter Ziff. XII für die Begriffe "Gesetz, Vertrag oder besondere Rechtstitel" bei den Staatsleistungen an die Kirche eine authentische Auslegung festgelegt werden, während gerade diese Begriffe nach Art. 138 der Reichsverfassung noch eine vorgängige authentische Interpretation durch ein Reichsgesetz finden sollen.
Es erscheint daher sehr fraglich, ob eine so allgemeine Fassung wie vorgeschlagen im Landtage Aussicht auf Annahme hätte.
Was die einzelnen in Ziff. XII Abs. 1 Satz 2 der Vorschläge besonders aufgeführten Rechtstitel betrifft, so möchte ich nicht unterlassen darauf hinzuweisen, daß bei Beratung der Reichsverfassung die Aufnahme des Wortes "Herkommen" nach dem Worte "Vertrag" in den Art. 138 Abs. I der RV. abgelehnt wurde (stenogr. Ber. der verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung in Weimar 1919 S. 1664 A, 2160 D mit 1654 D und 2160 B). Der Begriff "Herkommen" ist viel-
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deutig; seine Aufführung als Rechtstitel würde im Vollzuge des Vertrages sicher des öftern zu Zweifeln und Weiterungen Veranlassung geben. Der Reichsdeputationshauptschluss ist nach Auffassung Bayerns und weiterer daran beteiligten Staaten an sich nur ein zwischenstaatlicher Akt; seine Bestimmungen binden daher den einzelnen Vertrags-Staat erst und nur nach Maßgabe der dazu etwa ergangenen innerstaatlichen Gesetzgebungs- oder sonstigen Vollzugsakte. Mangels ihrer sind subjektive Rechtsansprüche der beteiligten kirchlichen Rechtssubjekte gegenüber dem Staate Bayern aus diesem Vertragsinstrumente nicht erwachsen. Eine nunmehrige Aufnahme des Reichsdeputationshauptschlusses als Rechtstitel in das Konkordat würde bei den zahlreichen Unklarheiten dieses um mehr als 100 Jahre zurückliegenden Friedensvertrages wie in der Vergangenheit so in der Zukunft eine Quelle immer neuer Zweifel bilden, die einem glatten Vollzuge des abzuschließenden Konkordates viele Schwierigkeiten bereiten würde. Es wäre auch kaum zweckmäßig in einem neuen Konkordate das bisherige Konkordat als Rechtstitel anzuziehen statt einer zweifelsfreien Neufassung einschlägiger Punkte. Vielmehr dürfte sich empfehlen, die seitherigen konkordatsmäßigen Leistungen mit ihrem neu zu vereinbarenden Inhalt im neuen Konkordat ausdrücklich und gesondert aufzuführen.
Sonach möchte ich es für zweckmäßiger halten anstatt der vorgeschlagenen allgemeinen Zusammenfassung die dem Staate zukommenden einzelnen Arten von Leistungen genau zu bezeichnen, wodurch sich die Sache wohl klarer und der Vollzug einfacher gestalten würde.
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Die Frage, ob auch die seitherigen "sog. Fakultativen und widerruflichen Staatsbeiträge" künftighin als Pflichtleistungen des Staates anzuerkennen wären, wie in Ziff. XII Satz 2 der Vorschläge verlangt wird, berührt in erster Linie das Ausgabenbewilligungsrecht des Landtags. Zu jenen Staatsbeiträgen zählen insbesondere auch die Ergänzungen des Einkommens der Seelsorgegeistlichen. Die Freiwilligkeit und Widerruflichkeit dieser Staatsleistungen wurde von jeher nachdrücklich betont; in jüngster Zeit wurde die Erhöhung dieser Leistungen auch nur mit dem Vorbehalt bewilligt, das dadurch ihre bisherige rechtliche Natur nicht verändert werde (vergl. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1921 S. 455 Art. 10).
Es ist mithin höchst fraglich, ob sich im Landtag eine ausreichende Mehrheit dafür finden wird, dass diese Leistungen in der Folge als Pflichtleistungen anerkannt werden sollen, zumal es sich hier um sehr hohe Summen handelt und dann auch die den protestantischen Geistlichen gewährten Einkommensergänzungen nach Lage der Sache ebenso behandelt werden müssen. Die Aufnahme dieser Forderung könnte daher möglicherweise das ganze Konkordat gefährden. Ich glaube hierauf besonders hinweisen zu müssen. Sollte der Heilige Stuhl dennoch glauben diese Frage in die Konkordatsverhandlungen einbeziehen zu müssen, so müsste ich der Staatsregierung zunächst vorbehalten, vor ihrer eigenen Stellungnahme zu dieser Frage mit den Parteiführern des Landtags über die Aussichten jener Vertragsbestimmung zu verhandeln. Dabei wäre es vielleicht nicht unwesentlich ihnen sogleich Aufschluss darüber geben zu können,
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wie sich der Hl. Stuhl zu den vom bayerischen Staate selbst für die Aufnahme ins Konkordat vorzubringenden Wünschen stellen wird.
