Dokument-Nr. 17709

Dahlmann SJ, Franz P.: Bemerkungen zu der Einwendung:. München, 21. Juli 1925

Abschrift
"Die seelsorgerliche Überwachung der deutschen Katholiken in Porto Alegre ist nicht gut möglich, sie ist auch nicht notwendig; denn es gibt unter den an den übrigen Pfarrkirchen der Stadt angestellten 'Vigarios' sehr viele, die deutsch verstehen und sprechen.
Aus diesen Gründen ist die Verleihung des Privilegs von pfarrechtlichen Befugnissen an den Kaplan der deutschen St. Josephsgemeinde überflüssig."
Zu dieser Begründung, dem betreffenden Kaplan die Erlaubnis <für>1 pfarramtliche Funktionen (von Taufen - Eheschließungen - Begräbnis) vorzuenthalten, bemerke ich:
1.) Die Begründung ist ein Scheingrund.
a) Für die deutsche St. Josephsgemeinde wird nicht die Aufgabe gestellt, daß ihr Geistlicher alle deutschen Katholiken der Stadt seelsorgerlich überwache und betreue. Denn das ist in einer Stadt, in der diese Katholiken zerstreut zwischen den 170.000Einwohnern wohnen, unmöglich. Die Aufgabe des Geistlichen an der St. Josephsgemeinde ist vielmehr folgende: Als kirchlich beorderte Person soll er den katholischen Deutschen der Stadt mit seiner von ihm verwalteten Kirche einen Punkt bieten, wo sich die Einzelnen um ihn sammeln, damit sie ihren religiösen Pflichten und ihrem christlichen Leben sicherer und entsprechender nachkommen.
Um eine solche Person für die deutschen Katholiken oder die katholischen Deutschen Porto Alegres zu sein, ebenso um denselben den soliden und gewährleistenden Mittelpunkt für ihr religiöses und christliches Leben zu bleiben, muß dem Seelsorger an der St. Josephsgemeinde nicht blos [sic] die Erlaubnis gegeben sein, deutsch zu beten, singen, predigen, sondern es müssen ihm auch die Pfarrprivilegien zur Hand sein. D. h. wenn der Kaplan auch keinen Anspruch auf pfarrechtliche Privilegien stellen kann, so ist die Befugnis der pfarramtlichen Funktionen eine außerordentliche Hilfe in der Seelsorge. Jch meine natürlich: die amtlich fortdauernde persönliche Befugnis, nicht die für den Einzelfall einzuholende. Sonst steht der Pfarrgeistliche in seiner Gemeinde wie ein Klostergeistlicher, der sich um das Leben der Gemeinde nicht zu kümmern braucht und nur den Einzelnen besorgt und betreut.
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b) Zur Begründung des Gesagten notiere ich folgendes:
Aus meiner 10jährigen Seelsorgearbeit speziell an der St. Josephsgemeinde in Porto Alegre behaupte ich: Hätten die drei Bischöfe (Dom Sebastiao - Dom Claudio - und der gegenwärtige Erzbischof Dom Joao) der deutschen Gemeinde den "Pfarr"-Kaplan nicht bestätigt, dann wäre die Gemeinde der katholischen Deutschen auseinandergegangen und jene Werke (2 große Schulen - 1 Große Kirche) wären nie zustandegekommen. Den Beweis hierfür habe ich in dem Abschnitt der Jubiläumsgabe an Papst Pius X. (Abschnitt der Geschichte der St. Josephsgemeinde) erbracht.
So aber ist die Gemeinde, die zu meiner Zeit schwach 200 Familien zählte, sehr gewachsen. Man schrieb mir vor 2 Monaten: "Es sind über 500 Familien."
Vielleicht könnte hier eingewandt werden: "Wenn die Gemeinde trotz der 'Stürme', die sie in den Kriegsjahren durc<h>gemacht2 hat, also auch ohne Pfarrprivilegien derart an Familienzahl gewachsen ist, so spricht das dafür, daß diese für ihre gedeihliche Seelsorge nicht notwendig sind.
