Dokument-Nr. 13797
Weh SJ, Georg an [N. N.]
Hoheneichen, Dresden-Hosterwitz, 23. Juni 1924

Hochwürdiger Herr Pfarrer,
Ew. Hochw. hatten die Güte dem Exerzitienhaus und Erholungsheim Hoheneichen 3 Sack Mehl aus der päpstlichen Hilfsspende zu überweisen.
Im Namen des Hauses und der auswärtigen Armen die daran teilnehmen, sage ich Sr. Heiligkeit und Ew. Hochw. für die Wohltat tausendmal Vergeltsgott.
Durch die Gabe wird es uns möglich, arme Exerzitanten, die nur geringe Pension bezahlen können, aufzunehmen.
Ich glaubte jedoch, wie gesagt, im Sinne des Wohltäters zu handeln, wenn ich auch andre Arme daran teilnehmen ließ. Die erste Gabe erhielt ein 88-jähriger katholischer Mann in Krieschendorf mit seiner evangelischen 73-jährigen Haushälterin. Die zwei beziehen eine Altersrente, zusammen monatlich 20 M. Davon sollen sie leben. Der Mann erlitt im Winter einen Schlaganfall, er friert immer; alles Geld ging drauf auf Kohlen. Die Folge war, daß die beiden oft 3, 5, ja sogar 8 Tage kein Stücklein Brot, nur Kartoffel mit Salz und einer Tasse, was sich Kaffee nennt, zum Essen hatten. Da
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wir den beiden wiederholt, bes. auch von der Advents-Caritassammlung etwas haben zukommen lassen, meinte jetzt die Frau: "Die Katholiken tun doch mehr; die sind besser als wir Evangelische. Unser Pastor sagt nur: 'Guten Tag, wie geht's, Vater!' Aber geben tut er nichts."
Am selben Abend empfing eine Mutter mit 7 Kindern eine Portion; die Kinder sind ½ - 10 Jahre. Im Winter war mal die ganze Familie im Krankenhaus; der Vater war lange Zeit arbeitslos. Der Frau liest man die Not aus dem Gesicht.
Dasselbe Bild wiederholt sich bei einer 3. Familie, die allerdings erst ein Kind hat. Diese ist katholisch, die vorige war evangelisch.
Das sind so ein paar Streiflichter. Wir geben allen ohne Unterschied. Und Gaben vom Papst nehmen alle dankbar an, ob katholisch, evangelisch, ob von dieser oder jener Sekte, ob gläubig oder ungläubig. Ich glaube, solche Liebestätigkeit ist auch ein Apostolat und eine Apologie unsrer hl. Kirche. Auch die Leute urteilen: "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen" und legen allmählich altverrostete Vorurteile ab.
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Darum nochmals dankend mit dem Versprechen, der edlen Wohltäter immer wieder beim hl. Opfer zu gedenken, verbleibt
Hochachtungsvollst
Ew. Hochw.
ergebenster
Georg Weh S. J.
Empfohlene Zitierweise
Weh SJ, Georg an [N.N.] vom 23. Juni 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 13797, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/13797. Letzter Zugriff am: 12.05.2024.
Online seit 18.09.2015.