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                            Schulte, Karl Joseph
                         
                        
                        Die Lage der deutschen Minderheiten in Rumänien und Jugoslavien verdient vom
        Standpunkte unserer heiligen Kirche aus eine tiefernste Beachtung.
Nach der kirchlichen Seite hin fühlen sich diese Minderheiten gedrückt und verlassen, zum Teil auch vergewaltigt. Sie rufen nach dem Schutze des kirchlichen Rechtes. Sie verlangen dringend den Religionsunterricht für ihre deutschgeborenen Kinder in der Muttersprache. Sie sehnen sich nach Predigt und Seelsorge in der Muttersprache. Sie verlangen nach Priestern, die ihre Muttersprache sprechen. Sie wünschen gleichzeitig eine ihrer Bedeutung und Bevölkerungszahl entsprechende Vertretung in der Hierarchie ihres Landes. Sie wollen eine Jugenderziehung in katholischen Schulen, in denen auch Unterricht in der deutschen Muttersprache gesichert ist. Die dem Naturrecht widersprechende kirchlich–kulturelle Unterdrückung, die in der Entziehung der Muttersprache gipfelt und damit den katholischen Minderheiten die Erfüllung ihrer heiligsten religiösen Pflichten erschwert, führt zu einer gesteigerten nationalen Reaktion gegen
Man erwärmt sich aber nicht bloss an dem Aufstieg der Minderheiten in den vormals russischen Ostsee-Provinzen, man sucht auch schon viel energischer als früher im Mutterlande eine Stütze für die Erhaltung der angestammten Kultur, wie andererseits die katholischen Minderheiten von Rom eine Hilfe zur Erhaltung der Muttersprache auf dem religiösen Gebiete erhoffen.1
Das Interesse für die im Auslande angesiedelten Deutschen hat sich seitdem im Mutterlande wesentlich gehoben. Die in fremde Staaten eingegliederten deutschen Minderheiten schöpfen daraus, im Zusammenhang mit der allgemeinen internationalen Minderheitsbewegung, einige Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lage.
Auf religiösem Gebiete sehen dagegen die katholischen Minderheiten immer noch mit grosser Sorge der Zukunft entgegen. Diese katholischen Minderheiten vergleichen ihre Lage mit den protestantischen Volksgenossen in der politischen Diaspora. Diese protestantisch-deutschen Kreise, z. B. in Siebenbürgen, besitzen eine gewisse kirchlich–kulturelle Autonomie; sie sorgen selbst für ihren deutschen Gottesdienst und geben sich ihre Kirchenverfassung, sie wählen ihre Geistlichen und berufen sie vielfach aus dem Deutschen Reiche;
Ihre eigene ungenügende kirchliche Lage vergleichen die katholischen Minderheiten missgestimmt mit der viel vorteilhafteren, weil selbständigeren Stellung ihrer protestantischen Volksgenossen. Sie stehen der Tatsache gegenüber, dass sie vielfach in ein Bistum eingebettet sind, dessen Bischof nicht nur nicht ihres Stammes ist, sondern manchmal antideutschen politischen Bestrebungen der nationalen Regierung bewusst oder unbewusst Vorschub leistet. Sie sehen es zum Beispiel im Banat ungern, daß sie vielfach von Priestern geleitet werden, die für die treubewahrte deutsche Frömmigkeitsart kein Interesse und Verständnis haben, die noch im Sinne des Ancien Régime die magyarische Kultur als überlegen betrachten, die die Gefahr der neuerobernden Kraft des protestantischen Auslandsdeutschtums nicht würdigen und verstehen. Daneben allerdings gibt es im Banat an-
Das religiös–sittliche Leben speziell der Minderheiten Rumäniens und Jugoslaviens steht sowieso
Werden diese elementarsten religiösen Grundrechte nicht von der kirchlichen Autorität garantiert, wird das Minderheitenrecht nicht nach der religiös-kirchlichen Seite irgendwie für diese deutschen Minderheiten gesichert, so ist nach den zuverlässigsten Informationen mit der Ausbreitung einer "Los von Rom-Bewegung" zu rechnen. Das ganze Milieu ist noch mit einiger Hoffnung auf Rom erfüllt, aber wenn diese Hoffnung fehlschlägt, wird dem Protestantismus eine reiche Ernte zufallen. Mit starkem Misstrauen begegnet man den beginnenden Konkordatsverhandlungen, in die der hl. Stuhl mit Jugoslavien und Rumänien eingetreten ist oder demnächst eintreten will. Man fürchtet, daß in diesen Verhandlungen für die Minderheiten nichts erreicht wird. Mit Hohn hat bereits einer der rumänischen Minister dem deutschen Abgeordneten des Minderheitengebietes des Banats, dem Abgeordneten Dr. Kräuter, mitgeteilt, man werde rumänische katholische Knaben in Altrumänien ausbil-3
Das Versagen der obersten Kirchenleitungen in der von den katholischen Minderheiten erhofften Hilfe zur Erhaltung der Muttersprache auf religiösem Gebiete (Seelsorge und Kindererziehung) wäre Wasser auf die Mühle der Gegner der Kirche, die das Vertrauen der Katholiken in die politische Unparteilichkeit des Hl. Stuhles zu erschüttern versuchen. Dass die Protestanten in dem trüben Wasser der nationalen Verhetzungen zu fischen suchen, liegt auf der Hand. Jedenfalls kann nicht übersehen werden, dass die katholische Presse Deutschlands und Oesterreichs diese Entwicklung der Minderheiten auf kirchlich-8
CJ Card Schulte,
Erzbischof von Köln. 
                        
