Dokument-Nr. 13393

Kranold, Johannes: Beschlagnahme von Schulen in Recklinghausen. Erlass vom 3. Sept. 1923 – A III NR. 17224 U II, U III DErlass vom 3. Sept. 1923. Münster, 30. September 1923

Abschrift
Der General Laignelot hat dem Stadtschulrat am 24.4.23. mündlich die Zusage gegeben, zwei Schulen für den Unterricht freizugeben, und zwar sofort die katholische Volksschule an der Paulusstr. und die kath. Volksschule an der Hernerstraße (Hillerheide) für die Zeit nach dem bald zu erwartenden Abzuge der dort liegenden Truppen. Ferner hat er versprochen in Zukunft in erster Linie Säle zu belegen.
In einer am 29.4.23 stattgehabten Unterredung des Stadtbaurate Gronarz mit dem Stadtkommandanten General Boye hat dieser sich geweigert, die oben genannten Schulen freizugeben mit der Begründung, daß dies nur dann geschehen könne, wenn die Stadt die von der Besatzung angeforderten 150 Lazarettbetten liefere. Am 4.5.23 hat er dies schriftlich bestätigt.
Daraufhin hat der Stadtschulrat am 7.5.23 einen energischen begründeten Protest bei dem General Boye angebracht, im welchem er feststellte, dass der General Laignelot seine Zusage von keinerlei Bedingungen abhängig gemacht, aber die Überzeugung gewonnen habe, daß die Schulnot in Recklinghausen brennend geworden und durch die Freigabe der beiden Schulen die Unterbringung der Truppen in keiner Weise beeinträchtigt werde.
Nachdem die Einbruchstruppen beim Einmarsch sofort die der Stadt gehörigen Seuchenbetten für sich in Anspruch genommen hatten, und die von der Stadt zur Verfügung gestellten Militärbetten von der Besatzung zurückgewiesen worden waren, hat die Stadt sich zur Lieferung der Betten ausserstande erklärt, da sie weder finanziell dazu in der Lage sei, noch auch die Kaufleute Betten in solcher Zahl auf Lager hätten,
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die Krankenhäuser aber Privatanstalten seien.
Bei dieser Sachlage hat der Stadtschulrat unter Hinweis darauf, daß die belegten Quartiere nicht entfernt im möglichen Umfange ausgenützt würden, im schon genannten Protestschreiben dem General Boye gegenüber ausdrücklich festgestellt, daß die Nichtfreigabe der Schulen lediglich eine Vergeltungsmaßnahme sei, die nur den Zweck verfolgt, "die sittliche Erziehung und geistige Ausbildung eines Kulturvolkes an der Wurzel zu treffen." Die Generale Laignelot und Boye haben darauf am 12.5.23 geantwortet, daß die vom General Laignelot gegebene Zusage in der Erwartung erfolgt sei, die Stadt werde in Zukunft den Anforderungen der Truppen mehr Entgegenkommen zeigen. Abgesehen davon, daß General Laignelot einer solchen Erwartung in der Unterredung vom 24.4 sicherlich Ausdruck gegeben hätte, kann auch aus dem Grunde die Nichtlieferung der Betten kaum der wahre Beweggrund für die Weigerung Boyes gewesen sein, weil in der kurzen Zeit vom 24. bis zum 29.4. eine gar nicht angeregte Änderung des Verhaltens der Stadt in der Bettenfrage umsoweniger zu erwarten war, als die Stadt sich schon vor dem 24.4.23. ablehnend verhalten hatte.
Wir haben uns dem Proteste des Stadtschulrates durch unser Schreiben vom 13.6.23 Nr. 5601 II 15.20.27 I B. an den General Denwignes [sic] angeschlossen, das wir am gleichen Tage in Abschrift überreicht haben.
Von allen Schulverbänden in unserem Teile des Einbruchsgebietes ist die Stadt Recklinghausen der von der grössten Einquartierungslast betroffene. Da die Truppen vorzugsweise und in großem Umfange Schulen in Anspruch nahmen, war die Frage der Beschulung hier von vornherein brennend. Zu der hier fraglichen Zeit war die Schulnot aufs höchste gestiegen. Den Kindern der kath. Volksschulen a. d. Hernerstraße konnten Räume nicht zugewiesen werden. Sie wurden so gut es ging, beschäftigt, aber unterrichtet werden konnten sie nur in der Religion. Dieser Unterricht wurde in der Kirche erteilt. Auch für die 45 Klassen der gewerblichen Berufsschule war ein Unterrichtsraum nicht mehr zu finden.
Das Verhalten der franz. Behörden war umso empörender, als die Quartierräume, insbesondere manche Schulen, nur so schwach belegt waren, daß der Eindruck, es handle sich bei der Nichtfreigabe lediglich um eine absichtliche Quälerei der Bevölkerung ganz allgemein und völlig berechtigt war. Und diese Auffassung findet durchaus
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ihre Bestätigung in dem Schreiben der Generale Laignelot und Boye vom 12.5.23, in dem sie ausdrücklich feststellen, ihr Verhalten entspreche dem Verhalten der stät. Verwaltung. Da sie sich überzeugt hätten, daß diese ihre Anforderungen nicht erfüllen wollte, hätten auch sie keine Veranlassung, der Stadt Entgegenkommen zu zeigen.
Unsere beim General Denvignes eingelegten Proteste sind ohne Wirkung geblieben.
gez. Kranold.
Empfohlene Zitierweise
Kranold, Johannes, Beschlagnahme von Schulen in Recklinghausen. Erlass vom 3. Sept. 1923 – A III NR. 17224 U II, U III DErlass vom 3. Sept. 1923, Münster vom 30. September 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 13393, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/13393. Letzter Zugriff am: 28.04.2024.
Online seit 24.10.2013.