Dokument-Nr. 19428
[Hürth SJ, Franz]
: Mayer, Dr. Joseph; Gesetzliche Unfruchtbarmachung Geisteskranker.
(Freiburg i. Br. 1927. Herder u. Co.).. [Valkenburg], vor dem 21. Oktober 1928
Grundsätzlich ist dem Staate das Recht der direkten Sterilisation all derjenigen zuzusprechen, von denen mit moralischer Sicherheit nur minderwertige Nachkommen zu erwarten sind. Der tatsächliche Gebrauch dieses Rechtes ist aber erst dann zulässig, wenn sich der Staat nicht mehr auf andere Weise gegen das Überhandnehmen1 der Minderwertigen schützen kann (cf. S. 439 f).
Der erste Satz dieser These ist irrig, unbewiesen; baut auf irrigen Vo<r>aussetzungen2 auf; führt zu widersittlichen Folgerungen, steht in mehreren Punkten mit allgemein anerkannten Sätzen der kath. Sittenlehre in Widerspruch; ist objektiv geeignet <ein>3 Anlaß zu Ärgernis und widersittlichem Tun zu werden; ist objektiv unvereinbar mit der Entscheidung des S. Officium vom 22. Mai 1895, die die Erlaubtheit der direkten Sterilisation (der Frau) verneint; [Collectanea S. Congr. de Prop. Fid., 2. Vol. pag. 321. n. 1897].
Zur Erhärtung4 dieses Gesamturteils ist es notwendig, die hauptsächlichsten Einzelthesen und Beweise anzuführen und zu beurteilen, mit denen der Verfasser seine Grundthese darzutun versucht. Es sind im wesentlichen folgende:
1. Die genannten Minderwertigen haben kein Recht auf Ehe und Zeugung. Das ergibt sich aus der Natur der Sache und der Autorität des hl. Thomas.
2. Weil diese Minderwertigen kein Recht auf Ehe und Zeugung haben, bedeutet die direkte Sterilisation keinen Eingriff in deren persönliche Rechte.
3. Der Staat hat dem Einzelmenschen gegenüber im wesentlichen die gleiche Stellung, die der Mensch den Einzelgliedern seines Körpers gegenüber hat. Der Staat kann darum die Persönlichkeit des einzelnen antasten, <[>5auch wenn kein schuldhaftes Verhalten vorliegt<]>6, wo immer dem Staat von dem einzelnen eine Schädigung droht, gegen die der Staat sich auf andere Weise nicht schützen kann. Dieses Eingriffsrecht des Staates ergibt sich aus den gleichen Gründen, mit denen das Recht des Staates dargetan wird, die Persönlichkeit des schuldhaften Verbrechers anzutasten. Vor allem ist für den Fall eines Notstandes des Staates zuzugeben, daß dem Staate von Gott die Gewalt und Berechtigung gegeben wird, entgegenstehende Rechte jeder einzelnen beiseitezuschieben, wenn sonst dem Notstande nicht abgeholfen werden kann.
4. Der Wille des Gesetzgebers, der (zum Schutze des Gemeinwohls)
2v
auf die
Sterili1.
Der Verf. sprich allen, von denen mit moralischer Gewißheit nur minderwertige Nachkommen zu erwarten sind, das natürliche Recht der Ehe und Zeugung ab; er beschränkt seine Behauptung nicht10 auf Minderwertige, die als "Geisteskranke im eigentlichen Sinn" eines menschlichen Handelns nicht fähig sind (S. 32 ff. 438 n. 1.)
In der vorliegenden Allgemeinheit ist der Satz gegen die weitaus vorherrschende Auffassung der Moraltheologen; mit Unrec<ht>11 nimmt der Verf. die Autorität des hl. Thomas für sich in Anspruc<h>12. Der Satz ist auch nicht zu vereinbaren mit dem von Leo XIII. in seiner Encyclic
2.
Der Verf. folgert aus dem von ihm behaupteten Mangel des Rechtes auf Ehe und Zeugung, daß der gesetzlichen Sterilisierung kein Recht der genannten Minderwertigen entgegenstehe, und dieser Eingriff darum keine Rechtsverletzung darstelle, (S. 106 ff).
Insofern dieser Satz auf dem behaupteten Mangel eines Rechtes zur Zeugung aufbaut, gilt das soeben zu Satz 1 Gesagte. Aber selbst wenn den genannten Minderwertigen ein solches Recht mangelte, ist die Schlußfolgerung, die der Verf. daraus zieht<,>17 unzulässig; denn etwas anderes ist das Recht, ein Organ zu gebrauchen, etwas anderes das Recht, das betr<e>ffende18 Organ überhaupt zu haben. Darum folgt aus dem Recht, den Gebrauch eines Organs endgültig zu verbieten, noch nicht das Recht, das Organ selbst zu zerstören oder physisch funktionsuntüchtig zu machen. - Derartige Beweisführungen sind in Dingen des praktischen Lebens nicht ohne Gefahr.