                             
                        
                             
                        Online seit 29.01.2018, letzte Änderung am 26.06.2019. 
                    
    Dokument-Nr. 16331
Schulte, Karl Joseph
: Zur kirchlichen Lage der deutschsprechenden Katholiken in den deutschen
            sog. Minderheiten von Südost-Europa.. Köln, 08. Dezember 1926
                        Nach der kirchlichen Seite hin fühlen sich diese Minderheiten gedrückt und verlassen, zum Teil auch vergewaltigt. Sie rufen nach dem Schutze des kirchlichen Rechtes. Sie verlangen dringend den Religionsunterricht für ihre deutschgeborenen Kinder in der Muttersprache. Sie sehnen sich nach Predigt und Seelsorge in der Muttersprache. Sie verlangen nach Priestern, die ihre Muttersprache sprechen. Sie wünschen gleichzeitig eine ihrer Bedeutung und Bevölkerungszahl entsprechende Vertretung in der Hierarchie ihres Landes. Sie wollen eine Jugenderziehung in katholischen Schulen, in denen auch Unterricht in der deutschen Muttersprache gesichert ist. Die dem Naturrecht widersprechende kirchlich–kulturelle Unterdrückung, die in der Entziehung der Muttersprache gipfelt und damit den katholischen Minderheiten die Erfüllung ihrer heiligsten religiösen Pflichten erschwert, führt zu einer gesteigerten nationalen Reaktion gegen
57v
 die unverschuldete Eingliederung in einen
        fremden Staat. Einer friedlichen Entwicklung der neuen innerstaatlichen Verhältnisse und der
        internationalen Beziehungen ist damit nicht gedient. Zu einer europäischen
        Minderheitsbewegung haben sich bereits viele deutsche und auch nichtdeutsche Minderheiten
        zusammengeschlossen. Die beiden großen europäischen Minderheitskonferenzen, die in Genf
        tagten, haben das Interesse weiter politischer und kirchlicher Kreise für die Lage der
        Minderheiten geweckt. Deutsche in Lettland und in Esthland [sic], in Polen und in Litauen
        fühlen sich vereint mit den Deutschen in Italien, Rumänien und Jugoslavien. Eine Art
        A B C, eine Art Fibel des Minderheitenrechtes und Erstanfänge einer Literatur der
        deutschen Minderheitengebiete entwickeln sich, eine neue internationale komparative Methode
        der Rechtslage tritt in Erscheinung. Man vergleicht den Rechtszustand mit Lettland und
        Rumänien. Man erkennt als Ideal die kulturelle Autonomie der Deutschen in Esthland an, die
        tatsächlich etwas Vorbildliches und Grosszügiges besitzt, die eine Aussöhnung zwischen
        Nationalkultur und Minderheitenrecht bedeutet, und die auf das Bewusstsein aller politischen
        Minderheitsgruppen in europäischen Staaten als großartiger Anschauungsunterricht und als
        allgemein nachzuahmendes Beispiel58r
 Einfluss ausübt.Man erwärmt sich aber nicht bloss an dem Aufstieg der Minderheiten in den vormals russischen Ostsee-Provinzen, man sucht auch schon viel energischer als früher im Mutterlande eine Stütze für die Erhaltung der angestammten Kultur, wie andererseits die katholischen Minderheiten von Rom eine Hilfe zur Erhaltung der Muttersprache auf dem religiösen Gebiete erhoffen.1
Das Interesse für die im Auslande angesiedelten Deutschen hat sich seitdem im Mutterlande wesentlich gehoben. Die in fremde Staaten eingegliederten deutschen Minderheiten schöpfen daraus, im Zusammenhang mit der allgemeinen internationalen Minderheitsbewegung, einige Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lage.
