Dokument-Nr. 1777

[Schenk, Karl von]: Vorschlag zu der Lösung der Reparationsfrage unter Beachtung der Bestimmungen des Vertrages von Versailles, 15. Dezember 1922

Abschrift
Wie kann die nicht nur das Deutsche Reich, sondern die ganze Welt bedrückende Reparationsfrage gelöst werden? Durch ein System von Anleihen<? Werden Anleihen>1 allein eine dauernde Gesundung herbeiführen? Nein! Das Deutsche Reich wird durch Anleihen allein, wie beschaffen sie auch sein mögen, nur noch mehr belastet und nur einen noch tieferen Abgrunde zugeführt. Ebensowenig wie eine Krankheit durch Betäubungsmittel wird auch das Weltfieber durch Anleihen geheilt, sondern letzten Endes nur gesteigert werden. Ein wirklicher Weltfrieden, ein wirklicher Wiederaufbau Europas ist nur möglich, wenn entweder der Friedensvertrag von Versailles revidiert wird oder die Vereinigten Staaten von Nordamerika sich zu einem hilfreichen Eingreifen entschliessen. Alles andere wird und muss Flickwerk bleiben, das niemals ganz zu dem angestrebten Ziele führen kann.
Eine Revision des Friedensvertrages von Versailles ist aus verschiedenen Gründen als ausgeschlossen zu betrachten. Es bleibt daher neben dem guten Willen der Alliierten nur die Hilfe der Vereinigten Staaten als einziger und letzter Rettungsanker. Das amerikanische Volk müsste sich hier opfermütig für die Freiheit der Völker einsetzen und damit das Werk vollbringen, das es sich bei seinem Eintritte in den Weltkrieg vorgezeichnet hatte.
Dass nur durch die Hilfe der Vereinigten Staaten, das heisst durch eine Regelung der Frage der Kriegs-Schulden der Alliierten an jene, die Weltfrage gelöst werden kann, darüber sind sich wohl alle Autoritäten
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der Finanzwissenschaft und der Finanzwelt einig. Wie aber können die Vereinigten Staaten helfen? Schon mehrfach ist in dieser Richtung das Erlassen der Kriegesschulden der Alliierten erwähnt worden. Dieser Weg aber erscheint in der angeregten Form nicht gut gangbar, da man unmöglich von den Vereinigten Staaten ein derart grosses Opfer verlangen kann. Es muss also ein Weg gefunden werden, auf dem den Vereinigten Staaten die Hilfe erleichtert wird, mit deren Worten auf dem ihnen die erlassenen Kriegsschulden der Alliierten ersetzt werden, also das Grundkapital ihres Staatsschatzes erhalten bleibt.
Auf dieser Erwägung gründet sich der nachstehende Vorschlag zur Regelung der Reparationsfrage und damit zur Herbeiführung eines wirklichen Friedens, des Wiederaufbaues wie der Rückkehr zu geregelten Verhältnissen auf der ganzen Welt.
Vorschlag. 1) Die Vereinigten Staaten von Nordamerika erlassen den Alliierten – Belgien, England, Frankreich, Italien und anderen Alliierten – die Kriegsschulden als einmalige endgültige Ablösung der Restschuld des Deutschen Reichs an Reparationszahlungen, die in dreissig Jahren, von der Ratifikation des Vertrages von Versailles an gerechnet, zu zahlen waren.
Bemerkung: Die Begründung für diesen Punkt geht schon aus der Anleitung hervor.
