Weimarer Koalition in Preußen

Nach der Novemberrevolution 1918 lag die Regierung Preußens zunächst beim Rat der Volksbeauftragten, der aus Politikern der Mehrheits- (MSPD) und Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) bestand. Insbesondere der Volksbeauftragte für Wissenschaft, der USPD-Politiker Adolph Hoffmann, verfolgte dabei eine strikt laizistische Politik. Dass nach den Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung vom 26. Januar 1919 am 25. März eine Koalition aus MSPD, Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und Zentrumspartei (Z) unter dem Mehrheitssozialdemokraten Paul Hirsch gebildet wurde, schob derartigen Bestrebungen vorerst einen Riegel vor.
Damit regierten diese drei Parteien, die auf Reichsebene die Weimarer Koalition bildeten, auch im größten deutschen Flächenstaat gemeinsam. Jede Partei hatte dabei unterschiedliche Motive für die Bildung einer Weimarer Koalition in Preußen. Das Zentrum musste aus kirchen-, kultur- und personalpolitischen Gründen eine Koalition aus MSPD und DDP, die auch alleine die Mehrheit in der Landesversammlung hatten, verhindern. Die MSPD war an der Stabilisierung der Reichsregierung durch eine analoge Regierungsbildung in Preußen interessiert und wollte daneben die Regierungsverantwortung auf mehrere Schultern verteilen. Die DDP sah in der Koalition ein Mittel gegen die Linkstendenzen in der MSPD, auch wenn die Linksliberalen und das Zentrum divergierende kultur- und schulpolitische Vorstellungen hatten. Eine Koalition aus Z, DDP, Deutscher Volkspartei (DVP) und Deutschnationaler Volkspartei (DNVP) schied zunächst aus, da sie als Gegenregierung zur Reichsregierung verstanden worden wäre. Außerdem trat die Mehrheit der DDP gegen die antidemokratischen Vorstellungen von DVP und DNVP ein. Dem Zentrum gelang es in dieser Koalition tatsächlich, gewisse Erfolge zu erzielen. Auf dem zentralen politischen Konfliktfeld in Preußen, der Schul- und Kulturpolitik, gelang es ihm etwa, die Vorherrschaft der Bekenntnisschulen zu sichern und die Durchsetzung überkonfessioneller Gemeinschaftsschulen oder gar der religionslosen Schule zu verhindern.
Im Gegensatz zum Reich blieb die Weimarer Koalition in Preußen auch nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch stabil und behielt ihre parlamentarische Mehrheit. In Folge der Landtagswahlen vom 20. Februar 1921, bei der MSPD, DDP und Zentrum große Verluste hinnehmen mussten, kam es jedoch zur ersten Krise der Weimarer Koalition in Preußen, da das Zentrum eine Erweiterung der Koalition um die DVP wünschte, obwohl die Weimarer Koalition noch die Mehrheit im Landtag besaß. Die MSPD lehnte eine große Koalition ab, wurde aber in den Verhandlungen ausgebootet. Der Zentrumspolitiker Adam Stegerwald wurde zwar am 21. April 1921 auch von DVP und DNVP zum Ministerpräsidenten gewählt, seine Minderheitsregierung aus Zentrum und DDP war aber von Anfang an als Provisorium konzipiert und hielt nur wenige Monate. Am 5. November 1921 gelang, auch auf Rücksicht auf die Reichspolitik, schließlich die Erweiterung dieser Koalition um MSPD und DVP. Der MSPD-Politker Otto Braun ersetzte Stegerwald als Ministerpräsident.
Bei den Landtagswahlen am 7. Dezember 1924 blieben die Ergebnisse von SPD, DDP und Zentrum stabil. Die DVP musste dagegen Verluste zugunsten der DNVP verkraften und wollte daraufhin die Regierung verlassen. Am 6. Januar 1925 traten ihre Minister zurück. Die Bildung einer Mitte-Rechts-Regierung nach dem Vorbild des Reichs scheiterte insbesondere am Widerstand des Fraktionsvorsitzenden des Zentrums im preußischen Landtag, Joseph Hess. Auch eine von Wilhelm Marx gewünschte "Regierung der Volksgemeinschaft" von SPD bis DNVP kam nicht zustande. Da die Weimarer Parteien aber keine Mehrheit mehr im Parlament besaßen, zog sich die Regierungsbildung lange hin. Vorübergehend von Februar bis April 1925 übernahm Wilhelm Marx das Amt des Ministerpräsidenten. Am 3. April wurde Braun erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. Seine Koalition hielt trotz fehlender absoluter Parlamentsmehrheit bis zum Preußenschlag vom 20. Jul 1932, auch weil die Opposition in einen rechten und einen linken Flügel gespalten war. In dieser Zeit konnte das Zentrum noch einen weiteren politischen Erfolg für sich verbuchen – den Abschluss des Preußenkonkordats von 1929. Die katholische Kirche konnte in diesem zwar weniger Forderungen durchsetzen als im Bayernkonkordat von 1924, angesichts der relativ schwächeren Position des politischen Katholizismus in Preußen war es dennoch ein annehmbarer Kompromiss.
Literatur
EHNI, Hans-Peter, Zum Parteienverhältnis in Preußen 1918-1932. Ein Beitrag zu Funktion und Arbeitsweise der Weimarer Koalitionsparteien, in: Archiv für Sozialgeschichte 11 (1971), S. 241-288.
HEIMANN, Siegfried, Der Preußische Landtag 1899-1947. Eine politische Geschichte, Berlin 2011.
MÖLLER, Horst, Parlamentarismus in Preußen 1919-1932 (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus 5), Düsseldorf 1985, S. 324-375.
THADDEN, Rudolf von, Die Geschichte der Kirchen und Konfessionen, in: NEUGEBAUER, Wolfgang (Hg.), Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 3: Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin / New York 2001, S. 547-712, hier 626-654.
Empfohlene Zitierweise
Weimarer Koalition in Preußen, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 384, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/384. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 14.05.2013, letzte Änderung am 14.04.2014.
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