Dokument-Nr. 3074
Mergel OSB, Johannes Leo von (Taufname: Johannes) an Pacelli, Eugenio
Eichstätt, 31. März 1919

Euer Exzellenz!Hochwürdigster Herr Erzbischof u. Apost. Nuntius!
Eine Angelegenheit von Bedeutung möchte ich unterbreiten und bitten, eine Kundgebung des hl. Vaters zu veranlassen, damit in dieser schweren Zeit alles unterbleibe, was der hl. kathol. Kirche schade.
Bevor die Revolution ausbrach, tauchte neuerdings der Gedanke auf, eine Standesorganisation des Klerus mit Schaffung eines Standesorgans zu gründen. Die ersten, welche diesen Gedanken in die Oeffentlichkeit warfen, waren wohl nicht die besten des Klerus; aber der Gedanke erfasste doch auch die guten Priester und zwar in der besten Absicht. Die Priester meinten, durch Zusammenschluss aller Priester in einen Standesverein, analog den Vereinen anderer Stände, erhielten die Priester grossen Einfluss im öffentlichen Leben, gewännen mehr Bedeutung bei Verteidigung ihrer Rechte und bei Zurückweisung der Anklagen und Vorwürfe gegen den Klerus, auch mehr Einfluss bei der Regierung des Landes sei es, dass es
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sich um Forderungen für Kirche und Klerus, sei es, dass es sich um Kampf gegen schlimme Bestrebungen handelt. Es wurde besonders auf den bayerischen Lehrerverein hingewiesen und betont, wieviel die Lehrer seit langen Jahren durch ihr Zusammenstehen im Vereine nicht bloss für finanzielle Besserstellung, sondern auch auf dem Gebiete der Schule erreicht haben. Es ist sicher wahr: der Lehrerverein bildet eine Macht. Eine ähnliche Macht sollte auch der Klerus sein und er kann es durch einheitliches Vorgehen im Verein um so mehr werden, weil er auch das katholische Volk hinter sich hat. So denkt der Klerus.
Der Gedanke einer Standesorganisation erfasste so ziemlich den ganzen bayerischen Klerus. Schon vor vielen Jahren, wenn ich nicht irre, circa 1901, fand eine derartige Vereinsgründung in kleiner Form statt, doch wurde die Sache damals unterdrückt. Jetzt scheint die Sache tiefere Wurzeln fassen zu wollen.
Während nun in ein paar Diözesen das Bestreben keine sofortige Abweisung, sondern etwas Begünstigung fand, nahm man in anderen sofort Stellung gegen die Gründung einer Standesorganisation des Klerus. In meiner Diözese hielten einige Domkapitulare in allen Teilen der Diözese Versammlungen des Klerus ab, um ihn von diesem Gedanken abzubringen, da ja der Klerus unter dem
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Bischof organisiert und fest zusammengeschlossen sei; eine organisatio interdioecesana dürfte kirchlich nicht gestattet sein.
Auf der Bischofskonferenz im Dezember 1918 wurde die Sache eingehend beraten. Mein Referat ging dahin, dass iure divino eine unverrückbare Organisation des Klerus für alle Standesaufgaben bestehe, von Christus dem Herrn festgelegt, - die Bindung an den Bischof. Auch der Kodex betone das in Can. 127. Die Kirche habe diese Organisation weiter ausgebaut durch Dekanatseinteilung der Diözesen. In diesem Rahmen habe der Klerus alle seine Aufgaben für sein Amt und seine Person zu lösen.
In diesem Rahmen sollen sich auch die conventus sacerdotum nach der Enzyklika "Pascendi dominici" bewegen und auch in dieser conventus dürfte nichts behandelt werden, was vor das Forum des hl. Stuhles oder der Bischöfe gehört. Auch dürfe in diese conventus kein Priester aus einer andern Diözese zugelassen, ausser er ist durch litterae seines Bischofs empfohlen. Der hl. Stuhl wolle also die Diözesanordnung nicht durchbrechen lassen durch eine associatio interdioecesana sacerdotum. Eine solche associatio hätte über sich keinen Bischof; der Klerus stehe aber stets und ganz unter dem Bischof.