Die Höhe der Kriegsschulden der Alliierten an die Vereinigten Staaten ist aus der nachfolgenden der "Frankfurter Zeitung" vom 18.III.1922 Nr. 209 entnommenen Tabelle ersichtlich:
Auswärtige Kriegsschulden der Allliierten
Goldmark
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I II III IV
Anleihen an von Vereinigten Staaten von England von Frankreich
England 16.840.000.000 10 2--- ---
Frankreich 11.000.000.000 10.160.000.000 ---
Italien 6.500.000.000 9.340.000.000 700.000.000
Belgien 1.600.000.000 1.960.000.000 1.800.000.000
Andere Alliierte 1.100.000.000 1.980.000.000 1.400.000.000
37.040.000.000 23.440.000.000 3.900.000.000

2) Das Deutsche Reich verpflichtet sich, den Vereinigten Staaten den Gesamtbetrag der den Alliierten erlassenen Kriegsschulden auf folgende Weise zurückzuerstatten:
Das Deutsche Reich zahlt an die Vereinigen Staaten einen jährlich auf Grund seiner Staats- und Handelsbilanz festzusetzenden Markbetrag in Gold bis zum Ende des dreissigsten Jahres nach der Ratifi kation des Friedensvertrages von Versailles. Diese jährlichen Beträge sind aber nach unten durch, bei Annahme des Vorschlages dür [sic] die einzelnen Jahre festzulegende, mit den Jahren progressiv steigende Minimalzahlungen zu begrenzen.
Die von dem Deutschen Reich jährlich zu zahlenden Beträge bilden <bleiben> 3 Eigentum desselben, sie stehen jedoch zur freien Verfügung der Vereinigten Staaten, die sich ihrerseits verpflichten, diese Beträge wie eventuelle Zinsen und Zinseszinsen aus denselben unter ihrer Garantie im Einvernehmen mit dem Deutschen Reiche nutzbringend zu verwerten.
Die festgesetzten jährlichen Minimalzahlungen übersteigenden Beträge bilden einen Reservefonds zur Deckung eventueller unvermeidlicher Fehlbeträge an den Minimalzahlungen. Bei regelmässigen Zahlungen
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ist der ganze Reservefond oder sonst der Rest desselben auf die Zahlungen der letzten Jahre aufzurechnen.
Bemerkung: Es würde als ungerecht von den Alliierten empfunden werden und auch den Welt- und Inlandsmarkt zu sehr erschüttern, wollte man mit einem Schlage durch das Erlassen der Schulden das Deutsche Reich völlig von seinen im Versailler Vertrage eingegangenen Verpflichtungen befreien. Auch würde durch eine solche Befreiung den Vereinigten Staaten ein zu grosses Opfer entstehen. Deshalb soll das Deutsche Reich bis zu der im Versailler Vertrage festgesetzten Frist – dreissig Jahre lang nach Ratifikation des Friedensvertrages – auf Grund seiner Staats- und Handelsbilanz festzusetzende jährliche Zahlungen in Goldmark an die Vereinigten Staaten leisten. Die Höhe dieser jährlichen Zahlungen muss von Anfang an nach unten durch gleich bei der Annahme dieses Vorschlages durch Berechnung festzulegende, progressiv steigende Minimalzahlungen begrenzt werden, und zwar derart, dass am Schlusse der Zahlungen
die Zinsen und Zinseszinsen, jährlich auf Grund eines Minimalzinsfusses berechnet, die Höhe des den Alliierten von den Vereinigten Staaten erlassenen Schuldbetrages
ergeben. Zum Beispiel: Angenommen die seitens der Vereinigten Staaten den Alliierten erlassene Kriegsschuld betrage 37,04 Milliarden Goldmark, so würde das Deutsche Reich unter der Annahme einer nur 6 prozentigen jährlichen Verzinsung folgende Minimalzahlungen während der restlichen 26 Jahre an die Vereinigten Staaten zu leisten haben:
nichts im ersten Jahre
300 Millionen im zweiten und dritten Jahre
500 Millionen im vierten Jahre
750 Millionen im fünften Jahre
1 000 Millionen im sechsten und siebenten Jahre
1 500 Millionen im achten und neunten Jahre
2 000 Millionen im zehnten bis zum 26sten Jahre einschliesslich.
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Das Deutsche Reich würde also in diesem Falle in 26 Jahren im ganzen 40,85 Milliarden Goldmark zahlen, deren Zinsen und Zinseszinsen jährlich zu 6 Prozent berechnet in dieser Zeit den Betrag von 37,04 Milliarden ergeben.
