Dokument-Nr. 12745
Kleinberg, Antonia an Pius XI.
Mülheim an der Ruhr, 06. Dezember 1922

Eure Heiligkeit,
Verehrter, hochwürdiger heiliger Vater!
Unsere katholische Zeitung erzählt von Ihrer grossherzigen Spende für die Görres-Gesellschaft. Wohl weiss ich wie segensreich für die Allgemeinheit und Wissenschaft die Tätigkeit der Görres-Gesellschaft ist und wie notwendig in dieser entsetzlichen Zeit für sie das Geld ist. Auch weiss ich, dass der Einzelmensch der Allgemeinheit gegenüber und ihrer Not keine Rechte mehr hat und doch komme ich mit einer großen Bitte zu Ihnen, verehrter, heiliger Vater. Ich weiss auch wie ungewöhnlich dieser Weg ist und bitte mich nicht dafür zu verurteilen. Lieber, heiliger Vater, weil die Not und Sorge der Menschen größer ist als meine Kraft, und diese Menschen mir unendlich lieb sind, gehe ich diesen Weg. Nicht um ein eigentliches Geschenk bitte ich, sondern dass Sie, verehrter heiliger Vater Geld leihen. Es ist gleichzeitig viel und wenig vom deutschen Standpunkt, neben meinem monatlichen Gehalt von 35.000 M ist es viel, neben den Bedürfnissen eines Kaufmanns wenig, um was ich bitte. Leihen Sie mir bitte, bitte 2 Millionen deutsche Mark! für 6 Jahre,1 dann kann ich sie zurückzah-
212v
len. Ich bitte darum für meinen Verlobten, einen Kaufmann der Elektro-technischen Branche in Osnabrück, der durch die Schuftigkeit seines Compagnon gezwungen ist, seine Excistenz neu zu gründen. Da er Wittwer und Vater von zwei Kindern ist und durch die lange, schwere Krankheit seiner Frau sehr gelitten hat und die Feldzugsanstrengungen von 4 Kriegsjahren ihn auch geschwächt haben, wird der Neuanfang für ihn sehr, sehr schwer, wenn er nicht eine reiche Frau heiratet. Nun bin ich seine Braut und sollte zurücktreten, nur weil die andere Geld hat und dabei nie gelehrnt [sic] hat, sich selbst einen Wunsch zu versagen und zu arbeiten. Dabei wird sie auch nie die Kinder lieb haben und wird ihn, den Vater, so schnell leid sein, wie andere vorher auch. Heiliger Vater, ein sogenannter Engel bin ich nie gewesen, und die Ursulinen in Osnabrück, die mich erzogen haben, hatten es nicht sehr leicht, aber lieb hatten sie mich doch. Und zu Hause, mein Vater ist Postdirektor, habe ich es für selbstverständlich angesehen, dass wir Mädchen hinter den Jungens zurücktreten mussten, damit sie ihr Studium machen konnten. Gerne zahlte ich stets mein ganzes Gehalt in den Haushalt – immer damit die Jungens lernen konnten. Heinrich, mein ältester Bruder wurde Priester und war zuletzt Kaplan an der Herz-Jesu-Kirche in Berlin. 1918 starb er an der Grippe. Mein Bruder Fritz fiel 1916 als Offizier gegen die Russen. Beide Brüder waren älter als ich. Also von dem was andere junge Mädchen hatten, habe ich fast nichts kennen gelernt, denn zuerst waren die Jungens da, für die
213r
immer gespart werden musste und dann wurde das Leben so teuer und meine einzige Schwester so krank, dass an ein Sparen wieder nicht zu denken war. Und deshalb, verehrter, heiliger Vater, soll ich wieder verzichten – nur weil ich immer, immer abgab! Das ist so furchtbar hart und bitter und nicht einmal zum Guten für die ich es soll. Mich hat mein Verlobter lieb, an mir hängen die Kinder, nichts gehört und wird der anderen gehören als ihr Geld, mit dem sie wahrscheinlich nicht haushalten kann, da sie das Arbeiten nicht gelernt hat. Mein Verlobter heisst Friedrich Schulze und ist in Osnabrück gut bekannt und wenn Sie, hochwürdiger Vater, sich erkundigen wollen; der hochwürdige Herr Bischof Dr. Berning kennt ihn.
Und, lieber, heiliger Vater, mir leihe dann das Geld, bitte, bitte! Und von mir verlange es auch zurück. Ich bin sparsamer und energischer als mein Verlobter, der immer seinem zu guten Herzen nachgibt und sich von allen möglichen Menschen rupfen lässt, wenn sie nur erbärmlich tun. Und wissen, dass ich bei Ihnen bat, hochwürdiger heiliger Vater, braucht mein Verlobter nicht. Er würde nur den Kopf schütteln.
Und wenn Sie, hochwürdigster Vater, meiner Bitte nicht stattgeben können so segnen Sie bitte alle meine Lieben und Ihre
Ergebene
Toni Kleinberg.
212r oben rechts von unbekannter Hand notiert: "ad G 26".
1"bitte, bitte […] Jahre" hds. mit roter Farbe von unbekannter Hand unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
Empfohlene Zitierweise
Kleinberg, Antonia an PiusXI. vom 06. Dezember 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 12745, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/12745. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 23.07.2014.