Der Klerus dürfe sich unter Genehmigung der Bischöfe
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etwa zu wissenschaftlichen und praktischen Schulung auf bestimmten Gebieten zusammenschliessen und einen solchen Verein haben wir im Verein der bayerischen Schulvorstände bisher gehabt. Dieser Verein hatte ideale Zwecke und hatte ständige Fühlung mit den Bischöfen; er hat auch sehr viel Gutes für Klerus und Schule geleistet.
Das neueste Bestreben gehe nun dahin, den Klerus des Landes als Stand ähnlich wie andere Stände in einen Verein zusammenzuschliessen. Hier frage es sich: Ist es kirchlich erlaubt, dass die Priester eine derartige Standesorganisation schaffen und sich auf gleiche Stufe stellen wie die übrigen Stände?
Es scheint nicht angängig; denn der Priester hat eine andere Stellung als ein Beamter, Lehrer, Arbeiter etc. Der Priester ist für alle Stände und muss für alle wirken, darf sich also nicht anderen Ständen gegenüberstellen; er muss vielmehr für alle Stände tätig sein und mit allen gute Fühlung haben. Nur in enger Verbindung mit dem Volke ruht seine Kraft als Seelsorger. Durch Zusammenschluss in einen Verein wie andere Stände mag er als Parteimann gewinnen, verliert er sehr als Seelsorger. Auch können die 6.000 Priester Bayerns keine Tätigkeit beginnen losgetrennt oder gar im Gegensatz zu den Bischöfen und den bischöflichen Ordinariaten. Die Regierung hätte schliesslich
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mit 2 Faktoren zu rechnen: mit den Bischöfen und mit dem Priesterverein; kein Bischof aber hätte Autorität über den Verein.
Beamte und Lehrer haben eine ganz andere Stellung. Diese können ihre Angelegenheiten für sich betreiben und sind nicht abhängig von einem Obern. Der Priester ist aber stets abhängig und auch die 6.000 Priester sind abhängig, sind Helfer und Mitarbeiter der Bischöfe; sie haben keine selbständige Stellung wie die übrigen Stände. Schliesslich würden die radikaleren Elemente im Verein die Oberhand gewinnen, besonders heutzutage, und es erstände aus dem Verein ein Verein gegen die Bischöfe. Heutzutage geht ein stark demokratischer Zug durch die Welt, ein Kampf gegen alle Autorität. Wenn sich Priester in einem Verein zusammenschliessen, so dürfe das nur unter der Autorität der Bischöfe geschehen; eine associatio interdioecesana, das heisst, ein Verein aller bayerischen Priester mit einem Vereinsorgan, i. e. einem Vereinsblatt stände unter keinem Bischof mehr, wäre also unabhängig.
Die Bischöfe beschlossen in Freising, ein solcher Verein könne nicht gestattet werden. Indessen sei es angezeigt, die Priester i. e. delegati der Dekanate, öfter zu versammeln zu Konferenzen, in denen sich die Priester aussprechen könnten und in denen Wünsche und Anträge zu verhandeln wären.
Die ganze Angelegenheit scheint jedoch nicht erledigt zu nein. Auch gute, fromme Priester meinen, es könnte durch einen Verein
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aller bayerischen Priester viel gewonnen werden, besonders durch Gründung eines Vereinsblattes. Ein Verein mit einem Vereinsblatt, alle Priester zusammenstellen eine Macht dar, während der Einzelne nichts gilt. Wer heute nicht organisiert ist, der wird negiert, sagt man; nur die Organisation macht stark. Wenn alle Stände sich organisieren und zusammenschliessen und gemeinsam im Verein ihre Interessen vertreten, dann dürfe man dem Priesterstand dieses Mittel nicht versagen. Sonst sei das ein Zeichen, dass man den Priestern kein Vertrauen schenke und sie in unwürdiger Weise bevormunde.1
Es ist kein Zweifel, dass die guten Priester beste Absicht haben. Sie meinen, die Gründung eines solchen Vereins sei notwendig und lasse sich nicht mehr verhindern. Wenn es die Bischöfe nicht erlauben, so komme der Verein schliesslich doch zu Stande und dann ist zu befürchten, dass er sich auch gegen die Bischöfe richte. Die Böhmen haben in dieser Beziehung das schlimmste Beispiel gegeben. Gute Priester trösten sich auch mit dem Gedanken: Wenn ein Priesterverein bestände, dann würde kein Priester mehr in eine liberale Zeitung schreiben, sondern in das Vereinsblatt. Diese Hoffnung dürfte sich indessen kaum erfüllen. Vielmehr ist eher zu besorgen, dass ein Vereinsblatt der Priester, sofern es ideal bliebe, weniger gute Priester erst recht zum Kampfe herausfordere, oder dass das Blatt selbst unter den Einfluss der weniger guten käme und ein scandalum populi würde.