Auf religiösem Gebiete sehen dagegen die katholischen Minderheiten immer noch mit grosser Sorge der Zukunft entgegen. Diese katholischen Minderheiten vergleichen ihre Lage mit den protestantischen Volksgenossen in der politischen Diaspora. Diese protestantisch-deutschen Kreise, z. B. in Siebenbürgen, besitzen eine gewisse kirchlich–kulturelle Autonomie; sie sorgen selbst für ihren deutschen Gottesdienst und geben sich ihre Kirchenverfassung, sie wählen ihre Geistlichen und berufen sie vielfach aus dem Deutschen Reiche;
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sie schaffen sich
        selbst deutsche kirchliche Wohltätigkeitsanstalten. Die deutsche Sprache vor allem ist für
        sie auch nach der religiösen Seite das einigende und stärkende Band. Sie haben, wie in
        Siebenbürgen, eine hochstehende deutsche Kultur geschaffen, die sich dessen wohl bewußt ist,
        dass gerade das religiöse und christliche Element eine unerlässliche Voraussetzung für die
        Befestigung des Deutschtums bildet.2Ihre eigene ungenügende kirchliche Lage vergleichen die katholischen Minderheiten missgestimmt mit der viel vorteilhafteren, weil selbständigeren Stellung ihrer protestantischen Volksgenossen. Sie stehen der Tatsache gegenüber, dass sie vielfach in ein Bistum eingebettet sind, dessen Bischof nicht nur nicht ihres Stammes ist, sondern manchmal antideutschen politischen Bestrebungen der nationalen Regierung bewusst oder unbewusst Vorschub leistet. Sie sehen es zum Beispiel im Banat ungern, daß sie vielfach von Priestern geleitet werden, die für die treubewahrte deutsche Frömmigkeitsart kein Interesse und Verständnis haben, die noch im Sinne des Ancien Régime die magyarische Kultur als überlegen betrachten, die die Gefahr der neuerobernden Kraft des protestantischen Auslandsdeutschtums nicht würdigen und verstehen. Daneben allerdings gibt es im Banat an-
59r
dere Priester, die jeden Nationalismus, sowohl den
        magyarischen wie den deutschen, mit aller Entschiedenheit ablehnen, die sich aber darüber
        klar sind, dass nur durch die Beibehaltung der deutschen Muttersprache im
        kirchlich-religiösen Leben die Erhaltung des deutschen katholischen Volksteils im
        katholischen Glauben möglich ist. Wirklich sind gerade die gewissenhaftesten und die geistig
        besonders hervorragenden Priester in den deutschen Minderheiten - einerlei ob sie in
        Elsass-Lothringen oder in Südosteuropa wohnen - der Auffassung, dass mit der
        national-staatlichen Beseitigung der deutschen Muttersprache gleichzeitig die katholische
        Religion einen unermesslichen Schaden erleiden werde, dass es für unsere katholische Sache
        einen schweren Schlag bedeutet, wenn die Meinung unter den deutschen Minderheiten noch mehr
        allgemein würde, dass wohl protestantischerseits Schutz zu finden sei, dass die Leitung
        unserer heiligen Kirche mehr auf die Ansprüche der siegreichen Nation als auf den Schutz der
        unterdrückten polititischen Minderheiten in ihren heiligsten und innersten Rechten Rücksicht
        nehme.Das religiös–sittliche Leben speziell der Minderheiten Rumäniens und Jugoslaviens steht sowieso
59v
in einer sehr starken Krise.
        Diese Krise geht von der ungünstigen volkswirtschaftlichen Lage aus. Es fehlt an Land, an
        Ackerfläche, an Grund und Boden. Die ehemals z. T. von der Kaiserin Maria–Theresia so
        gross angelegten Siedelungen brachten es zu einer numerisch starken Bevölkerung; sie haben
        auch mit steigender Bevölkerung viel Land zugekauft. Aber jetzt ist infolge der
