Dokument-Nr. 8362

Ein Brief Papst Benedikts XV., in: Germania, Nr. 547, 23. November 1918
Am 8. November richtete Papst Benedikt zur Rechtfertigung der Haltung des Apostolischen Stuhles während der Kriegszeit nachstehenden Brief an den Kardinal Staatssekretär Gaspari :
........... Kardinal!
Nach den jüngsten glücklichen Erfolgen der italienischen Waffen trachteten und trachten die Feinde des Apostolischen Stuhles, festentschlossen in ihrem Vorsatze, sowohl die traurigen wie die freudigen Ereignisse zu seinem Schaden auszubeuten, gegen ihn die öffentliche Meinung Italiens aufzureizen, indem sie bei der Freude über den erlangten Sieg es so darstellen, als ob dieser dem Papste in seinem Herzen unangenehm wäre. Aus dem täglichen Umgange kennen Sie, Herr Kardinal, sehr wohl unsere Gefühle, wie auch in gleicher Weise die Praxis und die Lehre der Kirche in ähnlichen Verhältnissen. In dem Briefe vom 1. August 1917 an die Häupter der verschidenen kriegführenden Mächte erhoben wir unsere Stimme, und zwar wiederholt auch bei anderen Gelegenheiten, auf daß die territorialen Fragen zwischen Oesterreich und Italien eine Lösung erhielten, entsprechend den gerechten Forderungen der Völker; jüngst erst haben wir unseren Nuntius in Wien Wweisungen erteilt, sich in freundschaftliche Beziehungen zu setzten mit den verschieden Nationalitäten des Oesterreichisch-Ungarischen Staates, der sich nun aus unabhängigen Staaten zusammensetzt. Die Kirche ist eine vollkommene Gesellschaft, die die Heiligung der Menschen jeder Zeit und jeden Landes zum Endzwecke hat, die sich den verschiedenen Regierungsformen anpaßt, wie sie auch ohne irgendwelche Schwierigkeit die gesetzlichen territorialen und politischen Verschiedenheiten der Völker anerkennt ; wir glauben, daß, wenn diese unsere Anschauungen und Beurteilungen mehr allgemein bekannt wären, wohln kein vernünftiger Mensch darauf bestehen wollte, uns einen Schmerz zuzuschreiben, der keinerlei Begründung hat. Gleich wohl aber können wir nicht leugnen, daß eine Wolke unsere Seelenheiterkeit trübt; denn noch haben die Feindseligkeiten nicht überall aufgehört, und der Waffenlärm verursacht noch länger Sorgen und Befürchtungen. Aber in der Hoffnung, daß die schöne Morgenröte des Friedens, die über unserer geliebten Heimat aufgegangen ist, von nun an die anderen kriegführenden Völker ebenfalls erfreuen wird, haben wir schon einen Vorgeschmack von der Süße jenes Tages, der nicht mehr ferne ist, an dem die christliche Liebe wiederkehrt zur Herrschaft unter den Menschen und eine universelle Eintracht die Nationen verbinden wird in einem an Nutzen reichen Bunde.
Gegeben im Vatikan, am 8. November 1918.
gez.: Benediktus XV.
Ist dieses Schreiben des Hl. Vaters auch in erster Linie für italienische Verhältnisse bestimmt, so wird es doch auch von den Katholiken Deutschlands gerade unter den jetzigen Verhältnissen freudig und dankbar begrüßt werden: einmal als neues Unterpfand der unverbrüchlichen politischen Neutralität und Unparteilichkeit des Hl. Stuhles, an der ja bei uns niemand auch nur einen Augenblick gezweifelt hat, und dann als Bestätigung unserer Auffassung, daß die Kirche den deutschen Katholiken nicht das geringste in den Weg legt, sich den politischen Rechtsformen anzupassen, die ohne unser Zutun unserem Vaterland aufgezwungen wurden. Was auch immer die Nationalsversammlung schaffen wird, wir werden praktische Politik treiben können.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom 23. November 1918, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 8362, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/8362. Letzter Zugriff am: 02.05.2024.
Online seit 17.06.2011, letzte Änderung am 24.10.2013.