Dokument-Nr. 14135
Brauns, Heinrich an Pacelli, Eugenio
Berlin, 07. Dezember 1925

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Exzellenz!
Mir wurde gesprächsweise – allerdings nicht authentisch – mitgeteilt, dass der Hl. Stuhl in nächster Zeit sich vielleicht über Beziehungen der Katholiken zu sozialistischen Organisationen aussprechen wolle.
Die Richtigkeit dieser Mitteilung kann ich nicht nachprüfen, möchte auch glauben, dass es sich hier mehr um die Wünsche gewisser Kreise handelt. Da ich aber weiss, dass diese Kreise eine solche Kundgebung in negativem Sinne erstreben, halte ich mich für verpflichtet, auf die Gefahren hinzuweisen, die mit dem Begehren dieser Kreise in Deutschland unzertrennlich verbunden sind. Ich sehe dabei ab von jeder dogmatischen Stellungnahme zum Kommunistischen oder sozialistischen System – man muss heute die beiden scharf unterscheiden – und beschränke mich auf die Frage des gelegentlichen politischen Zusammenarbeitens mit der deutschen sozialdemokratischen Partei.
Ew. Exzellenz kennen die deutsche Verfassungslage. Sein und Nichtsein unseres Reiches liegt in der Hand des Deutschen Reichstages und einer von seinem Vertrauen getragenen parlamentarischen Regierung. Nachdem die deutschnationale Partei den Verträgen von Locarno ihre Zustimmung versagt hat, ist eine Mehrheitsbildung mit ihr für absehbare Zeit ausgeschlossen. Wir stehen aber vor einem Winter der katastrophal zu werden droht. Ein Unternehmen nach dem anderen geht in Concurs. Eine Fabrik nach der anderen muss ihre Tore schliessen. Die Zahl der Erwerbslosen - Unterstützte und nicht Unterstützte – beträgt schon jetzt rund eine Million. Dazu kommen 1,2 Millionen Angehörige. In den kommenden Monaten Januar und Februar werden diese Ziffern beträchtlich steigen. Die Mittel des Reiches, der Länder und Gemeinden sind erschöpft.
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Ueberall Deficit im Etat! Die öffentlichen Massenkundgebungen der Arbeitslosen, geführt von Communisten, mehren sich von Tag zu Tag. Wenn wir heute Wahlen vorzunehmen hätten, würden die communistischen Stimmen ungeheuer anwachsen.
Die Fortführung der Regierungsgeschäfte ist unter diesen Umständen ohne ein Zusammenarbeiten mit der grossen socialdemokratischen Partei, die für sich allein über mehr als den vierten Teil des Reichstages verfügt, undenkbar. Es muss sogar alles daran gesetzt werden, sie mitverantwortlich in die Regierung einzubeziehen, wenn wirtschaftlichen und letzten Endes auch politischen Katastrophen vorgebeugt werden soll. Wenn die relativ kleinen Mittelparteien die Verantwortung allein tragen müssten, und die Socialdemokraten noch obendrein mit irgendwelcher konkreten Begründung die Schuld an diesem Zustand den Mittelparteien, oder gar dem Zentrum, zuschieben könnten, wäre das insbesondere für das Zentrum und seinen Arbeiterflügel untragbar. Dazu kommt, dass den Arbeiterführern des Zentrums die Bemühungen der eingangs erwähnten Kreise nicht unbekannt geblieben sind. Das allein hat schon tiefgehende Bewegung hervorgerufen. Ew. Exzellenz wissen, dass ich keineswegs aus einer einseitigen politischen Einstellung zu Gunsten der Linksparteien diese Zeilen niederschreibe. Ich stehe nach wie vor fest auf dem überlieferten Boden des Zentrums. Um so mehr werden Ew. Exzellenz die Sorgen würdigen, die aus diesem Briefe sprechen. Eine Rücksichtnahme darauf wird unseren ideellen katholischen Interessen keineswegs schaden. Ich bin gerne bereit, auch diese Seite mit Ew. Exzellenz demnächst zu besprechen. Im Rahmen dieses Schreibens darf ich davon absehen.
Ew. Exzellenz
ehrfurchtsvoll ergebenster
gez. Dr. H. Brauns.
Empfohlene Zitierweise
Brauns, Heinrich an Pacelli, Eugenio vom 07. Dezember 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 14135, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/14135. Letzter Zugriff am: 04.05.2024.
Online seit 24.06.2016.