        sog. Agrarreform bzw. infolge des Landraubes der jungen Nationalstaaten (Rumänien,
        Jugoslavien, Tschechoslowakei) kein Land mehr zu erwerben. Eine Folge davon ist die
        Einschränkung der Geburtenziffer, die gerade in vielen Bezirken der Minderheiten (d. i.
        in Rumänien, Jugoslavien, im östlichen Teile der Tschechoslowakei; daneben gibt es
        allerdings in einzelnen Bezirken noch Familien mit blühender Kinderzahl) einen
            erschreckenden Umfang angenommen hat. Im Banat ist stellenweise das
        Zweikindersystem durch das Einkindersystem ersetzt. Alles dies sind Quellen grosser
        sittlicher Gefahren, und es bedarf grundlegender sittlicher und religiöser Maßnahmen für
        diese deutschen Minderheitengebiete, für die auch die Mithilfe von musterhaften Vertretern
        des reichsdeutschen Klerus segensvoll werden kann. Zwei Priester der Diözese Rottenburg
        wirken seit kurzem bereits mit 60r
grossem seelsorglichen Eifer
        im Banat. Für die Bewältigung dieser Krise ist die deutsche Muttersprache als
        Unterrichtssprache, die katholische deutsche Schule und der Gottesdienst mit deutscher
        Predigt und Katechese gar nicht zu entbehren.Werden diese elementarsten religiösen Grundrechte nicht von der kirchlichen Autorität garantiert, wird das Minderheitenrecht nicht nach der religiös-kirchlichen Seite irgendwie für diese deutschen Minderheiten gesichert, so ist nach den zuverlässigsten Informationen mit der Ausbreitung einer "Los von Rom-Bewegung" zu rechnen. Das ganze Milieu ist noch mit einiger Hoffnung auf Rom erfüllt, aber wenn diese Hoffnung fehlschlägt, wird dem Protestantismus eine reiche Ernte zufallen. Mit starkem Misstrauen begegnet man den beginnenden Konkordatsverhandlungen, in die der hl. Stuhl mit Jugoslavien und Rumänien eingetreten ist oder demnächst eintreten will. Man fürchtet, daß in diesen Verhandlungen für die Minderheiten nichts erreicht wird. Mit Hohn hat bereits einer der rumänischen Minister dem deutschen Abgeordneten des Minderheitengebietes des Banats, dem Abgeordneten Dr. Kräuter, mitgeteilt, man werde rumänische katholische Knaben in Altrumänien ausbil-3
60v
den und sie in das deutsche Banat senden als künftige
        Pfarrer und Bistumsbeamte. Mit Erbitterung werden derartige rumänische Verlautbarungen in
        den führenden deutschen Kreisen erörtert. Besonders die katholischen intellektuellen Kreise
        der deutschen Minderheiten (die Laien, die freien Berufe) sind aufs tiefste verwundet. Sie
        senden ihre Söhne nach Deutschland. Diese Studenten kehren wenige Jahre später nach den
        heimatlichen deutschen Minderheitengebieten zurück und urteilen oft mit ätzender Kritik über
        deren auch nach der kirchlichen Seite hin desolate Lage. Trotz mancher Uebertreibungen,
        Zuspitzungen bei solcher Kritik hören die Volksgenossen doch den richtigen Kern heraus. Die
        Zurückgekehrten weisen darauf hin, wie hoch das Elternrecht im Mutterlande, in der deutschen
        Reichsverfassung, bewertet wird; dass gerade im Zeichen des Elternrechtes und des
        Naturrechtes die deutschen Katholiken ihren Schulpolitischen Kampf führen; wie aber in den
        breiten Gebieten der deutschen Minderheiten das Elternrecht und Naturrecht (Schulunterricht
        in der Muttersprache) nicht in Erscheinung treten darf; dass sich hier also im Katholizismus
        Dissonanzen und Unterschiedlichkeiten auftun, die unerträglich sind. Gerade die akademische
        gebildete Jugend 4
