Dokument-Nr. 15653

Berg, Ludwig: Vorschläge!
Für die Verteilung der von Sr. Heiligkeit Papst Pius XI. für die russische Emigrantenfürsorge zur Verfügung gestellten Summe von Lire 34.080 und M 2.745 ( - Lire 15.920) zus. 50.000 Lire (Schreiben Apostolische Nuntiatur Bayern, München 2. Juni 1925 No. 32.870 und Schreiben Sr. Eminenz Ad. Kardinal Bertram, Breslau 10. Juni 1925.)
. Berlin, 27. Juni 1925

A. Allgemeine Vorschläge.
1. Verteilung von Almosen, Lebensmitteln, Kleidungsstücken u.s.w. an die überaus grosse Zahl von sehr dürfigen [sic] und würdigen Emigranten und deren Familien.
2. Reisegebühren nach den Emigrantenlagern in Wünsdorf bei Zossen, Zelle in Hannover und kleineren Russenstationen in Dresden, Leipzig Remplin u.a. Ferner Besuche und Reisen nach den Instituten, welche russische Kinder aufgenommen haben u.a. Regensburg in Bocholt i.. Sittard, Haselünne.
3. Beschaffung von russische und deutsche Literatur zum Verteilen an die Interessenten.
4. Besondere Auslagen für den eingerichteten russischen Kirchenchor Saalmiete, Entschädigung für die Benutzung der Kapelle.
5. Einrichtung und Unterhaltung eines Büros.
N.B. Die für die vorstehenden Punkte notwendigen Gelder wurden bisheran mühselig zusammengebettelt. Auch fernerhin ist Unterzeichneter bemüht zu diesem Zwecke weitere Gaben zu sammeln.
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B. Unterkunft, Erziehung und Unterricht der russischen Jugend.
I. Grundsätzliches.
1. Die Eigenart der russischen Psyche nicht zerstören, sondern erhalten und fördern in glücklicher lebendiger Harmonie mit katholischem Denken, Fühlen und Leben.
Daher jedesmal nach Möglichkeit mehrere russische Kinder in einzelnen Instituten unterbringen, damit die Kinder durch russische Konversation, durch Studium der russischen Literatur und Kultur und durch speziell pastorale Leitung auf ihre spätere Missionarische Aufgabe -- Priester bezw. Laienapostolat -- vorbereitet werden.
2. Nach Möglichkei[t] die Elteren [sic] zur Zahlung eines kleinen Beitrages für die den Instituten und Schulen entstehenden Unkosten anhalten. "Quod gratis datur, gratis refudatur."
3. Von der Berliner Russischen Seelsorgzentrale aus in lebendigem Konnex bleiben mit den einzelnen Pensionaten und den russischen Kindern, um das ideale Missionarische Ziel stets vor Augen zu halten und praktische Erfahrungen zu verwerten. Letzteres gilt besonders für die Ferienzeit, wenn die Kinder bei den Eltern in Berlin weilen; Gleichzeitig indirekte Einwirkung auf die in starken Vorurteilen verhärteten Erwachsenen.
II. Konkrete Vorschläge.
1. Russische Knaben und Mädchen vor Beginn der Schulzeit (vom 1. bis zum 6. Jahre) erhalten Unterkunft im St.  Katharinenstift Berlin N.O. 55, Greifswalderstr. 18 (Dominikanerinnen, Mutterhaus Arenberg bei Ehrenbreitstein) und in
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dem katholischen Waisenhaus "Maria Schutz" Berlin-Wilmersdorf, Pfalzburgerstr. 18 (Vinzentinerinnen, Mutterhaus Köln-Nippes).
Mehrere Kinder sind dort schon untergebracht.
2. Russische Kinder, die noch Unterricht in den Volksschulfächern erhalten.
Die Knaben finden Aufnahme bei den Franziskanerbrüdern (Mutterhaus Bleyerheide, Holland), entweder in deren Waisenhaus Berlin N.W. 21, Turmstr. 44 oder in deren neuem Haus in Schöneiche b/ Berlin.
Die Mädchen wohnen in dem erwähnten katholischen Waisenhaus auf der Pfalzburgerstr. 18.
Auch in diese Häuser sind bereits russische Kinder aufgenommen.
3. Russische Knaben und Mädchen der vorerwähnten Abteilung (2.) oder andere, die vielleicht schon eine höhere Schule besuchen, erhalten die Möglichkeit zu weiteren Studien, fals [sic] sie dazu befähigt sind.
Die Knaben kommen zu den Kapuzinerpatres in Regensburg oder Bocholt i.W., oder in das Missionshaus Sittard bei Aachen. Elf Schüler sind bereits in diesen Anstalten und erhalten gymnasiale Ausbildung, zum Teil in dem dortigen städtischen Gymnasium.
