Dokument-Nr. 18696
Bratman-Brodowski, Stefan an Pacelli, Eugenio
Berlin, 27. August 1927

Abschrift
Excellenz,
in Abwesenheit des in Urlaub weilenden Herrn Botschafters Krestinski beehre ich mich, die Cirkularnote Eurer Excellenz vom 28. Juli d. J., welche der Herr Botschafter vor seiner Abreise noch erhalten hat, zu beantworten.
Sowohl der Herr Botschafter wie ich bringen Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg die größte Verehrung und Hochschätzung entgegen und wir werden selbstverständlich zu seinem 80. Geburtstag unsere herzlichsten Glückwünsche übermitteln. Es würde uns natürlich sehr gelegen sein, diese Glückwünsche zusammen mit Eurer Excellenz und dem gesamten diplomatischen Corps zu überbringen. Bedauerlicherweise ist jedoch der Text der Adresse, welche Eure Excellenz der Cirkularnote beigefügt hatte, derart gefaßt, daß wir nicht imstande sind, uns ihm anzuschließen. Es handelt sich darum, daß außer dem Ausdruck der auch uns dem Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg gegenüber erfüllenden Verehrung und der selbstverständlich von uns geteilten besten Glückwünsche darin eine Wendung über den Allerhöchsten Leiter des menschlichen Schicksals enthalten ist.
Wie Eurer Excellenz bekannt ist, ist in der Union der S. S. R. eine vollkommene Trennung zwischen Kirche und Staat durchgeführt. Bei uns in der Union tragen alle offiziellen Feierlichkeiten ausschließlich weltlichen Charakter und unseren ausländischen Vertre-
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tern ist es verboten, sogar an offiziellen Feierlichkeiten teilzunehmen, wenn dieselben mit religiösen Zeremonien verbunden sind. Dies ist begreiflich, wenn man in betracht zieht, daß alle Mitglieder unserer Regierung und sämtliche ausländischen Vertreter der Union, Herr Botschafter Krestinski und ich inbegriffen, überzeugte Atheisten sind.
Aus dem obenerwähnten Grunde hat unser Botschafter in Rom an der Trauermesse anäßlich des Todes der italienischen Königin-Witwe nicht teilgenommen; er war nur bei der Bestattung anwesend. In einem analogen Falle hat sich unser Gesandter in Riga an der Trauermesse nach dem Tode des Lettischen Staatspräsidenten nicht beteiligt, auch die Mitglieder unserer Berliner Botschaft waren bei der Trauerfeier in der Matthäikirche nicht anwesend. Herr Botschafter Krestinski hat damals Herrn Gesandten Dr.  Woit besucht und ihm im Namen der Botschaft sein Beileid ausgedrückt und ihm auseinandergesetzt, warum wir an der kirchlichen Trauerfeier nicht teilgenommen haben.
Ich bin überzeugt, daß Eure Excellenz unsere Beweggründe verstehen werden, die es uns unmöglich machen, die fragliche Adresse, welche eine Anrufung des Allerhöchsten Leiters enthält, zu unterzeichnen, und es Herrn Botschafter Krestinski und mir nicht übelnehmen werden, wenn wir Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg unsere Glückwünsche besonders und nicht zusammen mit dem gesamten diplomatischen Corps aussprechen werden.
Ich bitte Eure Excellenz, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung entgegennehmen zu wollen.
(gez.)  S. Bratman Brodowski
Geschäftsträger a. i.
Empfohlene Zitierweise
Bratman-Brodowski, Stefan an Pacelli, Eugenio vom 27. August 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 18696, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/18696. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 25.02.2019.