Dokument-Nr. 12743

Knoch, Sigmund: [Kein Betreff]. Speyer, 12. Dezember 1922

Abschrift
Vormerkung.
Am 6. lfd. Mts. fand sich bei mir der Expositus von Eppenbrunn, Bezirsksamts Pirmasens ein und machte – in sichtlicher Bewegung – nähere Mitteilungen über die von farbigen Besatzungsangehörigen (Marokkanern) in seiner Pfarrgemeinde begangenen sittlichen Ausschreitungen. Die sittliche Verwilderung habe erschreckende Formen angenommen. In seiner Gemeinde herrschten Zustände, die schlimmere Folgen hätten als wenn "die Cholera oder die Pest ausgebrochen wären." Die farbigen Soldaten hätten es insbesondere auf die Jugend zartesten Alters abgesehen. Der Lehrer der Volksschule, der am besten über diese Dinge unterrichtet sei und unmittelbar aus Kindermund die verschiedenen Einzelheiten erfahren habe, hätte ursprünglich die Absicht gehabt, heute mit nach Speyer zu kommen, um mit ihm zum französischen Provinzdelegierten, General de Metz, sich zu begeben. Der örtliche Delegierte in Pirmasens, bei dem er, Expositus, bereits gewesen, hätte diesen Rat gegeben.
Aus den in der Erzählung des Expositus beregten Einzelvorgängen wird hierher festgestellt:
Ein Schüler der 3. Klasse habe letzten Montag in der Schule erzählt, daß ihm ein Marokkaner 1000 M angeboten habe, wenn er ihm "ein Fräulein beschaffe."
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In der Volksschule hätten etwa 8–10 Knaben dem Lehrer mitgeteilt, daß ihnen größere Geldbeträge (300 - 500 - 1000 M) für den Fall versprochen worden seien, daß sie mit Marokkanern in den Wald oder auf die Wiese spazieren gingen.
In der Sonntagsschule seien es etwa 15 Buben, an die mit ähnlichen Anträgen von farbigen Soldaten herangetreten worden sei.
Als vor einiger Zeit ein farbiger Soldat mit einem Kinde über die Wiese ging und eine zufällig mit ihrem Kinde vorbeikommende Frau von einer dritten Person gefragt wurde, wohin der Soldat und das Kind gehen, habe die Frau erklärt: "Der Bub zeigt dem Soldaten wohl den Abort". Daraufhin habe das in Begleitung der vorerwähnten Frau befindliche Kind gesagt: "Nein, Nein, Mutter, die machen etwas ganz anderes. Der Bub zeigt ihm nicht den Abort."
Vor einiger Zeit sei ein 14 jähriges junges Mädchen von dem im gleichen Hause einen Stock höher einquartierten farbigen Soldaten wiederholt aufgefordert worden mit dem Soldaten in den ersten Stock hinaufzukommen.
Letzten Samstag habe ein Marokkaner einem 19 jährigen Mädchen 4000 M angeboten und dabei eine entsprechende Handbewegung gemacht.
Der gleiche Vorgang habe sich letzten Samstag gegenüber einer verheirateten Frau abgespielt.
Kürzlich sei auch ein 19 jähriger junger Mann, während er sich in einer Wirtschaft auf dem Abort befand, von einem Marokkaner belästigt worden. Der farbige Soldat habe ihm unter Anerbietung von 2500 M und 1 Silberfrankenstück unsittliche Anträge gemacht. Der Wirt sei darauf aus der Gaststube herausgekommen und habe dem Marokkaner ein paar Ohrfeigen gegeben.