Je nach der Höhe der den Alliierten erlassenen Gesamtschulden, der restlichen Zahlungszeit, wie den augenblicklichen und voraussichtlichen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen des Deutschen Reiches kann die in dem Beispiel angenommene Höhe der einzelnen Minimalzahlungen und die Verteilung derselben eingerichtet werden. Dadurch, dass die an die Vereinigten Staaten zu leistenden Zahlungen, mit Ausnahme des in Punkt 4 niedergelegten Falles, Eigentum des Deutschen Reiches bleiben, wird langsam die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Deutschen Reiches gehoben und schliesslich wenigstens auf einen annähernd gleichen Fuss mit den übrigen Staaten gebracht, während zum Beispiel in Frankreich durch das Erlassen der Kriegsschuld die Kaufkraft des Francs sich sofort bedeutend erhöhen und dieses Land eine grosse Kreditfähigkeit erhalten wird. Dadurch, dass den Vereinigten Staaten das freie Verfügungsrecht über die vom Deutschen Reiche gezahlten Beträge zusteht, und sich dieselben verpflichten, unter ihrer Garantie diese Beträge in Einvernehmen mit dem Deutschen Reiche nutzbringend zu verwerten, soll erreicht werden, aus den gezahlten Beträgen einen möglichst grossen Nutzen zu ziehen um womöglich am Schlusse des dreissigsten Jahres einen Zinsbetrag zu haben, der über den erlassenen Kriegsschuldbetrag hinausgeht. Zweck und Verwendung des Reservefonds gehen aus dem Vorschlage selbst hervor. Eine Verrechnung der die Minimalbeträge übersteigenden Zahlungen auf die direkt nachfolgenden Jahre ist ohne zwingenden Grund auszuschliessen, vielmehr sind solche <Mehr>Beträge4 auf die Zahlungen der letzten Jahre, und zwar vom letzten angefangen, aufzurechnen. Der
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Zweck dieser Verwendung des Reservefonds ist, den Vereinigten Staaten hierdurch die Möglichkeit zu geben, aus den Zahlungen des Deutschen Reiches möglichst grossen Nutzen zu ziehen, während das Deutsche Reich auf diese Weise die hohen Minimalzahlungen der letzten Jahre herabmindert.
3) Die Vereinigten Staaten verpflichten sic h, am Ende des dreissigsten Jahres nach Ratifikation des Friedensvertrages von Versailles die von dem Deutschen Reich gezahlten Beträge unter Verrechnung , eventueller Anleihen diesem ganz oder teilweise zurückzuerstatten, je nachdem die in den Jahren aufgelaufenen Zinsen und Zinseszinsen der gezahlten Beträge mindestens der Höhe der den Alliierten zwecks Ablösung der Restschuld des Deutschen Reiches erlassenen Kriegs S chulden entsprechen oder nicht. Auf einen eventuellen Ue berschuss an Zinsen über den erlassenen Kriegsschuldbetrag hat das Deutsche Reich keinen Anspruch, derselbe steht vielmehr den Vereinigten Staaten zu.
Bemerkung: Hier wäre der Einwand möglich, dass das Deutsche Reich am Ende des dreissigsten Jahres nach Ratifikation des Versailler Vertrages sich im Besitze eines den Frieden der Welt bedrohenden Staatsschatzes befinden könnte. Dieser Einwand fällt bei objektiver Prüfung der durch den Krieg hervorgerufenen Lage des Deutschen Reiches, wie der sich für dieses aus dem Vorschlage ergebenden wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse sofort in sich zusammen. In dieser Richtung sei hier nur erwähnt:
a) Die Haftung des Deutschen Reiches dafür, dass am Ende des dreissigsten Jahres nach Ratifikation des Versailler Vertrages <sich>5 die Vereinigten Staaten im Besitze des den Alliierten als Ablösung erlassenen Gesamtbetrages ihrer Kriegsschulden befinden.
b) Die besonderen Leistungen des Deutschen Reiches gemäss Punkt 5 dieses Vorschlages.
c) Das voraussichtliche Zurückgehen des Aussenhandels des Deut-
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schen Reiches gilt dem Steigen des Markkurses und damit schärferer Konkurrenz der übrigen Staaten auf dem Weltmarkte.
d) Der voraussichtliche Zwang des Deutschen Reiches, wie bei den Alliierten Staaten nur in viel bescheidenerem Masse, die auf dem Volke lastenden, auf die Dauer unerträglich hohen Steuern zu ermässigen. Selbst wenn man den letzten Punkt nicht in Betracht zieht, wird man zugeben müssen, dass die Anhäufung eines ungeheueren Staatsschatzes eine reine Unmöglichkeit ist.
