Dokument-Nr. 19508
Erdmann, Alfons an Pius XI.
Driesen in Brandenburg, 18. November 1928

Allerheiligster, Hochwürdigster Vater!
Ihre Mildtätigkeit und Herzensgüte gegenüber wirklich Hilfsbedürftigen veranlassen mich, daß ich in meiner größten Not und Bedrängnis mich Eurer Heiligkeit hilfeflehend nahe. Mögen Sie, Heiligster Vater, aus nachfolgendem erkennen, daß wirklich Armut und tiefste Bedrängnis zu diesem für mich so harten Schritte die alleinige Veranlassung sind.
Ich, Alfons Erdmann, Sohn des Eisenbahnschaffners Gregor Erdmann und seiner Ehefrau Agnes, geborene Pischke, bin am 9. Januar 1907 zu Schneidemühl in der Provinz Posen geboren und in der dortigen katholischen Pfarrkirche getauft. Es war von frühester Jugend an mein Wunsch, Priester zu werden. Aber meine Mutter gab nicht die Einwilligung, als ich das Gymnasium besuchen wollte, da wohl die nötigen Mittel fehlten und die Not während des Weltkrieges auch groß war. Im Sommer 1920 erkrankte meine Schwester, die damals im 7. Lebensjahre war, an Ruhr und Lungenentzündung. Im Oktober desselben Jahres erkrankten meine Mutter und ich an Typhus und wir alle drei zusammen wurden in das Krankenhaus eingeliefert, wo meine Mutter 7 und ich mit meiner Schwester 10 Wochen gelegen haben. Dadurch mußte mein Vater hohe Kosten für die Krankenhausbehandlung zahlen. Im letzten Jahre meiner Schulzeit hatte ich Lust, Lehrer zu werden. Noch vor Beendigung meiner 8-jährigen Volksschulzeit ist eine Bekanntmachung erschienen, daß Neuaufnahmen in die Präparanden-Anstalt nicht
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erfolgen können, sondern erst ein Jahr später, weil es in Preußen zu viele Lehrer gab, und auch heute noch viele junge Lehrer ohne Stellung sind. Dies ist wohl auf den verlorenen Krieg zurückzuführen, da Deutschland einige Gebietsteile abtreten mußte und viele deutsche Flüchtlinge nach ihrem Vaterlande gekommen sind. Darum war ich also gezwungen, einen andern Beruf zu erlernen. Ich besuchte dann die Handelsschule und lernte Kaufmann in einer Maschinenfabrik in Schneidemühl. Nach Beendigung meiner Lehrzeit war ich in Lauenburg (Pommern) fast 9 Monate in Stellung, wo ich wegen Arbeitsmangel entlassen wurde. Zu meinen Eltern nach Schneidemühl zurückgekehrt, war ich über 1 Jahr arbeitslos. Seit dem 1. Oktober 1927 bin ich im Bankgeschäft Ernst Adolf Ladisch in Driesen als Buchhalter beschäftigt. Die Stellung wird sehr schlecht bezahlt, sodaß ich kaum den notwendigsten Lebensunterhalt bestreiten kann. Der Lohn ist niedriger als für einen ungelernten Arbeiter. Bei der Wiedererstehung Polens sind noch nicht alle urpolnischen Gebiete erlöst worden, zu denen auch meine Heimatstadt Schneidemühl gehört. Ich möchte gern nach Polen, dem Land meiner Vorväter, auswandern. Ich fühle mich nicht als Deutscher, sondern als Pole aus ganzem Herzen, beherrsche auch die polnische Sprache. Ich habe schon zweimal auf dem polnischen Konsulat in Schneidemühl vorgesprochen, aber alles war vergebens. Da ich keine Verwandten in Polen habe, die mich aufnehmen und für mich sorgen können, werde ich nur in Polen aufgenommen, wenn ich über eine Geldsumme von 800 bis 1.000 Mark verfüge. Ich habe in Polen zwei bekannte Familien, die früher in Schneidemühl wohnten, die mich aufnehmen und mir weiter behilflich sein würden,1 falls ich die für
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die Einreise erforderliche Summe besitzen würde. Ich stehe ganz hilflos da. Niemand aus der Verwandtschaft kann mir helfen, auch meine Eltern können mir nicht das nötige Geld geben, da dieselben andere Sorgen haben und noch drei Geschwister von mir zu Hause sind. Da in Polen alle jungen Männer bis 23 Jahre wehrpflichtig sind, hätte ich Aussicht, im polnischen Heere zu dienen und könnte dann die militärische Laufbahn einschlagen oder eine Beamtenlaufbahn. Am 9. Januar 1929 werde ich 22 Jahre alt, es würde jetzt die höchste Zeit sein, auszuwandern. In Deutschland besteht keine Wehrpflicht. Deutschland hat nur ein Söldnerheer von 100.000 Mann, dessen Soldaten sich auf 12 Jahre verpflichten müssen. In dieses deutsche Reichsheer werde ich nicht eingestellt, denn die Katholiken im Osten Deutschlands werden immer zurückgesetzt. Daher finde ich auch keine andere Stellung, die besser bezahlt wird. Der Katholik wird hier von den Protestanten Polak genannt. Hier in der Provinz Brandenburg ist es noch schlimmer als in der Grenzmark Posen-Westpreußen; denn es gibt hier nur sehr wenig Katholiken. Wenn man hier in die Kirche geht, wird man von der heutigen modernen Welt ausgelacht und verspottet. Der hochmütige und freche Charakter dieser Brandenburger können mich nicht erfreuen, ebensowenig die Trunksucht und Unzucht, die in dieser Stadt mit 7.000 Einwohnern keiner Großstadt nachsteht. Man muß hier auf der Hut sein, damit man nicht unter schlechte Gesellschaft kommt und dem Verderben ausgesetzt ist. Die Slawen gefallen mir doch besser als die Germanen. Ich möchte zu gerne in mein geliebtes polnisches Vaterland; denn in einem katholischen Lande habe mehr Lust [sic], zu leben, als in einer Gegend, wo man unterdrückt
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wird und vielleicht noch in Versuchung kommt, vom verbotenen Baume zu essen (Andersgläubige zu heiraten). Der Teufel geht herum wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann.
Was soll ich anfangen, wohin soll ich mich hier auf Erden wenden? Zu Ihnen, Heiligster Vater, zu Ihnen nehme ich meine Zuflucht, zu Ihnen treibt mich mein Herz. O, möge sich Euer Heiligkeit meines Elends erbarmen, damit es mir beschieden wird, in mein Vaterland zu ziehen. Gott wird es lohnen.
In tiefster Ehrfurcht verharret
Euer Heiligkeit
alleruntertänigster
Alfons Erdmann.
Anlage: 1 Lichtbild.
1"Ich fühle ... sein würden" hds. am linken Seitenrand in roter Farbe angestrichen.
Empfohlene Zitierweise
Erdmann, Alfons an PiusXI. vom 18. November 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 19508, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/19508. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 20.01.2020.