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In Schule wie in Familie sei das Unwesen der Marokkaner die allgemeine Sorge. Seit gestern seien die Truppen abgezogen und würden wohl schon bald ersetzt werden. Er, Expositus, habe noch gestern mit dem zuständigen Offizier über das Verhalten der marokkanischen Truppen gesprochen und ihm erklärt, daß er, Expositus, sich nicht das Recht nehmen lassen werde von der Kanzel herab seine Pfarrgemeinde vor den Unholden eindringlichst zu warnen. Trotz all der vielen Ausschreitungen der letzten Zeit habe der Offizier von dem Bürgermeister beim Abmarsch das übliche Wohlverhaltenszeugnis gefordert. Als der Bürgermeister dies zunächst verweigert hatte, habe der Offizier bemerkt, daß die verlangte Bescheinigung sich nur auf Sache und nicht auch auf moralische Schäden beziehe. Daraufhin habe der Bürgermeister sich bereit finden lassen das ihm vorgelegte Formblatt eines Wohlverhaltenszeugnisses zu unterschreiben, habe jedoch am Rande dem Sinne nach etwa Folgendes beigeschrieben: "Da von Seiten des Lehrers und des Pfarramtes Klagen über die Soldaten eingegangen sind, daß sie sich an einer Anzahl von Jünglingen und Knaben mit unsittlichen Anträgen unter Anbietung von Geldbeträgen herangemacht haben, ist es unmöglich, das Zeugnis in vollem Umfange zu unterschreiben. Im übrigen bestehen keine weiteren Klagen." Der Offizier habe sich mit diesem Zeugnis abgefunden.
Der Expositus bemerkte, daß man wegen Einzelheiten sich am besten an den Lehrer von Eppenbrunn wende. Er selbst habe bis jetzt von einer Befragung der Kinder über die verschiedenen Vorkommnisse im allgemeinen abgesehen. Wenn auch der zarte Schleier, mit dem die Vorsehung die Unschuld des Kindes decke, bei dem einen
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oder anderen der Schüler mit roher Hand bereits bloßgelegt und aufgedeckt sei, so wolle er für seine Person doch alles vermeiden, was das Uebel vermehren und an die Stelle vielfach noch unbewußter Vorstellungen die nackte Erkenntnis setzen könnte. Auf der anderen Seite aber fühle er, Expositus, im Gewissen die heilige Pflicht als Seelsorger alles zu tun, um seine Pfarrgemeinde und vor allem die von sündhaftem Sittenverderb bedrohte Jugend, das Deutschland von morgen, zu retten. Zu diesem Ende habe er die Reise nach Speyer getan, um hier dem französischen Provinzdelegierten, General de Metz, seine Bekümmernisse vorzutragen. Zwar sei für den Augenblick mit dem gestern erfolgten Abzug der Truppen die Gefahr gebannt, aber schon binnen kurzem könne das schleichende Gift, das man seiner Pfarrgemeinde eingeträufelt, neue Nahrung erfahren. Er wolle deshalb den Provinzdelegierten vor allem bitten, daß die für den Truppenübungsplatz Ludwigswinkel bestimmten Soldaten nicht in Dörfern wie Eppenbrunn usw. untergebracht werden, weil die ländliche Bauweise ein enges Zusammenwohnen bedingt.
Ich dankte dem Expositus für seine Mitteilungen und fügte bei, daß die Regierung der Pfalz – in voller Würdigung der hohen sittlichen Bedeutung ihrer Verantwortung – schon vor geraumer Zeit die Aufmerksamkeit des Provinzdelegierten auf die Ausschweifungen der in und bei dem Truppenübungsplatz Ludwigswinkel einquartierten farbigen Soldaten gelenkt habe, ohne allerdings vom Provinzdelegierten eine Antwort zu erhalten. Gerade aus diesem Grunde seien die vom Expositus berichteten Einzelheiten von besonderem Werte. Sie bedeuten für die von der Regierung der Pfalz erhobenen Vorstellungen eine umso wirkungsvollere Unterstützung als vor geraumer
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Zeit Generalvikar Molz mir erzählt habe, daß – wie das Pfarramt Waldfischbach berichtet habe – die Verhältnisse in der Ecke von Ludwigswinkel nicht so schlimm seien, als vielfach behauptet werde. Ich versicherte dem Expositus, daß die Pfalzregierung aus seinem dankenswerten Schritte Anlaß nehmen werde erneut einen Vorstoß sowohl bei dem Provinzdelegierten der Pfalz als auch durch Vermittlung des Reichskommissars in Coblenz bei der Rheinlandkommission zu unternehmen. Unter diesen Umständen halte ich einen persönlichen Besuch des Expositus bei General de Metz nicht für veranlaßt.