4) Das Deutsche Reich hat das Recht, zum Zweck von Zahlungen jährlicher Raten oder in nachweisbar unabänderlichen Fällen im Auslande Anleihen aufzunehmen. Anleihen für jährliche Ratenzahlungen ist das Deutsche Reich verpflichtet, von den Vereinigten Staaten zu einem bei Annahme des Vorschlages festzusetzenden Zinsfusse zu nehmen. Die Vereinigten Staaten haben das Recht, die Notwendigkeit einer solchen Anleihe nachzuprüfen, und dieselbe gegebenenfalls zu verweigern. Für Anleihen aus anderen Gründen, mit Ausnahme der in diesem Vorschlag erwähnten, ist das Einverständnis der Vereinigten Staaten erforderlich, auch haben dieselben auf diese Anleihen ein Vorrecht.
Bemerkung: Die Bedingungen für eventuelle Anleihen des Deutschen Reiches im Auslande sollen den Alliierten eine Garantie dafür geben, dass das Deutsche Reich sich weder einen Goldschatz von anderen Ländern zu anderen Zwecken verschaffen, noch im eigenen Lande anhäufen kann. Dass den Vereinigten Staaten das Recht bezw. das Vorrecht auf die äusseren Anleihen des Deutschen Reiches eingeräumt wird, erscheint nicht mehr als recht und billig für seine Hilfe.
5) Das Deutsche Reich verpflichtet sich, Frankreich und Belgien gegenüber zu folgenden besonderen Leistungen:
a) Die Sachlieferungen zum Wiederaufbau der zerstörten Gebiete gemäss dem Gilet - [sic] und dem B emel man s-Abkommen, werden zu Lasten
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des Deutschen Reiches bis zu einem noch zu vereinbarenden Gesamtwerte in Goldmark ausgeführt.
b) Das Deutsche Reich bezahlt an Frankreich in bar spätestens drei Monate nach Annahme dieses Vorschlages einen einmaligen Betrag von 2 Milliarden Goldmark, den es durch eine sofortige Anleihe im Auslande aufbringt.
Bemerkung: Diese besonderen Leistungen finden ihre Begründung in der Lage dieser Länder.
6) Das Deutsche Reich verpflichtet sich, unter genauer Einhaltung der Bestimmungen des Völkerbundes, dessen vollberechtigtes Mitglied es wird, keinen Krieg zu provizieren [ sic]. Als Garantie für diese Verpflichtung dienen die an die Vereinigten Staaten gezahlten Beträge, die im gegenteiligen Falle, nach Einholung des Einverständnisses des Völkerbundes, den Vereinigten Staaten als von den Alliierten zur Deckung ihrer Kriegsschulden geleistet ganz oder teilweise verfallen. Ob die bis dahin von dem Deutschen Reiche geleisteten Zahlungen ganz, teilweise oder nicht auf die an die Alliierten nach dem Versailler Vertrage zu leistenden Reparationszahlungen aufzurechnen sind, hat der Völkerbund je nach Lage der Dinge zu entscheiden. Gleichzeitig mit dem Verletzten der Verpflichtungen treten die Reparationsforderungen der Alliierten nach dem Versailler Vertrage und den Londoner Festsetzungen wie alle in diesem Vorschlage berührten Bestimmungen des Versailler Vertrages wieder in Kraft.
Bemerkung: Die Festlegung der vom Deutschen Reiche gemachten Zahlungen als Garantie für seine Friedfertigkeit unter Aufsicht der Vereinigten Staaten soll den stetigen Sorgen besonders Frankreich Rechnung tragen, indem dadurch eine Sicherheit gegen einen Revanchekrieg gegeben wird. Wenn für alle Staatsverträge eine Garantie in Gold hinterlegt würde, so käme ein Verletzen derselben nur in den seltensten Fällen vor, und der Weltfrieden würde dadurch eine starke Stütze erhalten.
