Dokument-Nr. 13569
Schmidt-Ott, Friedrich an Pacelli, Eugenio
Berlin, 28. Dezember 1922

Ew. Excellenz!
Auf Anregung Ew. Excellenz hatte die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft in einem Bericht an Se. Heiligkeit die schwierige und gefährdete Lage der wissenschaftlichen Forschung in Deutschland dargelegt. Dieser Bericht wurde durch die freundliche Vermittlung Ew. Excellenz['] an den Heiligen Vater weitergereicht und fand huldvollste Aufnahme. Die Notgemeinschaft hätte wohl kaum ein solches Entgegenkommen erwarten dürfen, wenn nicht die ganze Angelegenheit von Ew. Excellenz mit besonderer Hingabe gefördert worden wäre. Für diese gütige Hilfsbereitschaft wollen Ew. Excellenz des verbindlichsten und herzlichsten Dankes versichert sein.
Die hochherzige Teilnahme Seiner Heiligkeit an dem Schicksal der deutschen Wissenschaft wurde so recht offenbar in der Privataudienz, die der Heilige Vater Herrn Geh. Rat Keh r, der als Generaldirektor der Preuss. Staatsarchive und als Mitglied der Preuss. Akademie der Wissenschaften dem Hauptausschusse der Notgemeinschaft angehört, am Sonntag, den 22. Oktober zu gewähren geruhte. Wie Geh. Rat Kehr voll Freude berichtet hat, bekundete Se. Heiligkeit trotz der vielen Sorgen und Pflichten, die auf ihm lasten, ein überaus lebendiges Interesse für die Notgemeinschaft und den Aufgabenkreis der Wissenschaft.
88r
Die Notgemeinschaft glaubt nicht fehlzugehen in der Annahme, dass es Seiner Heiligkeit nicht unerwünscht ist, wenn wir jene Darlegungen vom August ergänzen. Zur allgemeinen Orientierung erlaubt sie sich, ihren Jahresbericht und das Stenogramm der Reichstagsverhandlungen über die Not der deutschen Wissenschaft beizulegen. Immer mehr erwacht die Einsicht in die Wesensbestimmung wissenschaftlicher Forschung, die sich mit dem Werden und Gedeihen nicht nur der ideellen, sondern auch der materiellen Kultur in untrennbarer Verflechtung befindet. Da der Heilige Vater nach dem Bericht des Geh. Rat Kehr sich besonders nach dem Stand der Arbeiten am "Thesaurus linguae latinae" erkundigte, erlaube ich mir, einen eigenen Bericht über diese Unternehmen in der Anlage beizufügen. Während der Jahresbericht von den Bestrebungen und Erfolgen der Notgemeinschaft sowie vom Mut neubelebter Forschung Zeugnis ablegt, vermitteln die Verhandlungen im Reichstag vom 15. November eine wirklich eindringliche Schilderung der Notlage in den verschiedensten Zweigen der Wissenschaft, insbesondere die Rede des Abgeordneten Prof. D. Dr. Schreiber, der im Auftrage des Zentrums die Interpellation über die Not der deutschen Wissenschaft begründete, verschafft genauen Einblick in die Krise und die Probleme der deutschen Forschung und in den Aufgabenkreis der Notgemeinschaft. Möge es gestattet sein, auf diese Darlegungen hinzuweisen. Hinzufügen kann man nur, dass sich seither die Verhältnisse sowohl in den naturwissenschaftlichen wie geisteswissenschaftlichen Disziplinen in rapid zunehmendem Grade verschlimmert haben. Sehr schmerzlich empfindet die deutsche Forschung die für sie besonders unheilvolle Valutasperre, die auch bei weiser Beschränkung der Aufgaben unentbehrlichen Studienaufenthalt unserer Gelehrten im Auslande nahezu unmöglich macht. Die Notgemeinschaft erwägt daher
89r
ernstlich den Ausbau der Forschungs- und Reisestipendien, aber gerade hier sieht sie sich sofort unüberwindlichen Schwierigkeiten gegenübergestellt. Selbst in einem verhältnismässig valutaschwachen Lande wie Italien ist es kaum möglich, unsere Arbeiten an Ort und Stelle weiter zu führen und die Notgemeinschaft empfindet mit besonderem Kummer, dass der einst so rege Verkehr zu den Schätzen der Vaticanischen Bibliotheken und des Vaticanischen Archivs, wo die deutsche Wissenschaft nur fast durch ein halbes Jahrhundert eine Hospitalität ohne Gleichen gefunden hat, jetzt fast ganz ins Stocken gekommen ist. Nicht nur unsere Profanwissenschaft leidet darunter schwer, auch der geistliche Nachwuchs an Theologen, christlichen Archäologen und Historikern schaut sehnsüchtig und zugleich ohnmächtig nach den Schätzen Roms aus. So traurig und niederdrückend alle die Verzichte sind, in die wir uns schicken müssen, um so freudiger und dankbarer hat die Notgemeinschaft die persönliche Intervention Sr. Heiligkeit begrüsst, deren Wert und Hilfe nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Erhebliche Summen hat Se. Heiligkeit Herrn Geh. Rat Kehr für die "Regesta Romanorum Pontificum" und Herrn Geh. Rat v. G rauert für die Forschungsaufgaben der Görresgesellschaft gespendet. Diese Förderung der Görresgesellschaft wurde von der Notgemeinschaft mit tiefer Befriedigung aufgenommen, da sie an der Aufrechterhaltung dieser Institution, deren Leistungen besonders auf geschichtlichem Gebiet die höchste Anerkennung finden, besonderes Interesse hat. Denn allein wäre die Notgemeinschaft nicht in der Lage gewesen, die finanzielle Krisis der Görresgesellschaft zu beschwören.
Aber vielleicht noch mehr als diese materielle Unterstützung bedeutet für uns die moralische Wirkung der Hilfsaktion Sr. Heiligkeit im In- und Auslande. Wir möchten
90r
unser Dankschreiben mit der zuversichtlichen Bitte schliessen, Se. Heiligkeit möge auch künftig der Notgemeinschaft diese moralische Hilfe angedeihen lassen.
In grösster Hochschätzung
Ew. Excellenz ganz ergebener
Dr. F Schmidt-Ott
Staatsminister.
Empfohlene Zitierweise
Schmidt-Ott, Friedrich an Pacelli, Eugenio vom 28. Dezember 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 13569, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/13569. Letzter Zugriff am: 06.05.2024.
Online seit 23.07.2014.