Das oben bezüglich der Auslegung der Begriffe "Gesetz, Vertrag oder besonderer Rechtstitel" erhobene Zuständigkeitsbedenken, das u.a. auch von dem angesehenen Staatsrechtslehrer Anschütz in seiner Handausgabe der Reichsverfassung (Art. 173 Anm.) hervorgehoben wird, kann auch hinsichtlich der Einbeziehung der Ablösungsfragen in das Konkordat vor Feststellung der Grundsätze für die Ablösung nach Art. 138 der Reichsverfassung nicht wohl außer Acht gelassen werden und würde voraussichtlich von der Reichsregierung geltend gemacht werden, nachdem die Aufstellung der fraglichen Grundsätze vom Reiche bereits eingeleitet ist.
Übrigens scheinen mir auch Zweckmäßigkeitserwägungen gegen die Einbeziehung der Ablösungsfragen in das vor dem Landtage zu vertretende neue Konkordat zu sprechen. Denn im Landtage würde sicher darauf hingewiesen werden, dass kein zwingender Grund dafür zu ersehen sei, sich vor Erlassung der reichsrechtlichen Ablösungsgrundsätze schon nach bestimmten Richtungen zu binden und dabei weitergehende Verpflichtungen einzugehen als sie seinerzeit vom
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Reiche selbst umschrieben und in den übrigen Ländern übernommen werden und dies alles unter Verhältnissen, die auf unabsehbare Zeit einer Verwirklichung der Ablösung entgegenstehen. Wenn es einmal zur Ablösung staatlicher Leistungen kommen sollte, so werden die Verhandlungen mangels eines Gesamtberechtigten auf kirchlicher Seite nicht im Ganzen, sondern bezüglich jeder einzelnen Leistung mit dem berechtigten kirchlichen Vertretungsorgane zu führen sein. Da die Gründe der staatlichen Leistungspflicht sehr mannigfaltige sind, werden die Ablösungsverhandlungen in zahlreiche Einzelverhandlungen zerfallen. Diese würden erschwert werden oder stark zum Nachteil des ablösungspflichtigen Staates ausschlagen, wenn eine allgemeine weit auslegbare Bindung des Staates im Konkordate vorläge. Auch diese Erwägungen würden zweifellos im Landtage angestellt werden und das Zustandekommen eines Konkordates gefährden.
Ich glaube daher, dass es zweckmäßig wäre, die Ablösungsfragen nicht in das Konkordat einzubeziehen oder höchstens in einem allgemeinen Satze darauf hinzuweisen, etwa so, daß im Falle der Ablösung kirchlicher Vermögensrechte die kirchlichen Interessen durch entsprechende Ausgleichsleistungen gewahrt werden.
Mithin dürften aus den gegenwärtigen Verhandlungen die die Ablösung betreffenden Punkte nicht nur der Ziff. XII, sondern auch der Ziff. XIII ausscheiden, da auch die letzteren zum Komplexe des Ablösungsrechtes gehören.
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Nur zur Beleuchtung des Inhalts dieser Ziff. XIII möchte auf einiges verwiesen werden, was auch ohne die erwähnten Zuständigkeits-Bedenken nach Erörterungen fordern würde. Auch soweit der Staat bisher ein Bauwerk oder Bauwerksteile unterhalten hat, kann nicht ohne weiteres von einer "staatlichen Baupflicht" gesprochen werden. Die Fälle einer Baupflicht des Staates an einem Bauwerke im juristischen Sinne, dann einer bloßen staatlichen Fürsorge für ein Baudenkmal im Sinne des Art. 150 RV. Und endlich der in seinem freien Ermessen liegenden Unterhaltung oder Nichtunterhaltung eines staatseigenen Gebäudes (ohne Bauunterhaltungspflicht gegenüber einem Dritten) eignen sich von vorneherein nicht zu einer einheitlichen Behandlung in Bezug auf die Ablösungsfrage. Auch mangelt für die Forderung der Umwandlung bisher beschränkter Benutzung in unbeschränkten Gebrauch unter entsprechender Steigerung der staatlichen Baulasten die rechtliche Unterlage. Endlich läßt die Fassung Zweifeln darüber Raum, ob die an sich schon Bedenken erregende Forderung der vertragsmäßigen Anerkennung einer staatlichen Baupflicht für notwendige (nicht etwa bloß Kirchen –, vielmehr) kirchliche Neubauten sich auf die Fälle beschränkt, in denen der Staat schon bisher an der Bauunterhaltung sich irgendwie beteiligte oder etwa gar alle "notwendigen kirchlichen" Neubauten begreift.
