Dokument-Nr. 4447
Schulte, Karl Joseph an Pacelli, Eugenio
Köln, 08. Juli 1923
durch die jüngsten Maßnahmen der Belgischen und Französischen Regierungen infolge des (m. W. freilich noch nicht aufgeklärten) entsetzlichen Verbrechens an der Duisburger Brücke wurden unvermeidlich am härtesten diejenigen getroffen, die am unschuldigsten sind: Frauen, Kinder, Greise. Es sind Hungerkatastrophen für die allernächste Zeit im Ruhrbezirke zu befürchten; Kommunismus und Bolschewismus werden wieder wachsen, sobald der drohende Kampf der Massen des Volkes um Lebensmittel den letzten Rest von Besonnenheit, Ordnung und Moral zerstört. In der Belgischen Zone, besonders in Duisburg, sollen sich die deutschen Hauptdepots für Lebensmittel, die nicht mehr transportiert werden können, befinden. Die Verkehrssperre hat diesen Transport für die 4 Millionen Menschen, die in Betracht kommen, überhaupt schon bedrohlich unterbunden.
Ich würde glauben als Oberhirt der von Hunger bedrohten Gläubigen des besetzten Gebietes an der Ruhr aufs schwerste meine Pflicht zu versäumen, wenn ich nicht jeden mir möglichen Weg versuchte, neues Unheil fernzuhalten. Durch die gütige und nie versagende Vermittlung Euerer Excellenz bitte ich den Heil. Stuhl inständig, daß sein hoher Einfluß der drohenden Hungerkatastrophe vorbeuge, die außenpolitisch ebenso verhängnisvoll sich auswirken wird als sie innenpolitisch dem Umsich-
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greifen von Kommunismus und Bolschewismus zu gute kommt. Indem ich zum Voraus bereits für jeden hilfreichen Schritt danke, bin ich in treuester Verehrung
Euerer Excellenz
ehrerbietigst ergebener
J. Card. Schulte
Erzbischof von Köln.