Dokument-Nr. 15529
Hunstiger, Wilhelm an Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn
Nordhausen, 19. Oktober 1925

Einem Hochwürdigsten Bischöflichen General Vikariate beehre ich mich, folgenden Beitrag zur Beleuchtung der religiös sittlichen Zustände unter den polnischen Kirchsengängern [sic] ganz gehorsamst zu unterbreiten:
In der Pfarrei Nordhausen sind auf etwa 30 Gütern gegen 400 polnische Arbeiter. Von diesen haben im Jahre 1923 etwa 100, 1924 etwa 120 die heiligen Altarsakramente empfangen. Zur Herbstpastoration am Rosenkranzfeste dieses Jahres sind auf schriftliche Einladung hin zum Hochamte und zur polnischen Predigt nur 120, zu den heiligen Sakramenten nur 70 gekommen. Es ist mir berichtet worden, daß die Mitteilung der Pastoration von manchen Leuten mit Hohn aufgenommen sei.
Daß solche Entartung auf religiösem Gebiete von schlimmen unsittlichen Zuständen begleitet ist, beweisen die Zahlen der unehelichen Kinder: 1923 waren es 24; 1924 wurden 30 geboren. Da die Mütter dieser Kinder schon bald nach der Geburt wieder zur Feldarbeit müssen, wurden die Kinder, – oft ein Dutzend in der Kaserne – einer allzu dürftigen "Pflege" überlassen, und ein großer
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Teil von ihnen stirbt schon im ersten Jahre.
Ähnlich liegen die Verhältnisse bei allen Polen in ganz Mitteldeutschland. In der Provinz Sachsen allein sind 30.000.
Diese schlimmen Zustände bedauern wir am tiefsten wegen unserer polnischen Glaubensbrüder selbst; sodann aber auch, weil sie die katholische Religion bei den Andersgläubigen arg in Verruf bringen.
Unter den Gründen, die diese religiöse und sittliche Verwilderung der Polen herbeigeführt haben, ist hauptsächlich die Schwierigkeit zu nennen, für sie die nötigen Heiratspapiere zu beschaffen.
Ich habe bei dem Hochwürdigsten Erzbischöflichen Konsistorium in Posen Papiere beantragt für folgende Leute:
1. Vincens Walczak und Caecilia Herfurt am 8. VI. 1925
2. Woiciech Błondek und Katharina Luzinska 9. VI. 1925
3. Joseph Młodzinski und Marianna Roszikon 9. VI. 1925
4. Bronislaw Figiel und Veronika Jendryszak 14. VI. 1925
5. Michael Iwan und Marianna Serkowska 30. VI. 1925
Bis heute, den 19. Oktober sind für keinen der vorstehenden Fälle die Papiere eingetroffen!
Dieses ist umso unverständlicher, als zu 3. u. 4. beide Geburtsurkunden mit eingeschickt wurden. Außerdem habe ich in den meisten Fällen um
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Beschleunigung geboten mit der Angabe, daß die Leute schon zusammenwohnen und Kinder haben. Im Fall unter Nr. 3 sind schon 5 Kinder vorhanden.
Die Leute kommen seit 2 Monaten oftmals und fragen, ob die Papiere noch nicht da seien. Da die Antwort immer negativ lauten muß, verlieren die Leute das Vertrauen zu uns oder ihrer Geistlichkeit in Polen. Sie denken, daß diese Stellen ihnen nicht helfen, aus ihrer sittlichen Not herauszukommen. Enttäuscht und verbittert gehen sie fort und schieben die Verantwortung für die Fortdauer ihres unsittlichen Verhältnisses den saumseligen Behörden zu. Welche Folgen diese Tatsachen für die katholische Kirche in Polen zeitigen müssen, liegt auf der Hand.
Man kann sich allerdings der Befürchtung nicht verschließen, daß auch kirchliche Stellen in Polen dieser furchtbaren Angelegenheit allzu lässig gegenüberstehen; und zwar aus folgenden Gründen:
1. Das Erzbischöfliche Konsistorium in Posen schrieb im Januar 1924 an das katholische Pfarramt in Ellrich, daß es vor der Sendung der Papiere erst die Stabilisierung der Mark abgewartet hätte[;] das Geld war wichtiger als die Errettung der Leute aus ihrer sittlichen Not.
2. Dasselbe Erzbischöfliche Konsistorium schrieb Ende Juni 1925 an das katholische Pfarramt in
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Nordhausen, daß wir im Juli keine Papiere mehr bestellen sollten, da das Konsistorium dann Ferien habe. Dieses wird auch wohl der Grund sein, weshalb obengenannte Anträge aus Monat Juni bis heute noch nicht erledigt sind.
3. In der Angelegenheit Walczak–Herfurt, die ich am 8. VI. abgesandt hatte, bekam ich vom Konsistorium einen vom 20. VIII. datierten, am 3. IX. auf der Post in Posen gestempelten Bescheid, daß die Urkunden nicht beschafft werden könnten, da ich den Pfarrort nicht angegeben hätte. Ich habe sofort geantwortet, daß wohl nicht erst 3 Monate vergehen müßten, bis mir diese Mitteilung gemacht werden konnte.
Wenn die Papiere schließlich Ende Oktober kommen sollten, ist es fraglich, ob die 5 Paare noch vor ihrer Abreise getraut werden können, da die standesamtlichen Formalitäten noch erledigt werden müssen.
Aus Äußerungen, die mir von dem hochwürdigen Redemptoristenpater Borchert in Heiligenstadt erzählt sind und in ähnlicher Weise auch durch das beiliegende Schreiben des Katholischen Pfarramtes Egeln bestätigt werden, ergibt sich auch, daß manche Polen sich in der Heimat nicht trauen lassen, weil dort von ihnen unerschwingliche
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Gebühren gefordert werden. Sooft ich durch das Erzbischöfliche Konsistorium in Posen Papiere erhalten habe, sind allerdings derartige Beträge nicht gefordert worden.
Um die Ehepapiere schneller zu erhalten, schreiben manche Polen an ihre Verwandten oder an den Pfarrer in der Heimat. Aber denn bekommen sie meistens nur den Geburts- und Taufschein, mit denen allein sie hier nicht heiraten können. Augenscheinlich wissen die Pfarrämter in Polen nicht, welche Urkunden und Beglaubigungen für die Ziviltrauung in Deutschland notwendig sind. Das beste Mittel, um die Besorgung der Papiere zu beschleunigen, wäre es, wenn alle polnischen Pfarrämter von ihren bischöflichen Behörden genaue Instruktionen und Formulare nebst Anweisung zu umgehender Erledigung erhielten.
Um der Gewissensnot der armen polnischen Saisonarbeiter abzuhelfen und das öffentliche Ärgernis zu beseitigen, haben schon manche deutsche Seelsorger schwere Opfer auf sich genommen, sind mit den Staatsgesetzen in Konflikt gekommen und zu Geldstrafe bezw. Gefängnis verurteilt worden. Um so weniger können wir es verstehen, daß polnische Stellen gegen das Elend ihrer eigenen Landsleute so gleichgültig sind.
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Ich handle im Sinne aller Seelsorger der mitteldeutschen Diaspora, wenn ich diese Not dem hochwürdigsten bischöflichen General Vikariate unterbreite mit der dringenden Bitte, geeignete Wege zu versuchen, daß endlich dem Unheil gesteuert wird.
Hunstiger, Dechant.
Empfohlene Zitierweise
Hunstiger, Wilhelm an Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn vom 19. Oktober 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 15529, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/15529. Letzter Zugriff am: 24.04.2024.
Online seit 24.06.2016.