Die kirchlichen Belange dürften hier genügend geschützt sein, wenn im neuen Konkordat eine Anerkennung oder Feststellung, wie eingangs der Ausführungen zu Ziff. XII und XIII oder im drittvorhergehenden Absatz erwähnt, Aufnahme fände.
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Ziff. XV.
"Die Kirche hat das Recht Steuern zu erheben. Der Staat wird diese Steuern mit den staatlichen gegen eine mäßige Vergütung einheben ".
Wenn in Satz 1 der Ziff. XV des von der katholischen Kirche selbst in Anspruch genommene Recht der Laienbesteuerung verstanden ist, so bleibt es der Kirche unbenommen, ihr Laienbesteuerungsrecht nach Maßgabe des Codex jur. can. mit den ihr selbst zu Gebote stehenden kirchlichen Mitteln zur Geltung zu bringen. Staatliche Hilfe zur Betreibung dieser Abgaben gleich den staatlichen käme jedoch nicht in Frage. Wenn jedoch die Erhebung staatlich zu gelassener Kirchensteuern gemeint ist, so ist dieses Recht den Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind oder welche die Rechtsstellung solcher Körperschaften besitzen, in Art. 137 Abs. 6 der Reichsverfassung und in Art. 18 Abs. 3 der bayerischen Verfassung gewährleistet. Bayern hat bereits unterm 27. Juli 1921 über die Erhebung solcher Kirchensteuern ein für alle Bekenntnisse gültiges religionsgesellschaftliches Steuergesetz erlassen, nachdem den kirchlichen Oberbehörden Gelegenheit zur Geltendmachung von Erinnerungen gegenüber dem Entwurfe gegeben war. Die Erhaltung dieser staatlichen Steuerbefugnis kann der katholischen Kirche unbedenklich vertragsmäßig zugesichert werden.
Dagegen erscheint eine Zusicherung im Sinne und Umfange des Satzes 2 der Ziff. XV nicht angängig.
Seit Erlaß der Reichsverfassung ist das Recht zur Erhebung direkter Steuern, insbesondere der Ein-
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kommensteuer, von den Ländern auf das Reich übergegangen. Nur die Realsteuern sind den Ländern verblieben. Bayern hat hierauf die Besorgung seiner Realsteuern den Reichssteuerbehörden überlassen. Ob es im Hinblick auf die Interessen des bayerischen Staatsvermögens und die Verwaltung seine Ertragssteuern etwa wieder auf die Bildung eigener Finanzbehörden zurückkommt, ist z. Zt. noch eine offene Frage. Auch wenn dies der Fall sein wird, sind seine Behörden mit der Veranlagung der Reichssteuern nicht befaßt. Sie könnten daher auch nicht für die Einhebung der kirchlichen Zuschläge zu diesen Reichssteuern in Frage kommen, höchstens für die Einhebung der kirchlichen Zuschläge zu den Landessteuern.
Das Reich hat übrigens in § 19 der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 RGBI. S. 1993 vorgesehen, daß die Kirchensteuern auf Antrag der kirchlichen Behörden vertragsmäßig von den Reichssteuerbehörden zur Verwaltung übernommen werden müssen. Ob das Reich diese Verwaltung auf das ganze Umlagengeschäft oder nur auf gewisse Teile erstreckt, ob die Tätigkeit seiner Behörden unentgeltlich oder entgeltlich und gegen welche Entschädigung übernommen wird, diese sämtlichen Fragen bilden Angelegenheiten des Reiches. Im Vertrage zwischen Bayern und der Kurie kann schon eine Regelung hierüber nicht getroffen werden. Soweit eine Inanspruchnahme bayer. Behörden etwa in Frage kommen sollte, darf eine Stellungnahme Bayerns erwartet werden, die hinter der des Reiches nicht zurückbleibt.
Empfohlene Zitierweise
[Matt, Franz], Beilage zum Schreiben vom… an Seine Exzellenz den Herrn Apostolischen Nuntius vom vor dem 05. April 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 10316, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/10316. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 31.07.2013.