Dem Einwand entgegne ich:
2. Neben dem Seelsorgseifer und der Vertrautheit mit seiner wohlorganisierten Gemeinde eines fast 25jährigen Pfarrkaplans und ähnlichen durch die Kriegswirren nicht berührten andern glücklichen Umständen innerhalb der St. Josephsgemeinde, ist es in hervorragender, wenn nicht in erster Linie zu verdanken, daß eine eigentliche <und>3 kirchlich genehmigte "Gemeinde" deutscher Katholiken in Porto Alegre schon längst bestanden hat. Nur auf Grund der existierenden Gemeinde gedieh ihr Wachstum. 20 Jahre früher schrieb mir Dom Miguel Kruse O. S. B. Abt von St. Paulo: "Wir kriegen unsere katholischen Deutschen in Sao Paulo für ein religiöses kirchliches Leben nicht mehr zusammen. Die Gemeinde hätte früher gegründet werden müssen."
Das stimmt mit der sonstigen Erfahrung: Wenn in Stadt und Land ein reges kirchliches Leben blühte, so beruhte das zum guten Teil auf dem festgefügten "Pfarrsystem". Die Anteilnahme an den Vorteilen des "Pfarrsystems" wird, wie jeder, der in der Seelsorge für Anderssprachige tätig gewesen ist, weiß, nicht an letzter Stelle dadurch garantiert,
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daß der betreffende Seelsorgsgeistliche für seine Sprachstämmigen die pfarramtlichen Funktionen von Taufe, Eheschließung, Begräbnis kraft seiner Anstellung vornehmen darf. Jch verweise diesbezüglich auf unsere deutschen Koloniepfarreien in Rio Grande do Sul. Aus den 27 Jahren meiner Tätigkeit in Südbrasilien (Rio Grande do Sul und Santa Catharina) weiß ich, daß wir unter den Deutschen und den Jtalienern auf den Kolonien seelsorgerlich nur den geringsten Bruchteil von der so segensreichen Pastoration erreicht hätten, wenn wir nicht eine pfarrrechtliche Seelsorge "pro diversitate sermonis seu nationis fidelium in eadem civitate vel territorio degentium" hätten üben können. (can. 216 § 4.)
3. Jch begründe meine Behauptung auch mit dem Vorangehen4 Roms selbst soweit ich es aus persönlicher Einsichtnahme kenne.
Rom schickte für slavische … Auswanderer eigens dafür beorderte Priester, selbst Bischöfe, die jene, so ihre Sprache reden, in pfarrechtlicher Weise seelsorgerlich betreuen (nicht blos [sic] vorübergehend, wie an manchen Orten der Syrier [sic], Maroniten) u. s., sondern mit Pfarrsitz und Pfarrechten. Jch erinnere an die Ruthenen in Santa Catharina. Erzbischof Scalabrini bereiste zu meiner Zeit den Staat Rio Grande do Sul, um im Auftrage Pius X sich zu informieren, ob die italienischen Katholiken auch durch italienische Pfarrer besorgt werden?5 (Die Congregation der "Carlisten", wie man in Rio Grande sie nannte). Cardinal Fonti hat es bei seiner Visite sehr bedauert, daß Dom Claudio (Bischof von Sao Pedro do Rio Grande do Sul) noch keine Pfarrei für die italienischen Katholiken Porto Alegres hatte einrichten lassen.6
Jedem Auslandsmissionär sind die unheilvollen Folgen bekannt, die unter Anderssprechenden und Andersstämmigen (selbst wenn sie die Landessprache für den Verkehr perfekt handhaben) sich zeigen, sobald sie nicht Gelegenheit haben, in ihrer Muttersprache für ihr kirchliches Leben sorgen zu können.
(Es ist das ein Capitel, das eigens behandelt werden müßte. Aber das geht teilweise in das große Problem des einheimischen Klerus. Einige der unheilvollen Folgen sind in der "Denkschrift" Seite 3 mitberührt. Die für die katholischen Deutschen der Stadt Porto Alegre entstehen-
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den Mißlichkeiten, welche in der "Denkschrift" angedeutet werden, dürfen in keiner Weise unterschätzt werden. Nicht an letzter Stelle leidet gerade die Erzbischöfliche Autorität.)