Insofern in diesem Satz eine Überspannung der Gewalt enthalten ist, die dem Staate dem einzelnen gegenüber zusteht, gilt das sogleich unter 319 zu Sagende.
3r
3.Bezüglich des Verhältnisses der Einzelpersönlichkeit zum Staa<t>20 stellt der Verf. die Behauptung auf:
a) Der Staat hat dem einzelnen gegenüber die gleiche Stellung, die der Mensch den Einzelgliedern seines <Körpers>21 gegenüber hat. (S. 121 ff).
Der Satz übersieht, daß zwar eine große22 Ähnlichkeit, aber keine volle Gleichheit besteht bezüglich der Beziehung zwischen Einzelmensch und Staat und der Beziehung zwischen Einzelglied und Gesamtorganismus. Die Einzelglieder sind in keiner Weise Zweck für den Gesamtorganismus, sondern nur Mittel; die Menschen aber sind Zweck für den Staat; da der Staat für die Menschen da ist, nicht die Menschen für den Staat. Der Satz des Verfassers widerspricht darum in der genannten übertriebenen Ausdehnung der christlichen Lehre über das Verhältnis von Mensch und Staat, wie sie vor allen in den Encyclicen Leos XIII. zum Ausdruck ko
Der Satz ist darum irrig und, namentlich in der Jetztzeit<,>29 gefährlich.
Thomas gebraucht zwar den Vergleich des physischen Organismus; aber er gibt ihm nicht die weite Ausdehnung, wie der Verfasser. Darum beruft sich der Verfasser mit Umrecht [sic] auf die Autorität des Doctor Angelicus; diese Berufung ist aber geeignet
b) Der Verf. stellt, was das Eingriffsrecht des Staates in die Persönlichkeitsrechte des einzelnen angeht, der Substanz nach eine schuldlose Schädigung oder Bedrohung der staatlichen Gemeinschaft auf eine Stufe mit einer schuldbaren durch einen Verbrecher (S. 109 ff). Dieselben Beweise, die das Recht des Staates dartun, den schuldhaften Verbrecher an Leib und Leben zu strafen, sollen auch das Recht beweisen, die körperliche Integrität des schuldlosen Schädlings31 anzutasten.32
Die These und Beweisführung verkennt den wesentlichen Unterschied, der zwischen <">Verbrechen<">33 und <">schuldloser Schädigung oder Gefährdung<">34 liegt, und den darin begründeten wesentlichen Unterschied in dem Eingriffsrecht des Staates. - Die Erörterungen des Verf. sind irrig und irreführend35, namentlich
3v
auch
durch die Berufung auf die Lehre und Autorität des hl. Thom.<,>36 der im Gegensatz zum Verf. klar unterscheidet zwischen
dem stac) Um dem Staate das Recht zur direkten Sterilisierung zuschreiben zu können, stellt der Verf. den ganz allgemeinen Satz auf: <">40Wenn irgend etwas zur Erhaltung eines Einzelkörpers oder des Staatskörpers unbedingt notwendig ist, dann ist es der Natur jenes Körpers angemessen41, also von Gott gewollt, d. i. gut.42 Gott kann nicht zulassen, daß etwas in sich Schlechtes einem
Nach übereinstimmender Lehre der Moraltheologen hat weder der Staat noch irgendein Privater ein direktes Verfügungsrecht über das Leben eines Schuldlosen; noch wird ihm ein solches von Gott zugestanden, wenn e
4.
Der Verf. vertritt der Sache nach den Satz: der Wille des Gesetzgebers, der – (zum Schutze des Gemeinwohls) – auf die Sterilisierung eines eventuellen Geschlechtsverkehrs direkt abzielt, ist rücksich<t>lich52 dieser Absicht sittlich nicht zu beanstanden (S. 369 ff).
Der Satz ist irrig, irreführend und gefährlich, da er letzten Endes die direkte Verhütung53 der Empfängnis bei Vornahme54 geschlechtlicher Betätigung als nicht in sich und unter allen Umständen verwerflich erklärt. Der Verf. erklärt zwar ausdrücklich, daß auch der Staat keinen onanistischen Verkehr erlauben könne; aber der Verf. übersieht, daß er tatsächlich dem Gesetzgeber eine
4r
derartige
onanistische Gesinnung55 zumutet. Denn wie der Verf.
selbst ausführt, soll die gesetzliche Sterilisierung einen56 Schutz bieten für den Fall, in
dem der Minderwertige gegen den Willen des Gesetzgebers geschlechtlichen Verkehr vornimmt,
damit für den Fall die Gefahr einer Empfängnis ausgeschlossen werde. Die Maßnahme des
Gesetzgebers zielt also direkt auf die Unfruchtbarmachung eines eventuellen
Geschlechtsverkehrs ab; das aber ist das Wesentliche eines onanistischen Verkehrs bezw.
einer onanistischen Absicht. Gegen den vom Verf. aufgeste<ll>ten57 Satz gelten also alle gegen den Onanismus coniugalis von
den kirchlichen Stellen erteilten Antworten, und steht die einstimmige Lehre der kath.
