Dokument-Nr. 12759
Flaisch, Bernhard an Pius XI.
Reutlingen, 25. Dezember 1922

Lieber guter hl. Vater!
Wohl werden Sie lb Vater noch nie einen Brief von so niedriger armer Hand erhalten haben, wie meinen, Sie werden deshalb entschuldigen wenn ich meine bittere Not Ihnen guter Vater anheim stelle u. klage. Ich bin Familienvater von nur 2 Kinder 2 Knaben sind Gott sei gedankt gestorben ud. in einer besseren Heimat, bin der Sohn armer Taglöhners leute von Unlingen o/A Riedlingen sind 11 Geschwister von dehnen 2 Schwestern im Kloster Untermarchtal sind, ich seidt Sept. 1917 Invalide u. bekomme im Monat sag u. schreibe 302,80 MK
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daß solche geringe Unterstützung niemals hinreicht eine Familie auch nur auf die ärmste Weise ernähren zu können bei solchen trostlosen Verhältnissen ist ausgeschlossen. Ich sollte sehr notwendig ein Bett haben für eines meiner Kinder, eins ist 4 ½ – das andere l4 ½ Jahr leider kostet eins das mindeste 40-50.000 MK, woher soll ich es nehmen? Unsere arme Diasporagemeinde in Reutlingen kann u. will ich nicht in Anspruch nehmen, weil ich vor dem Krieg recht opferwillig wahr u. mich sozusagen schäme.
Ich weiß zwar nicht, ob mein lb. guter hl. Vater in der Lage ist, wenn ich eine Bitte an ihn richte, mir was geben kann, weil Sie ja auch nur von dem Peterspfennig leben, sollte es aber in Ihrer
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Macht stehen so bitte ich Sie hinfällig sind Sie so gut u. kommen Sie einer kranken Familie zu Hilfe u. tun Sie was in Ihrer Macht steht wenn ich auch ein Schwabenkind von Ihnen bin. Es ist gewiß keine Frechheit von mir, sondern nur die bitterste Not treibt mich dazu, meine kranke Frau u. ein schwer augenleidendes Kind ich selbst untauglich in ein Geschäft zu gehen treibt mich zu diesem Brief. Von unseren unerhörten Preisen werde ich nichts erwähnen müssen da ich glaube, daß mein guter hl. Vater schon davon Kenntnis hat. Sollten Sie aus gewissen Gründen nichts tun können, so bitte ich meinen Obersten Hirten, es für sich im Herzen zu behalten, mir aber u. meiner Familie den Seegen zu
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senden, gerne möchte ich nur den Saum meines hl. Vaters küssen u. dann sterben damit das Elend ein Ende hätte. Hatte dieses Jahr das traurigste Weihnachten, das ich je erlebte, es wäre doch himmlisch wenn das lb. Christkind nachträglich was bringen würde mein Weib u. Kinder wissen ja nichts von diesem Brief umso größer wäre die Freude.
Indem ich Sie von Herzen Grüße u. ein gesegnetes neues Jahr wünsche verbleibe ich Euer anvertrautes Schäflein
Bernhard Flaisch
Empfohlene Zitierweise
Flaisch, Bernhard an PiusXI. vom 25. Dezember 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 12759, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/12759. Letzter Zugriff am: 04.05.2024.
Online seit 23.07.2014.