Dokument-Nr. 713
Bussche-Haddenhausen, Hilmar Freiherr von dem
an Pacelli, Eugenio
Berlin, 15. November 1918
Unter den unerhört harten Waffenstillstandsbedingungen, die Deutschland in seiner Notlage hat annehmen müssen, befinden sich verschiedene, die offenbar mit Rücksicht auf die Gefahr eines Wiederbeginns der Feindseligkeiten auferlegt worden sind. Eine solche Möglichkeit ist, wie Euer Excellenz wissen, deutscherseits ganz ausgeschlossen. Diese Bedingungen sind nicht nur militärischer Natur, sondern bedrohen den wirtschaftlichen und innerpolitischen Bestand Deutschlands in höchstem Masse. Dahin gehören in erster Linie die Bedingungen über die Fortdauer der Blockade, über die Abgabe ungeheurer Mengen rollenden Eisenbahnmaterials u.a.m. Durch die Fortdauer der Blockade im Verein mit der Oeffnung der Ostsee für feindliche Kriegsschiffe wird der bisherige Zustand der Absperrung Deutschlands noch erheblich verschärft, denn bisher konnte die deutsche Schiffahrt sich wenigstens auf der Ostsee frei bewegen. Dass unsere Feinde sich bereit erklärt haben, Lebensmittel zu liefern, ist sicherlich mit Dankbarkeit zu begrüssen. Dabei ist aber auf das Dringendste erwünscht, dass diese Hilfe alsbald gewährt wird, denn bei den kurzen Räumungsfristen ist es ausgeschlossen, die Vorräte mit zurückzuführen, die von der Militärverwaltung für die ganze Armee auf eine lange Zeit im voraus in den besetzten Gebieten und auf dem linken Rheinufer aufgestapelt worden
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sind. Diese Vorräte gehen somit zum
grossen Teil für die deutsche Wirtschaft verloren. Deutschland muss also nicht nur aus
seinen für die Zivilbevölkerung ohnehin sehr knappen Beständen nunmehr auch die aus dem
Westen und Osten zurückflutenden Millionenheere sondern auch die linksrheinische Bevölkerung
und die feindlichen Besatzungstruppen ernähren. Dies ist aus den vorhandenen Vorräten ganz
unmöglich, und Hilfe tut not, um Millionen von Menschen, darunter Greise, Frauen und Kinder,
vor dem Hungertode zu retten. Noch verzweifelter wird die Lage dadurch gestaltet, dass
Deutschlands Transportmittel lahm gelegt, beziehungsweise ihm entzogen werden. Es wird
dadurch nicht nur die Beförderung und Verteilung von Lebensmitteln, sondern auch die Anfuhr
von Rohstoffen unmöglich gemacht. Die Folgen für die arbeitende Bevölkerung sind
unübersehbar. Durch die Blockade in der Nord und Ostsee wird die Hochseefischerei, soweit
sie bisher ausgeübt wurde, gänzlich verhindert, und damit nicht nur die Zufuhr von Fischen,
die für die Ernährung des Landes von recht erheblicher Bedeutung war, abgeschnitten, sondern
auch die fischfangtreibende Bevölkerung beschäftigungslos gemacht. Das Letztere gilt
ebenfalls von der seefahrenden gesammten Bevölkerung der Nord- und Ostsee. Die Matrosen
müssen abgemustert werden und werden brotlos und damit ein Element der Unruhe. Durch die
Sperrung des Seeweges wird ferner die Zufuhr von Baumwolle, Erzen und anderer wichtiger
Rohstoffe verhindert. Einer solchen, und zwar raschen und reichlichen Zufuhr bedarf aber
Deutschland auf das dringendste, um seine bisher im Heeresdienst und in der
Rüstungsindustrie tätige Bevölkerung zu beschäftigen. Geschieht dies nicht, so werden Hunger
und Arbeitslosigkeit die Arbeiter zur Verzweiflung treiben und dem Bolschewismus, den die
russische Regierung mit grossen Geldmitteln und auf alle sonst nur irgend mögliche Art und
Weise bei uns propagiert, in die Arme führen. Schon jetzt 389r
erhebt der Bolschewismus in Deutschland allenthalben drohend sein Haupt, und der Kampf
zwischen ihm und den staatserhaltenden Elementen ist noch keineswegs zu Gunsten Letzterer
entschieden. Das bürgerliche Element, das bekanntlich in der gegenwärtigen Regierung nicht
vertreten ist, hat diesen anarchistischen Bestrebungen gegenüber nur geringe Mittel zum
Widerstand in der Hand.Eine weitere schwere Gefahr für Deutschland liegt in der Besetzung des linken Rheinufers durch die Feinde. Wie wir wissen, geht die Absicht Frankreichs dahin, diese urdeutschen Gebiete möglichst lange besetzt zu halten in der Hoffnung, sie später auf die eine oder andere Weise dem wehrlosen Mutterlande zu entreissen. Ob dies im Interesse der katholischen Kirche liegt, die im Rheinlande viele treue Anhänger zählt, wissen Euere Excellenz besser als ich.
Ich wäre Euerer Excellenz aufrichtig dankbar, wenn Sie Seine Heiligkeit den Papst, und durch Ihn, soweit Er dies für möglich und erwünscht hält, die Amerikaner und die Entente auf die oben angedeuteten Gefahren, die nicht nur Deutschland, sondern auch den Katholizismus und die ganze zivilisierte Welt auf das schwerste gefährden, aufmerksam machen wollten. Was Deutschland bedarf, ist eine sofortige Milderung jener grausamen Waffenstillstandsbedingungen und die Herbeiführung eines baldigen Präliminarfriedens.
Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung bin ich
Euerer Excellenz
sehr ergebener
Bussche