Der Expositus erwiderte von seinem Vorhaben nicht abstehen zu können. Es sei für die sittliche Wohlfahrt seiner Pfarrgemeinde Gefahr in Verzug. Er wolle in aller Eindringlichkeit General de Metz die Verwüstungen schildern, die man unter der ihm anvertrauten frühesten Jugend angerichtet habe. Er glaube bestimmt, daß General de Metz helfen werde.
Ich belehrte des Längeren den Expositus über die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Militärbehörden und den Delegierten der Rheinlandkommission mit dem Beifügen, daß im übrigen der Provinzdelegierte schon längst von der Pfalzregierung mit den Verhältnissen in und bei Ludwigswinkel befaßt worden sei. Eine Aussprache zwischen dem Expositus und General de Metz könne unter diesen Umständen dem deutschen Interesse nicht so sehr dienlich als abträglich sein. Ich hielte es vielmehr für das Gegebene, daß der Expositus seinem Bischof in Speyer und vielleicht noch dem Domprobst Brehm sofort eingehenden Vortrag halte. Ich für meine Person würde mich dann mit dem Bischof wegen des weiteren Vorgehens ins Benehmen setzen.
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Nur zögernd verstand sich schließlich der Expositus dazu diesen Rat zu befolgen.
Wenige Tage später erfuhr ich von anderer Seite, daß nach einer vom Lehrer von Eppenbrunn stammenden Mitteilung ein nicht geringer Teil der Schulbuben in Eppenbrunn geschlechtlich mißbraucht, ein anderer Teil geschlechtlich angesteckt sei.
Heute, den 12. lfd. Mts., besprach ich mich zunächst mit Domprobst Brehm, der vom Expositus bereits mündlich über die Vorgänge unterrichtet worden war. Der Probst schloß sich für seine Person durchaus der Auffassung an, daß der Bischof von Speyer in dieser Angelegenheit – unabhängig von den Schritten der Regierung – auch seinerseits aus der bisher beobachteten Zurückhaltung heraustreten müsse, wenn anders nicht eines Tages die öffentliche Meinung die Frage aufwerfen solle, was die Kirche zum Schutze der ihr anvertrauten sittlichen Güter unternommen habe. Er, Probst, habe übrigens bereits mit dem Bischof gesprochen und sei für seine Person gerne bereit, seinen persönlichen Einfluß im Kapitel dahin geltend zu machen, daß die oberhirtliche Stelle in Speyer gegenüber den vorerwähnten Zuständen und Gefahren nicht tatenlos zusehe, vielmehr selbständig vorgehe.
Nachmittags desselben Tages besuchte ich in der Angelegenheit den Bischof von Speyer und trug zur Erwägung vor, ob nicht – nachdem alle Proteste der weltlichen Stellen bis jetzt ungehört verhallt – ein
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geschlossenes Vorgehen der an der Frage der farbigen Besatzung gleichmäßig interessierten Bischöfe des besetzten Gebietes in Betracht gezogen werden wolle. Nachdem gerade auch in Trier fortgesetzt sittliche Ausschreitungen von Spahi's sich ereignen, die noch in diesen Tagen dem Reichskommissar Anlaß zu einer erneuten Vorstellung bei der Rheinlandkommission gegeben hätten, nachdem weiterhin vor kurzem erst in Hessen (Gossenheim) schwere Ausschreitungen farbiger Soldaten festgestellt worden seien, könnte ich mir denken, daß für ein gemeinsames Vorgehen der Bischöfe von Speyer, Trier und Mainz im Benehmen mit dem Herrn Kardinalerzbischofe der augenblickliche Zeitpunkt besonders günstig sei. Ich wüßte wohl, daß auf der letzten Kulturkonferenz in Fulda die Bischöfe feierlich Verwahrung eingelegt hätten gegen die farbige Besatzung im allgemeinen. Nunmehr aber dürfte es gelten einen Schritt weiter zu gehen. Unzweifelhaft am wirksamsten würde es vielleicht sein, wenn es möglich sein sollte, die Hilfe und Vermittlung des heiligen Stuhles anzurufen. Sollte dieser Schritt nicht gangbar sein, so käme vielleicht in Betracht, ob nicht ein gemeinsamer Protest der kirchlichen Oberhirten durch die Hand des Reichskommissars der Rheinlandkommission in Coblenz übermittelt werden soll.
