Dokument-Nr. 12198
Poggenburg, Johannes an Pacelli, Eugenio
Münster, 21. Mai 1920

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Euer Exzellenz
erlaubte ich mir unter dem 10. Dezember 1919 die Schrift "Kritische Erörterungen über den katholischen Religionsunterricht an den höheren Schulen" von Dr. Wilbrand, Geistlicher Oberlehrer und Religionslehrer, zu übersenden mit der Bitte, sie dem Urteile des Apostolischen Stuhles unterbreiten zu wollen.
Wenn nun auch die inzwischen verflossene Frist erst 5 Monate beträgt, so glaube ich doch mit Rücksicht auf die eigenartigen in diesem Falle vorliegenden Verhältnisse schon jetzt auf die Angelegenheit zurückkommen zu sollen.
Dr. Wilbrand unterrichtet nicht an einer staatlichen oder städtischen Schule, sondern an der einzigen in der hiesigen Diözese bestehenden bischöflichen gymnasialen Lehranstalt zu Gaesdonck, die in Rheinland und Westfalen bisher als hervorragend katholische Anstalt das grösste Vertrauen genoss und im höchsten Ansehen stand. Alle Lehrer sind Priester und werden nur vom Bischof ernannt.
In katholischen Kreisen hat es darum den peinlichsten Eindruck gemacht, dass gerade von einem Lehrer dieser Anstalt eine solche Schrift veröffentlicht wurde. Ich habe nun verordnet, dass
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Dr. Wilbrand keinen Religionsunterricht mehr erteilt, glaubte aber weitere Entschliessungen zurückstellen zu sollen, bis von der obersten kirchlichen Behörde das Urteil über die Schrift vorliege. Von einer Abberufung von der bischöflichen Anstalt hat mich hauptsächlich die Erwägung zurückgehalten, dass er alsdann gewiss baldigst an einer staatlichen Anstalt Anstellung finden werde, wo seine Tätigkeit auf die Schüler erheblich ungünstiger einwirken würde.
Inzwischen ist nun die Schrift in die Hände vieler junger Leute gekommen, die entweder noch die Gymnasien oder ähnliche höhere Schulen besuchen oder den akademischen Studien an den Universitäten obliegen. Nach dem Urteile nicht nur der Seelsorger, Religionslehrer und Theologieprofessoren der Universität, sondern auch vieler einsichtiger weltlicher Lehrer und Direktoren, erregt die Lektüre des Buches gerade in diesen Kreisen schwere religiöse Zweifel. Dazu ist der Inhalt der Schrift und die ganze Art der Behandlung derartig, dass den Schülern das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit ihrer Religionslehrer genommen, oder mindestens sehr geschwächt und dadurch eine Glaubensfreudigkeit und bereitwillige Annahme der Glaubenswahrheiten sehr beeinträchtigt wird. Ich erlaube mir noch, in der Anlage eine Besprechung des Buches von Dr. Wilbrand durch Professor Dr. Meinertz ganz ergebenst beizufügen.
Gerade in den Kreisen der bestgesinnten Religionslehrer und weltlichen Direktoren erwartet man daher mit einer gewissen Ungeduld eine klare Stellungnahme des Bischofes gegen die Schrift und deren Verfasser und befürchtet von einer Verzögerung die grössten Nachteile.
Ew. Exzellenz werden aber mit mir gewiss der Ansicht sein, dass es mir daher sehr erwünscht sein muss, das Urteil der obersten Instanz zu kennen.
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Ich würde daher Ew. Exzellenz zu grossem Danke verpflichtet sein, wenn Hochdieselben bei der Congregatio S. Officii in diesem Sinne Anregungen geben könnten.
(gez.) Johannes.
Empfohlene Zitierweise
Poggenburg, Johannes an Pacelli, Eugenio vom 21. Mai 1920, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 12198, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/12198. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 31.07.2013.