Dokument-Nr. 4452
Hirtsiefer, Heinrich an Pacelli, Eugenio
Berlin, 23. Mai 1927

Euer Exzellenz
erlaube ich mir, folgende Angelegenheit zu unterbreiten:
Herr Regierungspräsident Grützner in Merseburg, während des Ruhrkampfes in gleicher Eigenschaft in Düsseldorf, ist durch Urteil des französischen Kriegsgerichts vom 27. Dezember 1923 wegen achtfachen Mordes zu 20 Jahren Zuchthaus und anschließend 20 Jahren Ausweisung aus dem besetzten Gebiete verurteilt worden. Außerdem hat ihn während des Ruhrkampfes der französische Armeeoberbefehlshaber am 18. Februar 1923 und die Jnteralliierte [sic] Rheinlandkommission im März 1923 noch besonders aus dem besetzten Gebiet ausgewiesen. Von der Amnestie des Londoner Abkommens von 1924 ist er ausdrücklich ausgenommen worden, und es ist auch bisher den deutschen Behörden, insbesondere dem Herrn Reichskommissar für die besetzten Gebiete nicht gelungen, die gegen ihn verhängten Maßnahmen zu beseitigen, so daß kürzlich das Auswärtige Amt um weitere Schritte gebeten worden ist. Es ist aber wohl kaum damit zu rechnen, daß in
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absehbarer Zeit die Aufhebung der genannten Sanktionsmaßnahmen erreicht wird. Der Regierungspräsident Grützner hat insofern ein erhebliches Jnteresse an der Aufhebung, als seine Frau geborene Elsässerin ist, ihre familiären und sonstigen Beziehungen vorwiegend in dem Elsaß hat und, wenn auch sie, die gleichfalls ausgewiesen war, inzwischen amnestiert ist, so ist sie doch nicht in der Lage, die Gräber ihrer Eltern im Elsaß aufzusuchen, weil sie hierzu des Schutzes ihres Mannes bedarf.
Jch darf Euer Exzellenz von Vorstehendem Kenntnis geben und ergebenst bitten, zu erwägen, ob es nicht möglich ist, Herrn Grützner durch Jhre gütige Vermittlung eine Erleichterung zu verschaffen. Grützner ist in der Zeit des Ruhrkampfes mit dem päpstlichen Delegaten, dem jetzigen Uditore Testa, sehr gut bekannt geworden. Monsignore Testa weiß aus seiner Tätigkeit im Ruhrgebiet genau, daß Grützner damals bei seinem Vorgehen gegen die Besatzungsmächte nichts anderes getan hat, als was ihm seine Pflicht als preußischer Beamter an der Spitze des Regierungsbezirks Düsseldorf zwingend vorschrieb. Jch wäre Euer Exzellenz daher sehr verbunden, wenn Sie sich dafür einsetzen würden, diese noch unangenehme Erinnerung an den Ruhreinbruch zu beseitigen. Dem Verstehen der beiden Völker würde durch eine solche Amnestie ein großer Dienst erwiesen werden.
Genehmigen Sie den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung
Jhr sehr ergebener
Hirtsiefer
Empfohlene Zitierweise
Hirtsiefer, Heinrich an Pacelli, Eugenio vom 23. Mai 1927, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 4452, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/4452. Letzter Zugriff am: 18.04.2024.
Online seit 25.02.2019.