Dokument-Nr. 11075
Zell, Martha an Pius XI.
Biberach an der Riß, 28. Januar 1923

Hochverehrter, lieber Heiliger Vater!
Das Jahr 1923 hat begonnen; und in Bälde stehen wir vor dem Jahresgedächtnis Ihrer Wahl zum Stellvertreter Christi auf Erden; war ja der 6. Februar für Sie ein ernster, heiliger Zeitpunkt + Abschnitt in Ihrem Leben; + nun haben Sie, lieber Heiliger Vater, schon fast ein Jahr gesegneter + reicher, mannigfaltiger Arbeit hinter sich. Gott ist mit Ihnen; + möge der Heilige Geist stets mit Ihnen sein, damit Sie zum Heile der Seelen + zum Wohle der Menschheit viel Gutes + Erhebendes tun können! Möge Gottes Vatergüte Sie ausstatten mit bester Gesundheit,
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damit Ihnen die Arbeit leicht von statten geht. – Sie dürfen versichert sein, liebster Heiliger Vater, dass ich für Sie + unsere heilige Kirche viel bete + all mein Tun + Handeln, Sorgen + Leiden stets auch für Sie + die Kirche aufopfere. Denn wenn die Kirche in Not + Gefahr ist, dann leide auch ich mit; denn ich bin ein Glied von ihr; + kann ich Verherrlichung in der Kirche wahrnehmen, sei es, dass die Seelen wieder zu ihr zurückfinden, oder dass sie einen heilsamen Einfluss auf Weltmächte ausübt, die wirksam werden in den Nationen, so teile auch ich die Freude der Kirche. Denn jedes Glied unserer Kirche soll teilnehmen an ihren Leiden + ihren Verherrlichungen + Freuden. O Guter Heiliger Vater, ich habe mich rührend gefreut über Ihre namhafte, hochherzige Spen-
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de, die Sie uns armen bedrängten Deutschen aufs Neue wieder zukommen liessen! Die Zeitungen lese ich immer genau, + da fiel mein Blick auch auf die Nachricht, wie Sie für uns eintreten + uns helfen durch grosse Geldspenden. Sie sind wirklich gut + helfen jedem Lande; bei Ihnen gilt sicher der Grundsatz: alles sind Gottes Geschöpfe + Gottes Kinder + haben unsterbliche Seelen. Meine Zeilen schreibe ich heute in der Absicht, Ihnen von Herzen zu danken für alles, was Sie Deutschland Gutes tun + getan haben; wenn auch ich persönlich nichts davon habe, so bin ich doch voll Dankbarkeit gegen Sie erfüllt, weil Deutschland eben mein Heimatland ist. Ferner wünsche ich Ihnen für Ihre weitere Regierungszeit viel Segen +
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Gottes Gnade! Möge der Heilige Geist mit seiner Fülle Ihnen beistehen + Sie stärken + erleuchten in allen schweren Stunden Ihres verantwortungsvollen Amtes! – Eine Stimme sagt mir immer wieder: "Schreibe an den Heiligen Vater; sage ihm alles; meinen Segen hast Du." Und so habe ich voll Vertrauen auf Gott zur Feder neuerdings gegriffen. Heiliger Vater, ich möchte so gerne wieder einen Posten als Lehrerin für Klavierunterricht + Harmonielehrerin annehmen; aber bei uns in Deutschland findet sich in Klöstern nichts Geeignetes. Jetzt dachte ich: muss ich mal dem guten Heiligen Vater schreiben, ob sich in Italien nichts Passendes finden liesse. Die Klöster in Deutschland haben meistens klösterliche Kräfte, + diejenigen Orden, die auch
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weltliche Lehrkräfte anstellen, bezahlen sehr gering diese Kräfte, weil sie Musikstunden, wie auch andere Unterrichtsstunden, für die Schüler sehr billig honorieren. Natürlich bei der heutigen, fabelhaften Teuerung in Deutschland kann man mit so geringer Bezahlung mit dem besten Willen nicht mehr leben, + wenn die Lebensbedingungen noch so bescheiden sind, reicht einfach das Honorar nicht mehr aus. Hochverehrter Heiliger Vater, ach bitte, könnten Sie mir vielleicht einen Posten als Klavierlehrerin verschaffen? Ich weiss, dass wenn Sie es können, dann tun Sie es sicher; Sie haben ja ein gutes, mitleidiges Herz! Haben Sie meinen letzten Brief auf Weihnachten erhalten? Gell, nicht wahr, Heiliger Vater, ich bin ein Quäl-
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geist? Aber nichtsdestoweniger will ich Sie belästigen; ich möchte Ihnen ja nur mein Herz ausschütten; denn ich habe grosses Vertrauen zu Ihnen. Zurzeit leide ich seelisch kolossal viel. Alles ist tiefes Dunkel in mir; sonst habe ich immer in meiner Seele den lieben Jesus gespürt + jetzt – ist alles so ruhig + Todesstille durchzieht meine Seele. Ich weiss mir manchen Tag nicht zu helfen. Dabei quält mich innerlich grosse Trockenheit + Geistesdürre, dass ich als fast verzweifeln möchte. Nur der Gedanke an Gottes Vatergüte + seine Vorsehung hält mich aufrecht. Nebenbei plagen mich innere Kämpfe: eine Stimme sagt mir immer: "Du bist nicht am rechten Platz; Du sollst Klavierlehrerin sein."
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Und doch finde ich nichts Passendes. Ich muss drum so lange Geduld haben + zu Hause bleiben bei den lieben Eltern. Als ich meinen Klavierlehrerberuf studierte, fragte ich, bevor ich an die Hochschule ging, das hl. Herz Jesu an einem Donnerstag Abend, es solle mir doch heute Nacht sagen, ob ich's recht mache, wenn ich Lehrerin werde. Ich muss nebenbei bemerken, dass mir das hl. Herz Jesu schon viel Beweise seiner Liebe gegeben hat durch innere Ansprachen, Erleuchtungen, Gebetserhörungen + einmal sogar ganz wunderbar sich mir kundtat. Nur zur Sache. Nachts wachte ich auf, + - ich fragte das hl. Herz Jesu:
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"Sage mir doch: ist es recht, wenn ich Lehrerin werde?" Dann – – – ich war sprachlos: eine Stimme sagte ganz laut + langsam – ich war vollständig wach –: "Du gehst nach Mannheim (Hochschule), wirst Lehrerin; Du bist ein paar Jährle (Jahre) Lehrerin; dann stirbst Du." Ich war wie zerschmettert; nach einiger Zeit schlief ich ein. Am andern Morgen sagte ich: "Ja, hl. Herz Jesu, soll ich lieber hier bei Vater + Mutter bleiben u. im Haushalt helfen + ich habe keine Freude am Haushalt; soll ich dies Opfer bringen? Und die Stimme sprach auf's Neue: "Und euer Lohn wird gross sein im Himmel." Ich sagte es meinem Seelenführer; er sagte: "So wie er meinen Seelenzustand beurteile, vielleicht in 7-8 Jahren sterbe ich; und das war im Jahre 1920. Was sagen Sie, lieber Heiliger Vater, dazu? Ich schreibe Ihnen das mit Vertrauen. – – –
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Für heute, lieber Heiliger Vater, seien Sie in aller Ergebenheit gehorsamst gegrüsst von
Euerer Heiligkeit
dankbare Tochter
Martha Zell.
146r über dem Text hds. von unbekannter Hand notiert: "Nr. 1"
Empfohlene Zitierweise
Zell, Martha an PiusXI. vom 28. Januar 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 11075, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/11075. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 23.07.2014.