Dokument-Nr. 14022
Goerger OSU, Maria Clara an Pius XI.
Frankfurt am Main, 22. Juli 1923

Heiligster Vater!
Von dem Vertrauen beseelt, mit dem sich ein Kind in Not an seinen Vater wendet, wagt Ew. Heiligkeit gehorsamste Dienerin dem Vater der Christenheit und Freunde der Kinder demuetigst folgendes Anliegen vorzutragen:
Das Mutterhaus der Ursulinen, Frankfurt a/M., ist infolge der furchtbaren Teuerung, die durch die wirtschaftliche und politische Lage ueber ganz Deutschland gekommen ist, in sehr grosse Not geraten. Da mit dem Ursulinenkloster die beiden einzigen katholischen höheren Maedchenschulen der in der Diaspora gelegenen Grossstadt Frankfurt a/M. verbunden sind, hat sich zur Linderung dieser Not unter voller Gutheissung des zustaendigen Hochwuerdigsten Herrn Bischofs von Limburg a/Lahn aus Frankfurter Laienkreisen her-
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aus ein "Komitee zur Erhaltung des Ursulinenklosters" gebildet, dem es durch Haussammlungen und Veranstaltungen von Wohltaetigkeitskonzerten und –Bazaren bisher gelungen ist, groessere Summen zusammenzubringen. Indessen reichen alle diese Mittel nicht mehr zur Sicherstellung des Klosters und der Schulen aus.
Die Erhaltung der beiden einzigen katholischen hoeheren Maedchenschulen der Diaspora-Grossstadt Frankfurt a/M. ist aber von der allerhoechsten Wichtigkeit, weil in ihnen die gesamte katholische weibliche Jugend der grossenteils minderbemittelten katholischen Kreise von Frankfurt und der Umgebung ihre religioes-wissenschaftliche Ausbildung geniesst und deren Aufhebung infolge dessen den Katholiken der Diaspora-Grossstadt einen nicht wieder gut zu machenden Schaden braechte. Wohl wurde das Schulgeld den heutigen Zeitverhaeltnissen entsprechend sehr erhoeht, allein da das Kloster keine anderen Einkuenfte noch irgendeinen landwirtschaftlichen Grundbesitz sein eigen nennt, reichen die eingehenden Schulgelder auch
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nicht im mindesten zur Erhaltung der Schulen und des Klosters aus.
In derselben Notlage befinden sich auch die vom Mutterhaus abhaengigen Filialkloester Geisenheim a/Rhein mit Noviziat und Koenigstein im Taunus, denen ebenfalls die Erziehung der weiblichen Jugend obliegt. Doch wird die Not dieser beiden Filialkloester noch wesentlich gesteigert durch die Leiden, die die franzoesische Besatzung mit sich bringt, zumal da sie beide Kloester vom Mutterhause vollkommen trennt.
Fuer die Entgegennahme der Bitte legt zu den Fuessen Ew. Heiligkeit ihren tiefsten Dank nieder und erfleht demuetigst den apostolischen Segen fuer die Klostergemeinde und sich
Ew. Heiligkeit
gehorsamste Dienerin
M. Clara Goerger
Oberin der Ursulinen.
Empfohlene Zitierweise
Goerger OSU, Maria Clara an PiusXI. vom 22. Juli 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 14022, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/14022. Letzter Zugriff am: 05.05.2024.
Online seit 23.07.2014.