4. Um den anfangs formulierten Einwand in seiner ganzen Art zu beleuchten, muß ich auf einige persönliche Momente aufmerksam machen. Jch kann es tun, weil diese Momente an Ort und Stelle, sozusagen öffentlich sind.
a) Man schrieb mir: "Den Gedanken [zwei nicht lesbare Worte]<der>7 Erhaltung und gedeihliche Entwicklung der katholischen St. Josephsgemeinde halte ich (aus langer persönlicher Erfahrung vertrete ich mit Nachdruck dieselbe Ansicht) für ein Werk von unbedingter seelsorgerlicher Notwendigkeit, diesen Gedanken habe ich auch klar dem Erzbischof gegenüber ausgesprochen und ihn um sein [zwei nicht lesbare Worte] 8 Urteil gefragt. Er antwortete: ["]Jhr könnt deutsch predigen und singen und Gottesdienste halten, so viel ihr wollt, aber ihr braucht dazu keine Pfarrprivilegien."
Hier täuscht sich S. Exzellenz und widerspricht seiner früheren Ansicht. Er widerspricht sich. Der Beweis liegt in Folgendem:
Vor etwa 11 Jahren hat Erzbischof Becker alle Pfarrprivilegien ausdrücklich zugestanden und erneut und zwar auf Grund derselben Motive, die ich in der oben zitierten "Geschichte der St. Josephsgemeinde" dargelegt habe.9 So wurde mir im Jahre 1914 offiziell vom Kirchenvorstand mitgeteilt. (Leider finde ich dies Schriftstück augenblicklich nicht unter meinen Briefen. Wenn ich nicht irre, findet sich ein gleichlautendes Zitat in der s. Z. für die Röm. Congregation ausgearbeiteten Bittschrift). Er täuscht sich. Man schrieb mir:
"Der Standpunkt des H. H. Erzbischofs ist zu sehr von subjektiven Momenten beeinflußt." Seine Freundlichkeit, Entgegenkommen u. ä. m. sind alle sehr erfreulich, wenn sie auf übernatürliche Grundsätze aufgebaut sind."
Jch muß dies Letztere leider in Frage stellen. Und sage mit dem Briefschreiber: Jn dem ganzen Streit mit der St. Josephsgemeinde ist die persönliche Rache und (venia sit verbo) die Eitelkeit des H. H. Metropolitanerzbischofs die tiefere und andauernde Triebkraft.
Jch sage und schreibe das mit aller Ehrfurcht vor der sonst so hochverdienten apostolischen Tätigkeit des Erzbischofs und mit Treue für
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die uns beide seit 3 Jahrzehnten verbindende Freundschaft.
Würde man in Rom auch diese persönlichen Streitmomente miterwogen haben, die Verhandlungen hätten wahrscheinlich einen versöhnlicheren Weg eingeschlagen. Jch darf das sagen, weil in ähnlicher Weise s. Z. der apostolische Nuntius in Rio D. D. Gasparri geraten hat.
Daß D. D. Dom Joao Becker sich mit Recht in manchen Punkten sehr verletzt fühlen durfte, ist nich zu leugnen.
b) Man schrieb mir ferner: ["]Jn den einzelnen Fällen ist augenblicklich das Entgegenkommen der Erzbischöflichen Kurie sehr groß, sodaß ich ohne Schwierigkeiten Lizenz für Taufen, Trauungen und Exequien bekomme. Es kann sich freilich auch wieder ändern".
Soweit meine vielleicht erläuternden Bemerkungen zum Einwand. Dürfte ich eine unmaßgebliche Frage und Bitte anfügen?
Der Canon 216 § 4 lautet: "Non possunt sine speciali indulto apostolico constitui parocciae pro diversitate sermonis seu nationis fidelium in ecdem civitate". Wäre nicht hier eine Lösung, die beide Teile befriedigte, zu finden?
Daß doch Gott alles segnen wolle!
P. Franz Dahlmann SJ.
1Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
2Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
3Hds. eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
4Hds. gestrichen, vermutlich vom Verfasser.
5"Rom schickte [...] berorgt werden?" hds. unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
6"Cardinal Fonti [...] einrichten lassen." hds. untersrichen, vermutlich vom Empfänger.
7Hds. gestrichen und eingefügt, vermutlich vom Verfasser.
8Hds. gestrichen, vermutlich vom Verfasser.
9"Hier täuscht [...] dargelegt habe." hds. unterstrichen, vermutlich vom Empfänger.
Empfohlene Zitierweise
Dahlmann SJ, Franz P., Bemerkungen zu der Einwendung:, München vom 21. Juli 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17709, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17709. Letzter Zugriff am: 27.04.2024.
Online seit 24.06.2016, letzte Änderung am 23.02.2017.