Dokument-Nr. 14731
Heimers, Johannes an Pius XI.
Rom, 10. Oktober 1929

Heiliger Vater!
In tiefster kindlicher Ehrfurcht gestatte ich mir, unmittelbar an Ew. Heiligkeit zu schreiben. Die kirchliche und politische Lage in Deutschland ist so bedrohlich, dass die meisten Seelsorgspriester, und zwar gerade die eifrigsten, nur mit Bangen an das Kommende denken, fast mutlos werden möchten. Die im November ds. J. stattfindenden Gemeinderats- Kreistag- und Provinziallandtagswahlen werden nach der Ansicht vieler ein erschreckendes Fiasco der politischen Vertretung der Katholiken, des Centrums bringen und damit, nach aussen betrachtet, auch einen immer geringer werdenden Einfluss in kirchlicher Beziehung verursachen. In Deutschland ist auch für die Kirche überaus viel abhängig von dem jeweiligen Ansehen der politischen Vertretung. Darum muss in Deutschland unbedingt die rechte Aktion einsetzen und vollste Klarheit über die Aufgaben der Zukunft geschafft werden. Allgemein klagt der Seelsorgeklerus, dass wir in Deutschland keine befriedigende Führung haben. Ich habe schon seit 1918 auf manche Fehler und deren schlimmen Folgen an massgebenden Stellen aufmerksam gemacht z. B. auf das
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zu weit gehende deutsche allgemeine Wahlrecht im Jahre 1918. Im Jahre 1819 [sic] habe ich den Herrn Cardinal v. Hartmann in Cöln gebeten, Protest einzulegen gegen offenbare Irrlehren und gefährliche dehnbare Ausdrücke in der deutschen Verfassung, nicht ohne Erfolg. Im Jahre 1923 habe ich das erste obsiegende Gerichtsurteil erreicht, dass nicht die entwertete Papiermark gleich Goldmark ist. In den Jahre 1920 bis 1924 habe ich mit dem verstorbenen berühmten Kirchenhistoriker Prof. Dr. Schrörs in Bonn öfters korrespondiert über die vier Grundpfeiler eines in sich gesunden Staatsgebildes; nicht Militärmacht, nicht Kapitalmacht kann auf die Dauer gesunde Staatsgebilde schaffen, sondern die jetzige Menschheit sehnt sich nach anderen Grundlagen und das sind solche Grundlagen, die nur die kath. Kirche bieten kann, nämlich: 1) Glaube an Gott 2) Unsterblichkeit der Seele 3) unauflösliche Einehe 4) gesunde und gerechte Einkommens- und Besitzsverhältnisse.
Hier muss die kath. Aktion in Deutschland einsetzen, vielleicht zum Segen für die ganze Welt, weil noch Kirche und Politik in Deutschland eng verbunden sind. Ferner muss eine mehr innere Aktion einsetzen auf dem Gebiete der kath. Presse, kath. Unterhaltungsliteratur und kath. Kunst. Es genügt nicht zu kämpfen
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gegen Schundpresse, Schundliteratur und Schundkunst auf der gegnerischen Seite, sondern was wir Priester empfehlen sollen, muss wirklich gut sein; nicht kath. Generalanzeiger, sinnliche Romane, eine Kunst, die Christus und seine Heiligen als Krüppel und Idioten darstellt oder uns Keller mit Lichtschachten [sic] und Fabriklaboratorien als Gottesdiensträume bietet.
Es ist höchste Zeit zur Aktion. Im 16. Jahrhundert hat Schwäche und Ratlosigkeit den Protestantismus in Deutschland gross werden lassen; jetzt ist die Gefahr, dass Schwäche und Ratlosigkeit in Deutschland den Atheismus gross werden lassen. Das ist seit langen das Gefährliche in Deutschland, dass man alles, leider auch den Irrtum, bis in die letzten Konsequenzen verfolgt. Es drückt einem das Herz ab, wenn man sehen muss, dass ein Volk, das viele gute Eigenschaften besitzt, in Gefahr ist, moralisch und wirtschaftlich zu Grunde zu gehen.
Ich habe mich des öfteren an meinen Vorgesetzten, Herrn Cardinal Schulte in Cöln gewandt, aber ich fürchte, dass die Aufregung, die eine tatkräftige Aktion natürlicher Weise mit sich bringt, für seine leider geschwächte Gesundheit zu gross sein möchte.
Hl. Vater, mein Herr drängt mich, bevor ich am Montag von Rom scheide, diesen Brief zu schreiben; nicht Ehrgeiz oder jugendlicher Idealismus treibt mich - ich bin 58 Jahre alt -, sondern einzig und
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allein die Liebe zu meiner Kirche und zu meinem Vaterland.
In kindlicher Ehrfurcht
En. Heiligkeit gehorsamster
J. Heimers Pfarrer
Empfohlene Zitierweise
Heimers, Johannes an PiusXI. vom 10. Oktober 1929, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 14731, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/14731. Letzter Zugriff am: 01.05.2024.
Online seit 20.01.2020, letzte Änderung am 01.02.2022.