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7) Die Alliierten erkennen alle aus dem Versailler Vertrage hervorgehenden noch fälligen Reparationsleistungen bezw. Reparationszahlungen und Schulden durch Annahme dieses Vorschlages als von dem Deutschen Reiche erfüllt an. Von dem Deutschen Reiche zu liefernde Sachwerte, die dem Reparationskonto bisher gutzuschreiben waren, müssen, wenn verlangt und es mit den eigenen Bedürfnissen des Deutschen Reiches vereinbar ist, weiter an die Alliierten geliefert werden. Die Gegenwerte solcher, zum Weltmarktpreise zu berechenden Lieferungen werden an das Deutsche Reich oder an die Vereinigten Staaten zu Gunsten des Deutschen Reiches in bar bezahlt. Ausgenomm en hiervon sind die unter Punkt 5 a genannten Sachlieferungen, die zu Lasten des Deutschen Reiches gehen.
Bemerkung: Infolge der Ablösung der Deutschen Reparationsschulden durch das Erlassen der Kriegsschulden der Alliierten sind von diesen alle in dem Versailler Vertrage vorgesehenen Bestimmungen, die sich auf die bei der Konferenz in London festgesetzten Wiedergutmachungsbeträge beziehen, sowie eventuell damit zusammenhängende noch ausstehende Schuldbeträge als von dem Deutschen Reiche erfüllt zu betrachten, solange der in Punkt 6 vorgesehene Fall nicht eintreten sollte. Die Hilfe der Vereinigten Staaten befreit auf diese Weise die Alliierten von der sie drückenden Schuld und gibt dem Deutschen Reiche wie der ganzen Welt die Möglichkeit einer gesunden Wirtschafts- und Finanzpolitik und damit des Wiederaufbaues.
8) Die Alliierten verpflichten sich, zugleich mit den Vereinigten Staaten das besetzte linksrheinische Gebiet zu räumen und zwar:
die I. Zone bei Annahme des Vorschlages,
die II. Zone nach Zahlung von 1/2 Milliarde Goldmark seitens des Deutschen Reiches an die Vereinigten Staaten,
die III. Zone nach Zahlung von weiter 1/2 Milliarde Goldmark seitens des Deutschen Reiches an die Vereinigten Staaten.
Dieser Betrag von im ganzen 1 Milliarde Goldmark muss von
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dem Deutschen Reich in bar aus eigenen Mitteln, nicht durch äussere Anleihen aufgebracht sein und darf auch nicht in Zukunft durch Anleihen oder sonst belastet werden.
Bemerkung: Dieser Punkt hat den Zweck, grosse Reibungsflächen zu beseitigen und so den Weg für einen friedlichen Verkehr der Staaten zu bahnen. Ausserdem versetzt er das Deutsche Reich in die Lage einer grösseren Zahlungsfähigkeit. Er bedeutet keine Änderungen des Versailler Vertrages, wie es im ersten Augenblick erscheinen könnte. Die Besetzung des Deutschen Gebietes westlich des Rheins sollte den Alliierten eine Garantie für die Erfüllung der vertraglichen Bestimmungen durch das Deutsche Reich geben. Sie war auf 15 Jahre mit der Einschränkung festgesetzt, dass alle 5 Jahre nach der Ratifikation des Vertrages von Versailles eine der drei Zonen geräumt werden sollte. Hieraus geht klar hervor, dass die Besetzung des linksrheinischen Gebietes mit dem Fortschreiten der Erfüllung der vertraglichen Bestimmungen successive aufgegeben werden und am Ende des 15ten Jahres das ganze Gebiet geräumt sein sollte. Nachdem, neben anderem, durch die Lösung der Reparationsfrage in der hier niederlegten Weise das Deutsche Reich seinen vertraglichen Verpflichtungen dank der Hilfe der Vereinigten Staaten und dem Entgegenkommen der Alliierten in unvergleichlich höherem Masse nachgekommen ist, als es im besten Falle in 15 Jahren hätte leisten können, so erscheint es sinngemäss richtig und dem Vertrage von Versailles entsprechend, wenn das Gebiet westlich des Rheines von der Besetzung in der genannten Weise und Zeit geräumt wird. Wenn für die Räumungszeiten der II. und III. Zone die Erfüllung gewisser Zahlungen des Deutschen Reichs als Bedingung gegeben wurde, so geschah dieses nicht nur um genau dem Wortlaut des Versailler Vertrages zu entsprechen, sondern auch um die Herleitung gewisser Befürchtungen aus dieser Massregel unmöglich zu machen. Die Höhe des zu leistenden Betrages musste derart festgesetzt werden, dass ein leichtfertiges freiwilliges Verlieren desselben ausgeschlossen erscheint. Eine Milliarde Goldmark dürfte reichlich diese Garantie
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bieten.