Die Mädchen wohnen und studieren bei den Ursulinen in Haselünne bei Hannover, die dort Lyzeum, Oberlyzeum, Haushaltungsschule und landwirtschaftliche Frauenschule eingerichtet haben.
Vier russische Mädchen fahren am 4. Juli nach Haselünne um dort im Lyceum, Oberlyceum und in der Haushaltungsschule ihre Ausbildung zu erhalten.
Drei russische Mädchen mit höherer Schulbildung sind vorübergehend bei den "Hiltruper-Missionsschwestern" auf Konradshöhe bei
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Berlin-Tegel untergebracht.
4. Den Universitätsstudenten muss eine intensive Betreuung zuteil werden.
Zwei Studenten haben sich bereits für das Studium der kath. Theologie gemeldet, der eine ist z. Zt. noch orthodox und bekleidet die Stelle eines Sekretärs beim hiesigen orthodoxen Bischofs Tychon, hat seine theologischen Studien im orthodoxen Priesterseminar abgeschlossen und stand zu Kriegsbeginn vor der Weihe zum Priester der orthodoxen Kirche. Aufnahme zu St. Ottilien zur weiteren Ausbildung steht bevor, event. Anstellung im Orient ist von Rom aus in sicherer Aussicht gestellt.
Die Besprechungen mit fünf katholischen Studenten aus der Ukraine konnten, zum Teil aus finanziellen Gründen, noch zu keinem bestimmten Ergebnis führen.
Eine russische Dame, 25 Jahre alt, vorher orthodox, ist konvertiert. Sie besitzt eine höhere Bildung, beherrscht vier Sprachen und möchte als Missionsschwester in Steyl eintreten. Leider gestatten die häuslichen Verhältnisse noch nicht den Eintritt, da sie die einzige Ernährerin ihres orthodoxen Vaters und ihrer orthodoxen Stiefschwester ist.
Das beigefügte "Memorandum" 1925 gibt eine Übersicht über die Lage der russischen Studenten an den Hochschulen Deutschlands. Auf Wunsch des Rektors des hiesigen russischen Wissenschaflichen Institutes (Prof. Dr. Ing. Jassinski) hat Unterzeichneter zum Teil schon erfolgreiche Verhandlungen mit den zuständigen Ressorts im hiesigen Kultusministerium und im Auswärtigen Amt aufgenommen und ebenso mit den hiesigen Hochschulbehörden betreffend Erlass bezw. Ermässigung der Gebühren.
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An etwa 40 russische Studenten in Berlin wird freies Mittagessen in den hiesigen katholischen Krankenhäusern verabfolgt.
Durch die huldvollen Zuwendungen Sr. Exzellenz dem Apostolischen Nuntius Pacelli erhalten bereits seit etwa einem Jahr 16 russische Studenten in den Barakken auf der General-Pape-Str. fast ihren vollständigen Lebensunterhalt. Diese Studenten haben in der Barakke gemeinsame Küche eingerichtet und abwechselnd muss jeder Student an bestimmten Tagen die Mahlzeiten zubereiten.
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P.S. Dem Anscheine nach ist die oben genannte von Rom aus bewilligte Summe von Lire 50.000 (ca. 8.000 M) als eine einmalige Gabe anzusehen.
So ausserordentlich wertvoll diese huldvollstgewährte grosse Summe ist, so lassen sich die aufgestellten Vorschläge, besonders betreffend Unterkunft, Unterricht und Erziehung der russischen Jugend nur dann auf eine gesunde Basis stellen, wenn die Finanzierung des obigen Programmes auf mehrere Jahre hinaus sichergestellt ist.
Es ist daher an die hochwürdigsten Herren Bischöfe der Fuldaer Bischofs-Konferenz durch die Hand Sr. Eminenz Kardinal Bertram der Vorschlag einer jährlich zu zahlenden bestimmten Quote seitens der einzelnen Diözesankassen zur wohlwollenden Prüfung unterbreitet worden.
Ludwig Berg.
Empfohlene Zitierweise
Berg, Ludwig, Vorschläge! Für die Verteilung der von Sr.Heiligkeit Papst PiusXI. für die russische Emigrantenfürsorge zur Verfügung gestellten Summe von Lire 34.080 und M2.745 ( - Lire 15.920) zus. 50.000 Lire (Schreiben Apostolische Nuntiatur Bayern, München 2.Juni 1925 No. 32.870 und Schreiben Sr. Eminenz Ad. Kardinal Bertram, Breslau 10.Juni 1925.), Berlin vom 27. Juni 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 15653, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/15653. Letzter Zugriff am: 28.04.2024.
Online seit 24.06.2016.