Moraltheologie über die unbedingte Unerlaubtheit jeder direkten Sterilisierung des
geschlechtlichen Verkehrs. – Aus eben diesem Grunde verwirft auch die Entscheidung des
S. Officium vom 22. Mai 1895 die direkte Sterilisierung der Frau, wenngleich
dieser Grund nicht ausdrücklich angeführt wird. Der Satz des Verf. muß darum als auch mit
dieser Entscheidung in Widerspruch stehend bezeichneet werden. [Der Wortlaut der
Entscheidung ist dieser: Se sia lecita la pratica sireg. 26 Ottobre 1928.
Pacelli sandte eine Kopie dieses Texts auch an Gasparri, vgl. Dokument Nr. 20567.
1↑"Überhandnehmen" hds. unterstrichen von unbekannter
Hand.
2↑hds. eingefügt von Hürth; "Voraussetzungen" hds.
unterstrichen von unbekannter Hand, vermutlich vom Empfänger.
3↑Hds. eingefügt
von Hürht.
4↑"Erhärtung" hds. unterstrichen von unbekannter Hand,
vermutlich vom Empfänger.
5↑Hds. eingefügt von
Hürth.
6↑Hds.
eingefügt von Hürth.
7↑Hds. gestrichen und eingefügt von
Hürth.
8↑"allenfallsigen" hds.
unterstrichen von unbekannter Hand, vermutlich vom Empfänger.
9↑Hds. gestrichen und eingefügt von
Hürth.
10↑Eine Zeile masch. geschwärzt.
11↑Hds. eingefügt von Hürth.
12↑Hds. eingefügt von
Hürth.
13↑Hds. gestrichen und eingefügt von
Hürth.
14↑Hds. gestrichen und eingefügt von Hürth.
15↑Hds. eingefügt von Hürth.
16↑Hds. gestrichen und eingefügt von
Hürth.
17↑Hds.
eingefügt von Hürth.
18↑Hds.
eingefügt von Hürth.
19↑Zwei Buchstaben masch. geschwärzt.
20↑Hds. eingefügt von Hürth.
21↑Masch. eingefügt.
22↑Ein Wort masch. geschwärzt.
23↑Hds. gestrichen und eingefügt
von Hürth.
24↑Hds. gestrichen und eingefügt von
Hürth.
25↑Hds. gestrichen und eingefügt von Hürth.
26↑Hds. eingefügt und ein Buchstabe
geschwärzt von Hürth.
27↑Hds. gestrichen und eingefügt von Hürth.
28↑Beide Klammern hds. eingefügt von Hürth.
29↑Hds.
eingefügt von Hürth.
30↑Hds. gestrichen und eingefügt von
Hürth.
31↑"schuldlosen Schädlings" hds. unterstrichen von
unbekannter Hand, vermutlich vom Empfänger.
32↑"das
Recht des Staates ... schuldlosen Schädlings anzutasten." hds. am linken Seitenrand
von unbekannter Hand angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
33↑Beide Anführungszeichen hds. eingefügt von
Hürth.
34↑Beide Anführungszeichen hds. eingefügt von
Hürth.
35↑"irreführend" hds. unterstrichen von unbekannter Hand,
vermutlich vom Empfänger.
36↑Hds.
eingefügt von Hürth.
37↑Hds. gestrichen und eingefügt von Hürth.
38↑"Schädlinge" hds. unterstrichen von unbekannter Hand,
vermutlich vom Empfänger.
39↑"staatlichen Eingriffsrecht ... gegen schuldlose Schädlinge." am linken Seitenrand von unbekannter Hand angestrichen,
vermutlich vom Empfänger.
40↑Hds. eingefügt von Hürth.
41↑"angemessen" hds. unstrichen von unbekannter Hand,
vermutlich vom Empfänger.
42↑"jenes Körpers ... d. i. gut." hds. am linken Seitenrand von
unbekannter Hand angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
43↑Hds. gestrichen
und eingefügt von Hürth.
44↑Ein
Wort masch. geschwärzt.
45↑Hds. eingefügt von
Hürth.
46↑Hds. eingefügt von Hürth.
47↑Hds. eingefügt von Hürth.
48↑"(S. 126)" masch. eingefügt.
49↑Hds. gestrichen und eingefügt von Hürth.
50↑Hds. gestrichen und eingefügt von
Hürth.
51↑Masch.
gestrichen.
52↑Hds. eingefügt von
Hürth.
53↑"direkte Verhütung" hds. unterstrichen von unbekannter
Hand, vermutlich vom Empfänger.
54↑Von
"letzten Endes" bis "bei Vornahme" hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand
angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
55↑"Gesinnung zumutet" hds. unterstrichen von
unbekannter Hand, vermutlich vom Empfänger.
56↑"derartige
onanistische .. Sterilisierung einen" hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand
angestrichen, vermutlich vom Empfänger.
57↑Hds.
eingefügt von Hürth.
58↑Hds.
gestrichen und eingefügt von Hürth.