Württembergisches Kirchengesetz vom 3. März 1924, § 11-16

"§ 11. (1) Wer das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann aus seiner Kirche mit bürgerlicher Wirkung durch eine Erklärung austreten, die von ihm persönlich zu Protokoll des Standesbeamten abzugeben ist.
(2) Zuständig ist der Standesbeamte, in dessen Bezirk der Austretende seinen Wohnsitz (vergl. § 27) oder in Ermangelung eines württembergischen Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
(3) Wer wegen körperlicher Gebrechen vor dem Standesbeamten nicht erscheinen kann, kann die Erklärung in öffentlich beglaubigter Form bei ihm einreichen; die Erklärung wird zu dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie der Standesbeamte entgegennimmt.
§ 12. (1) Die Absicht des Austritts ist mindestens einen Monat vor der Erklärung der Kirchengemeinde mitzuteilen, in deren Bezirk der Austretende seinen Wohnsitz verlegt (vergl. § 27) oder in Ermangelung eines württembergischen Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Mitteilung ist von dem Austretenden selbst mündlich oder schriftlich an den Vorsitzenden der Kirchengemeindevertretung oder den von ihr bestellten besonderen Vertreter zu richten.
(2) Der Vertreter der Kirchengemeinde ist verpflichtet, dem Austretenden binnen drei Wochen eine Bescheinigung über den Empfang der Mitteilung zu übermitteln. Die Bescheinigung darf nicht aus dem Grund versagt werden, weil der Austretende seine Zugehörigkeit zu der Kirche nicht nachzuweisen vermag.
(3) Der Standesbeamte ist verpflichtet, vor der Entgegennahme der Austrittserklärung den urkundlichen Nachweis zu verlangen, daß die Kirchengemeinde die vorschriftsgemäßige Mitteilung rechtzeitig erhalten hat und seit dem Empfang der Mitteilung nicht mehr als drei Monate verstrichen sind.
(4) Der Standesbeamte benachrichtigt von der Abgabe der Austrittserklärung unverzüglich die Kirchengemeinde. Dem Austretenden ist auf Verlangen eine Bescheinigung über die Erklärung des Austritts zu erteilen.
§ 13. (1) Für ein Kind unter 14 Jahren können die Eltern den Austritt aus der Kirche erklären, soweit sie zur Sorge für die Person des Kindes berechtigt sind. Zu der Erklärung ist die Einwilligung des Kindes erforderlich, wenn es das 12. Lebensjahr vollendet hat.
(2) Die Erklärung ist unwirksam, wenn sich die Änderung des Erziehungsbekenntnisses nach Feststellung des Vormundschaftsgerichts als ein Mißbrauch des Erziehungsrechts darstellt, der das geistige Wohl des Kindes gefährdet (§ 1666 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).
(3) Solange die Eltern gemeinschaftlich zur Sorge für die Person des Kindes berechtigt sind, kann der Standesbeamte die Erklärung eines Elternteils nur entgegennehmen, wenn dieser die Einwilligung des andern Elternteils nachweist oder eine wirksame Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vorlegt, die ihn zu der Änderung des Erziehungsbekenntnisses ermächtigt.
(4) Der Vormund oder Pfleger des Kindes bedarf zu der Erklärung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts; die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn sie nicht gegen die Bestimmungen über das religiöse Erziehungsrecht (§ 3 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921) verstößt.
(5) Die Vorschriften der § 11 und 12 finden entsprechende Anwendung. Der Standesbeamte kann jedoch für das Kind die in § 12 Abs. 3 vorgeschriebene Nachweisung nicht verlangen, wenn der Vater oder die Mutter den Austritt zur gleichen Zeit für sich selbst und für das Kind erklärt.
(6) Solange das Kind noch nicht in die Schule aufgenommen ist, können die Eltern sein Bekenntnis ändern, ohne daß es einer Austrittserklärung bedarf.
§ 14. Will ein Mitglied einer Kirche zu einer anderen Kirche übertreten, so ist diese verpflichtet, vor der Aufnahme die Vorlegung einer Austrittsbescheinigung des Standesbeamten zu verlangen, es sei denn, daß der Übertritt in Todesgefahr erfolgt.
§ 15. (1) Ist der Ausgetretene in eine andere Religionsgesellschaft aufgenommen oder in die Kirche zurückgetreten, so hat der Standesbeamte auf seinen Antrag oder auf Antrag der beteiligten Kirche dem Protokoll über die Erklärung des Austritts und der Austrittsbescheinigung einen Vermerk über die Aufnahme beizufügen.
(2) Die Aufnahme ist dem Standesbeamten durch eine Bescheinigung der Religionsgesellschaft nachzuweisen.
§ 16. (1) Für die Tätigkeit des Standesbeamten und die in § 12 genannten Bescheinigungen sind Gebühren oder Sporteln nicht zu erheben. Für die Erteilung einer weiteren Austrittsbescheinigung des Standesbeamten ist die Gebühr zu entrichten, die für Auszüge aus den Standesregistern erhoben wird. Kostgebühren trägt der Austretende.
(2) Die Tätigkeit des Standesbeamten wird von dem Amtsgericht beaufsichtigt. § 11 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (Reichs-Gesetzbl. S. 23) findet Anwendung.
Quellen
Gesetz über die Kirchen vom 3. März 1924, in: HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 137, S. 190-198 [Auszug], hier 191-193.
Gesetz über die Kirchen vom 3. März 1924, in: Regierungsblatt für Württemberg, Stuttgart 1924, Nr. 13, S. 93-116, hier 95-97.
Empfohlene Zitierweise
Württembergisches Kirchengesetz vom 3. März 1924, § 11-16, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 10075, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/10075. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 18.09.2015, letzte Änderung am 26.06.2019.
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