Der Bischof bemerkte, daß er mit schwerer Sorge schon seit längerer Zeit die Einwirkung der farbigen Besatzung auf die öffentliche Moral verfolge. Noch vor kurzem als der Expositus von Eppenbrunn bei ihm gewesen, habe er diesem gesagt, daß in dieser – zu den heiligsten Pflichten der Kirche gehörigen – Frage die geistlichen Stellen die Initiative den weltlichen Behörden keinesfalls überlassen dürften, vielmehr ihre eigene Verantwortung wahrzunehmen hätten. Er habe dem Expositus gegenüber sein Befremden zum
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Ausdruck gebracht, daß nicht auch der in erster Linie betroffene Pfarrer von Waldfischbach schon längst in Speyer vorstellig geworden sei. Noch vor kurzem habe er, Bischof, im Kapitel zum Ausdruck gebracht, daß er nicht gewillt sei gegenüber den Vorgängen in und bei Ludwigswinkel untätig die Augen zu schließen. Er habe damals einem seiner Dignitäre den Auftrag gegeben den Dingen nachzugehen; der Betreffende habe indess wegen anderweitiger Verhinderung den Auftrag bis jetzt nicht vollziehen können. Er habe deshalb vor wenigen Tagen den Expositus von Eppenbrunn die Weisung gegeben, eingehende und unbedingt zuverlässige Feststellungen über die Einzelheiten zu treffen und nach Speyer entsprechende Vorlage zu erstatten, damit er, Bischof, auf Grund dieser Unterlagen das weitere Vorgehen erwägen könne. Er habe übrigens schon diesen Sommer gelegentlich des deutschen Katholikentages in München Anlaß genommen, dem Päpstlichen Nuntius in München seine ernste Sorge wegen der farbigen Besatzung zum Ausdruck zu bringen. Noch kürzlich habe er bei der Caritastagung in Köln auch mit dem Kardinalerzbischof sowie mit dem neuen Bischof von Trier über diese Dinge gesprochen. Während der erstere für die Verhältnisse der englischen Zone im allgemeinen zu besonderen Klagen keinen Grund hatte, habe ihm der Bischof von Trier erzählt, daß ihm die in Trier liegende Spahi's schwere Not bereiten. Er. Bischof, glaube deshalb, daß der Gedanke eines gemeinsamen Vorgehens der kirchlichen Oberhirten durchaus geeignet sei, nährer Prüfung unterstellt zu werden. Er, Bischof habe übrigens schon seit langem sich mit einer derartigen Absicht getragen. Zunächst bitte er, daß die Regierung der Pfalz das vom Bezirksamt Pirmasens vorgelegte Einzelmaterial ihm für kurze Zeit überlasse,
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damit er dann in der Lage sei, zunächst mit Trier und Mainz sich zu besprechen.
Ich sicherte dies zu.

An den
Herrn Staatssekretär B rugger
für die besetzten rheinischen Gebiete
in Berlin .
Persönlich!
Abdruck für sehr gefällige Kenntnisnahme ergebenst überreicht im Nachgang zu den am 9. vor. Mts. Euer Hochwohlgeboren bei dem Besuche in Speyer übergebenen Vorgängen über die Verhältnisse auf dem Truppenübungsplatz in Ludwigswinkel. Auf die mit Schreiben Nr. 1980 vom 14. Vor. Mts. Herrn Ministerialrat Mayer übersandten ergänzenden Mitteilungen darf ich Bezug nehmen.
gez. Dr. Knoch.

An den
Herrn Reichskommissar für die besetzten
rheinischen Gebiete
in Coblenz.
Abdruck für gefällige Kenntnisnahme ergebenst überreicht. Auf mein Schreiben nR. 1914 vom 30. Oktober lfd. Js. nehme ich ergebenst Bezug.
gez. Dr. Knoch.

An das
Staatsministerium des Aeußern
(Staatskommissar für die Pfalz)
München .
Abdruck für geneigte Kenntnisnahme überreicht.
gez. Dr. Knoch.
Empfohlene Zitierweise
Knoch, Sigmund, [Kein Betreff], Speyer vom 12. Dezember 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 12743, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/12743. Letzter Zugriff am: 29.03.2024.
Online seit 24.10.2013.