                            61r
dieser Minderheitsgebiete verweist auf die Vorteile der
        religiös–kulturellen Stellung, die der deutsche Protestantismus in den deutschen
        Minderheitsgebieten (vor allem in Siebenbürgen) besitzt. Es fallen bereits ebenso deutliche
        wie hässliche Aeusserungen aus diesen Kreisen katholischer Akademiker (laureati), die ihre
        Bildung in Reichsdeutschland genossen haben (besonders in Marburg, wo protestantische
        Theologen in Dingen des Auslandsdeutschtums führend sind), man müsse die katholischen
        deutschen Gemeinden religiös neu konstituieren, man müsse sie selbständig machen, man könne
        die deutschgegnerische Haltung von nationalistischen Professoren und Priestererziehern in
        den Priesterseminaren nicht mehr ertragen. Die Erbitterung der Unterdrückten wächst durch
        solche Reden bedrohlich. Besonders wird in Jugoslavien das Vordringen der altslavischen
        Kirchensprache mit großer Erbitterung betrachtet; diese Propaganda für altslavische Liturgie
        macht auch das einfache und schlichte deutschsprechende Volk kopfscheu. Der einfache Mann
        aus dem Volke und auch die ältliche schlichte Frau wie die religiös unterwiesene Jugend
        waren gewöhnt, das Evangelium und die Präfation in lateinischer Sprache zu hören. Man hat
        ihnen daran 5
                            61v
den Universalismus der heiligen katholischen Kirche erklärt.
        Nun sehen die den Einbruch der altslavischen Kirchensprache als eine Paralellaktion [sic] zu
        den politischen Unterdrückungen an, denen sie von Belgrad aus unterworfen sind. Sie
        protestieren in ihrer Presse, und diese Proteste werden von der reichsdeutschen Presse
        aufgenommen. Man will in diesen katholisch-deutschen Minderheitskreisen sicherlich nicht
        eine bewusste und gewollte "Los von Rom–Bewegung" (es ist viel tief überzeugter
        Katholizismus dort vorhanden), aber man kann doch nicht übersehen, daß eine ungeheure
        Erbitterung durch die Massen geht, dass eine Reihe hochstehender geistiger und kultureller
        Führer aus dem Laientum hier und da an eine neue kirchenpolitische Orientierung denken, die
            praktisch auf eine Abwendung von der Kirche hinauskommt. Dazu kommt das
        unheilvolle kulturelle Vordringen des, wie vorher angedeuteten, freiheitlich sich
        gerierenden Protestantismus, der den deutschen Minderheiten mit Vorträgen und Büchern, mit
        Besuchen und materiellen Unterstützungen so viele Vorteile und geistige Beeinflussung
        bringt. Wenn es im Laufe der Jahre in den deutschen Minderheiten des Südostens zu einer auch
        nur teilweisen Loslösung von der heiligen Kirche 6
                            62r
kommt, würde die Rückwirkung auf Reichsdeutschland ungeheuer
        sein. Darüber ist kein Wort zu verlieren. Diese Spannung zwischen Nationalität und Kirche
        würde auch die reichsdeutschen Katholiken in eine unbequeme Situation bringen. Sie würde
        zwar nicht die Treue der reichsdeutschen Katholiken im Glauben wankend machen können. Die
        Glaubensfestigkeit und Glaubensfreudigkeit dürfte im allgemeinen in den breiten Massen nach
        wie vor dieselbe bleiben, aber in den Kreisen der heranwachsenden studierenden Jugend könnte
        sich manche Einbusse vollziehen. Es würde eine Erstarkung des extremen politischen
        völkischen Sinnes kommen, die auch dem deutschem Katholizismus und der katholischen Kirche