Wollen Euer Exzellenz den hl. Vater unterrichten! Es wäre gut,
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wenn der hl. Vater sich äussern würde: non licet oder non expedit, non liquet. Die Frage an den hl. Vater wäre: Utrum liceat, ut omnes sacerdotes alicuius regni associationem ineant interdioecesanam uti alii status regni organizati sunt, et libellum periodicum condant, in quo ea quae ad statum sacerdotalem pertinent (Standesinteressen) ex. gr. iura sacerdotum, defensio status contra oppugnantes tractantur? Et si affirmative, sub cujus iurisdictione talis associatio sacerdotum interdioecesana esset? Eine enuntiatio des hl. Vaters in irgend einer Form wäre sehr wünschenswert.
Ich habe schon in der Konferenz gemeint, dass es angezeigt wäre, den hl. Vater um Entscheid zu bitten. Nachdem aber alle Mitglieder der Konferenz gegen die Gründung eines Standesvereins der Priester sich einigten, wurde Umgang genommen. Der hochwürdigste Herr Erzbischof von München besorgte auch, dass es dahin ausgelegt werden könnte, als ob wir Bischöfe das odium auf den hl. Vater abladen wollten, wenn wir expresse um ein non licet bitten würden. Es könnte ja die Antwort des hl. Vaters generell sein, ohne gerade auf Bayern zu lauten. Der Gedanke "Standesverein des Klerus" geht überall um. Auch die "Pax-Correspondenz" von Norddeutschland hat in Nr. 1/2 1919 einen diesbezüglichen Artikel. Die bayerischen Priester wünschen einen eigenen Verein. Und wie ich heute lese, dringt ein gewisser Wolfgruber, Pfarrer in Oberbayern, energisch auf Gründung eines Vereins aller
Priester und sendet den Entwurf von umher. Bei solcher Sachlage wäre es gut, wenn die Anschauung des hl. Vaters bekannt würde. Jedenfalls ist es jetzt angezeigt und sogar notwendig, dass
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er Kenntnis von dem Bestreben der Priester erhält und auch erfährt, dass die Bischöfe sich gegen die Gründung eines Standesverein aller Priester des Landes ausgesprochen haben.
Es ist wirklich fraglich, ob nicht ein solcher Verein schliesslich von den weniger guten Priestern geleitet und beherrscht würde und die guten sich dann zurückzögen, dass also der Ausgang zum Nachteil wäre. Ob aber das Schlagwort "Standesorganisation der Priester", ganz auszutilgen ist hic et nunc zweifelhaft.
Mögen Euer Exzellenz beitragen zur Lösung der Frage! Gott der Herr möge in dieser schweren Zeit den Klerus im rechten Geiste erhalten und den demokratischen Geist von der hl. Kirche fernhalten!
Mit dem Ausdrucke tiefer Verehrung empfiehlt sich
Euerer Exzellenz
demütigst ergebener
<(s.)>2 + Leo., Epps. Eystetten.
Hds. von unbekannter Hand am rechten oberen Seitenrand:"All. I al N. 12601"
1Hds. eine Markierung am linken Seitenrand eingefügt.
2Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, eingefügt.
Empfohlene Zitierweise
Mergel OSB, Johannes Leo von (Taufname: Johannes) an Pacelli, Eugenio vom 31. März 1919, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 3074, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/3074. Letzter Zugriff am: 26.04.2024.
Online seit 04.06.2012.