Die Bedingung, dass diese 1 Milliarde Goldmark in bar aus eigenen Mitteln aufgebracht sein muss und auch in Zukunft nicht belastet werden darf, schafft für alle Fälle gleichzeitig einen nicht belasteten Minimalgarantiefonds für die in Punkt 6 zugesicherte Friedensgarantie.
9) Die Alliierten regeln die aus dem Erlasse ihrer Kriegsschulden seitens der Vereinigten Staaten sich ergebenden Verhältnisse unter sich.
Bemerkung: Nach der Balfour-Note hat sich England bereit erklärt, seinen Alliierten die Kriegsschulden zu erlassen und auf seinen Teil an den Reparationszahlungen des Deutschen Reiches zu verzichten, wenn die Vereinigten Staaten die Kriegsschulden Englands erlassen. Es würden denn nur noch, wie aus der Tabelle unter Ziffer 1, Spalte 4 ersichtlich, die Kriegsschulden Italiens, Belgiens und der anderen Alliierten an Frankreich übrig bleiben. Ein Erlassen derselben kann Frankreich nicht zugemutet werden. Um die Kriegsschuldenfrage aus der Welt zu schaffen bliebe nur der eine Ausweg, dass das Deutsche Reich diese Schulden übernähme und in einem gewissen Zeitraume an Frankreich zurückzahlte. Dies dürfte aber nur möglich sein, wenn Punkt 8 dieses Vorschlages, die Räumung der Gebiete westlich des Rheins, dahin geändert würde, dass dieses Gebiet bei Annahme des Vorschlages völlig geräumt und so dem Deutschen Reich technisch die Möglichkeit gegeben wird, diese Schulden mit gutem Gewissen auf sich zu nehmen. Auf diese Weise würden mit einem Schlage sämtliche äusseren Kriegsschulden der Alliierten verschwinden, Kriegsschulden, von denen sich die Gläubiger, wenn sie offen sein wollen, selbst sagen müssen, dass sie nach Lage der Dinge voraussichtlich nie seitens der Schuldner gezahlt werden können, und die allein an den heutigen Verhältnissen in der Welt die Schuld tragen.
Mit diesem Vorschlage, der in den Leistungen des Deutschen Reiches
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bis zur äussersten Grenze des Möglichen geht und in seinen einzelnen Punkten Siegern wie Besiegten gerecht zu werden sucht, werden die zu Beginn für eine annehmbare Lösung der Reparationsfrage gestellten beiden Bedingungen erfüllt:
Den Bestimmungen des Vertrages von Versailles wird voll entsprochen.
Das Opfer der Vereinigten Staaten wird soweit als möglich beschränkt. Das Grundkapital des Staatsschatzes bleibt sicher erhalten. Der Initiative und Hilfe des amerikanischen Volkes wie dem Entgegenkommen der Alliierten bleibt es nun vorbehalten, der Welt den wirklichen Frieden zu geben!
1Hds. von unbekannter Hand eingefügt, vermutlich vom Schreiber.
2Masch. gestrichen, vermutlich vom Schreiber.
3Hds. gestrichen und eingefügt von Gasparri.
4Hds. von unbekannter Hand eingefügt, vermutlich vom Schreiber.
5Hds. von unbekannter Hand eingefügt, vermutlich vom Schreiber.
Empfohlene Zitierweise
[Schenk, Karl von], Vorschlag zu der Lösung der Reparationsfrage unter Beachtung der Bestimmungen des Vertrages von Versailles vom 15. Dezember 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 1777, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/1777. Letzter Zugriff am: 29.04.2024.
Online seit 31.07.2013, letzte Änderung am 24.06.2016.