Dokument-Nr. 10318
Krausneck, Wilhelm an Matt, Franz
München, 28. Februar 1922

Zur Note vom 9. Januar 1922 Nr. 1215
[Abschrift]
Vertraulich!
Uebermittelt sind mir, – als wesentlich meine Ressort betreffend, jedoch ohne Mitteilung über die jenseitige Stellungnahme zu den übrigen Fragen, – die Punktationen Ziff. XII, XIII und XV. Da jeder Vertrag nach Form und Inhalt mehr oder minder ein unzerreissbares, durch die Wechselwirkung all seiner Einzelheiten bedingtes Ganzes bildet, kann eine endgültige Aeusserung meinerseits nur vorbehaltlich der seinerzeitigen Würdigung im Rahmen der gesamten Konkordatsverhandlungen erfolgen.
1. Punktationen Ziff. XII und XIII.
Vorgesehen wird zunächst zu Gunsten bestimmter kirchlicher Rechtssubjekte, darüber hinaus im allgemeinen kirchlichen Interesse eine Bindung Bayerns, die einmal die Anerkennung des Bestandes gewisser Rechtstitel sowie deren Erläuterung und Erweiterung, sodann die Festlegung von Ablösungsgrundsätzen betrifft.
Damit wird ein Gebiet betreten, auf dem teilweise bereits das Reich (RV. Art. 10 Ziff. 1 Art. 138, 153, 173) andererseits die bayerische Verfassung
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(VU. § 17 Abs. IV, 18 Abs. II, IV und V) Grundsätze aufgestellt haben. Es scheint zweifelhaft, wie weit sich die Punktationen diesen Grundsätzen einfügen. Aufgerollt wird damit ferner (insbesondere durch die beispielweise Bezeichnung verschiedener Rechtstitel ) eine Materie, die rechtlich ebenso umfassend wie schwierig ist, die seit hundert Jahren in Literatur und Rechtsprechung keine durchwegs einheitliche Beurteilung erfuhr und durch die neueste staatsrechtliche Entwicklung noch komplizierter geworden ist. Hierzu kommt, dass sich ihre Auswirkungen mit Rücksicht auf die verschiedene Gestaltung der Einzelfälle schwer auf eine einheitliche Formel bringen lassen und dass es sich dabei um ein Gebiet handelt, das die Vermögensinteressensphäre der katholischen Kirche nicht allein berührt. So sachkundig auch die Punktationen diese Materie (teilweise allerdings im Widerspruche zur derzeit herrschenden Theorie und Rechtsprechung sowie zur tatsächlichen Handhabung) neu zu regeln versuchen, befürchte ich doch hieraus für den Vollzug zahlreiche Streitigkeiten, unerquickliche verwaltungstechnische Schwierigkeiten, ferner möglicherweise selbst die teilweise Herabdrückung des neuen Konkordats auf das Niveau eines privatrechtlichen Vertrags zu Gunsten Dritter mit allen hieraus entspringenden Folgen. Durch die Hereinziehung des Goldwertes und des Bedarfs, die im Zusammenhalte der verschiedenen Punktationssätze wohl auch auf den Rechtsinhalt des jeweiligen Titels selbst zurückwirken soll, würde die Kirche in die gesamte politische, allgemein-wirtschaftliche und staatsfinanzielle Entwicklung hierin verflochten, was mir um deswillen bedenklich erschiene, weil diese Entwicklung gänzlich unübersichtlich selbst für die nächste Zeit, abhängig von Faktoren ausserhalb der bayerischen Einflusssphäre ist und endgültig, auch nur in der Vorausbestimmung ihrer Rückwirkung auf bestimmt umrissene Rechtsverhältnisse, weder durch Vertrag noch durch Gesetz festgelegt werden kann. Darin
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pflichte ich dem Gedanken der Punktation in Ziff. XII bei, dass im Falle einer Ablösung ein voller Ersatz nach Massgabe des Inhaltes und Umfanges des einzelnen Rechtsanspruches geleistet werden muss. Ich bin aber der Ansicht, dass unter den heutigen völlig unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen eine allgemeine Ablösung der Leistungen des Staates so gut wie ausgeschlossen ist. Einfacher liegen die Verhältnisse, soweit es sich um seitherige Staatsleistungen aus dem Konkordate von 1817 handelt (vgl. insbesondere Art. IV.). Was in dieser Beziehung auch nach dem neuen Konkordate fortgeleistet werden und in welchem Umfange die Fortleistung (unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses der Verhandlungen) geschehen soll, wäre im Interesse der Vertragsklarheit ausdrücklich in das neue Uebereinkommen aufzunehmen. Dass Bayern hierbei mehr oder minder verschleiert eine gewisse seitherige Vertragsbrüchigkeit der Kurie gegenüber anzuerkennen hätte, würde damit von selber ausscheiden.
2. Punktation Ziff. XV. Das Besteuerungsrecht ist der Kirche verfassungsmässig gewährleistet (RV. Art. 137 Abs. 6, Bay. VU. § 18 Abs. III), die Einhebung und Verwaltung der Staatssteuern selbst verreichlicht. Bayern hat für die Steuererhebung zurzeit keine Organe mehr. Nach der Reichsabgabeordnung vom 13.XII.1919 (§ 19) hat der Reichsminister der Finanzen auf Antrag der kirchlichen Stellen den Reichssteuerbehörden die Verwaltung der Kirchensteuern zu übertragen.
3. Es ist verständlich, dass die Kirche unter den heutigen Verhältnissen anders wie vor hundert Jahren die bezüglichen Vertragspunkte bei den neuen Verhandlungen geregelt wissen möchte. Bei der Aufnahme dieser Materie in das neue Konkordat könnte es sich aber, – abgesehen von den Staatsleistungen, die ihren dermaligen Rechtstitel im alten Konkordate (vgl. insbesondere Art. IV.) haben, – m. E. unter Vermeidung von Ein-
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zelheiten im wesentlichen nur um die Aufstellung lapidarer Programmsätze handeln. Diese Sätze müssen scharf genug sein, um der Kirche für die Zukunft Garantien zu bieten, anderseits hinreichend elastisch, um den Wechsel der Zeitläufe und all die Unruhe der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zu überdauern. In Anbindung an die Grundsätze der Reichs- und Landesverfassung und im Einklange mit diesen Verfassungen, ferner im Rahmen der Bayern verbliebenen Kompetenzen möchte ich für meine Person und unter dem eingangs erwähnten Vorbehalte unverbindlich folgende Fassung zur Erörterung stellen: "Die Kirche hat das Besteuerungsrecht. Ihr Eigentum und ihre sonstigen Vermögensrechte sind gewährleistet. Im Falle einer Ablösung kirchlicher Vermögensrechte werden die kirchlichen Interessen durch entsprechende und allgemeine Ausgleichsleistungen gewahrt." Seitherige konkordatsmässige Staatsleistungen wären mit ihrem etwa neuvereinbarten Inhalte im neuen Konkordate ausdrücklich und gesondert aufzunehmen.
gez. Dr. Krauseneck.
Empfohlene Zitierweise
Krausneck, Wilhelm an Matt, Franz vom 28. Februar 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 10318, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/10318. Letzter Zugriff am: 17.04.2024.
Online seit 31.07.2013.