        abträglich ist. Symptome machen sich bereits jetzt schon geltend. Professor Martin Spahn
        M. d. R. verlangt in einem Aufsatz "Reichskonkordat und Minderheiten" an recht
        beachtlicher Stelle (in "Das Deutsche Volk", Katholische Wochenzeitung für das gesamte
        deutsche Volkstum, Erster Jahrgang Nr. 33 vom 17. Oktober 1926, Verlagsort
        Berlin W 39, Motzstrasse 22), dass ein Reichskonkordat geschaffen werde, darin die
        Lage der deutschen Minderheiten im Auslande ausdrücklich geschützt werden müsse. Gewiss ist
        das eine absurde 7
                            62v
juristische Konstruktion, aber diese Aeusserung aus den
        führenden Kreisen der deutschnationalen Katholiken ist doch sehr beachtlich. "Das
        Reichskonkordat", also lautet der passus concernens, "muss zu einer Verständigung mit dem
        Hl. Stuhl über die kirchlichen Schulangelegenheiten nicht nur der zufälligen
        Staatsbevölkerung werden, die durch Friedensverträge heute in diesem, morgen in jenem
        Umfange aus dem Ganzen des deutschen Volkstums herausgeschnitten wird, sondern
        Hl. Stuhl [sic] und Deutsches Reich haben sich über die kirchlichen und Schulanliegen
        des gesamten deutschen Volkstums zu verständigen".Das Versagen der obersten Kirchenleitungen in der von den katholischen Minderheiten erhofften Hilfe zur Erhaltung der Muttersprache auf religiösem Gebiete (Seelsorge und Kindererziehung) wäre Wasser auf die Mühle der Gegner der Kirche, die das Vertrauen der Katholiken in die politische Unparteilichkeit des Hl. Stuhles zu erschüttern versuchen. Dass die Protestanten in dem trüben Wasser der nationalen Verhetzungen zu fischen suchen, liegt auf der Hand. Jedenfalls kann nicht übersehen werden, dass die katholische Presse Deutschlands und Oesterreichs diese Entwicklung der Minderheiten auf kirchlich-8
63r
kulturellem Gebiete mit steigender Besorgnis verfolgt. Alles
        in allem liegen schlimme Gefahrpunkte vor für den gesamten deutschen Katholizismus
        überhaupt, auf die den Hl. Stuhl in ebenso grosser Ehrerbietung wie Besorgnis
        aufmerksam zu machen dem gehorsamst Unterzeichneten vor Gott und seinem Gewissen als Pflicht
        erscheint.CJ Card Schulte,
Erzbischof von Köln.
1↑Rote Markierung am Rand dieses Absatzes.
                            
                            2↑Rote Markierung am Rand dieses Absatzes ab
            "Siebenbürgen".
                            
                            3↑Markierung mit Bleistift am
            Rand ab "wenn diese Hoffnung fehlschlägt".
                            
                            4↑Markierung mit Bleistift am gesamten Rand der Seite.
                            
                            5↑Markierung mit Bleistift am gesamten Rand der Seite und unter der
            letzten Zeile.
                            
                            6↑Markierung mit Bleistift am Rand
            der Seite von Beginn bis "Abwendung von der Kirche hinauskommt".
                            
                            7↑Markierung mit Bleistift am Rand der Seite von "Symptome" bis zum
            Ende der Seite und unter Professor Martin Spahn M. d. R.
                            
                            8↑Markierung mit Bleistift am Rand der
            Seite unter "doch sehr beachtlich"; von "Verständigung mit dem Hl. Stuhl" bis
            "Volkstums zu verständigen"; von "Seelsorge und Kindererziehung" bis "liegt auf der
            Hand".
                            
                        