Dokument-Nr. 564
Salm-Reifferscheidt-Dyck, Alfred zu an Pacelli, Eugenio
Schloss Dyck, 14. Juni 1923

Euer Excellenz!
Obwohl in meiner Abwesenheit die Korrespondenz mit dem Kardinal-Staatssekretär auf Wunsch des Herrn von Zwehl an Ihre Adresse abgegangen ist, möchte ich diese Dokumente doch noch mit einigen eigenen Worten begleiten.
Aus den mündlichen Ausführungen des Herrn von Zwehl wissen Euer Excellenz, dass die Anregung zu meinem Telegramm an Seine Heiligkeit von der Generalversammlung der Rheinisch-Westfälischen Malteser-Genossenschaft in Münster ausgegangen ist, d. h. vom Adel eines Landes, der und das sich immer durch eine kindlich-ehrfurchtsvolle Anhänglichkeit gegen den Hl. Stuhl ausgezeichnet hat.
Wenn bei dieser Gelegenheit eine tiefernste Stimmung zum Ausdruck gekommen ist, so müssen gewichtige Beweggründe dafür vorgelegen haben. Diese liegen nicht nur in der trostlosen Lage unseres Vaterlandes, dem kaum irgendein Hoffnungsschimmer mehr zu dämmern scheint, und auch nicht in der Absicht, den Hl. Stuhl zu Schritten zu bewegen, die durch seine Stellung besonders erschwert sind, sondern ganz besonders in der begründeten Besorgnis, dass so vertrauensvolle Verhältnis zwischen dem Hl. Stuhl und den deutschen Katholiken und damit die katholische Religion in Deutschland könnte aus den jetzigen Ereignissen schweren Schaden erleiden. Was können z. B. die wenigen noch idealistisch eingestellten Parlamentarier der grossen Menge ihrer rein
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materiell denkenden Fraktionsgenossen antworten, wenn diese in dem in allernächster Zeit bevorstehenden Kampfe um die wichtigsten religiösen und kulturellen Interessen darauf hinweisen, dass die Hoffnung auf die Errettung aus tiefster Not durch die einzige und höchste moralische Weltmacht eine vergebliche gewesen ist? – Ich kann daher nur tief bedauern, dass die Antwort des Kardinal-Staatssekretärs auf einen aus tiefster Seele kommenden Hilferuf nur den äusseren Sinn der Worte berührt.
Die Dankbarkeit des ganzen deutschen Volkes für das persönliche Eingreifen des Hl. Vaters für unsere Verwundeten, unsere Kinder und Bedrängten ist unzweifelhaft und tiefgefühlt; aber der Hinweis meines Telegramms auf die durch 50 Jahre fortgesetzten Proteste der Katholiken Deutschlands und ihres Sieges im Kulturkampfe bezog sich auf die Hoffnung eines aktiven Eintretens für dieses selbe Deutschland, das von erbarmungslosen Siegern zu Tode gemartert wird.
Wenn wir auch überzeugt sind von dem Willen des Hl. Stuhles, richtig und unparteiisch informiert zu werden, so kennen wir die Macht und die Mittel der gegnerischen Propaganda zu gut, um nicht vor deren Wirkung in Rom die schwerste Besorgnis zu hegen. Warum ist die von so grossen Hoffnungen begleitete Informationsreise Msgr. Testas plötzlich und unerwartet abgebrochen worden, wo er gerade in diesen Tagen Gelegenheit hätte, im Ruhrgebiet recht charakteristische Scenen zu erleben? –
Wenn ich auch persönlich nicht den Anspruch erhebe, die Beweggründe des Hl. Stuhles zu erfassen, so ist es in unserm demokratischen Zeitalter leider die grosse Menge, welche regiert und an deren Unverständnis die besten Absichten scheitern. Aber gerade in den Tagen des Leidens hat wie der Mensch, so auch ein Volk das feinste Gefühl für seine wahren Freunde und aus der tiefsten Not erwächst seinen Helfern
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die stärkste Dankbarkeit. –
Auch ich hoffe mit dem Kardinal-Staatssekretär auf die Morgendämmerung des wahren Friedens; doch wird, so fürchte ich, dieser Tag uns niemals leuchten, wenn nicht die volle Sonne die dunkeln Wolken durchdringt, die Sonne der Wahrheit und des Rechtes, d. h. die Kraft der katholischen Kirche.
Diese Erwägungen, welche von der tiefsten Besorgnis um das Schicksal der katholischen Kirche in Deutschland eingegeben sind, bitte ich an Hand des Briefes des Kardinal-Staatssekretärs zu lesen und über diese Gefühle, die von einer grossen Anzahl meiner Standes- und Volksgenossen geteilt werden, nach Rom zu berichten. Euer Excellenz sind über die Verhältnisse und Zustände in Deutschland zu genau orientiert, um sie nicht zu verstehen und voll zu würdigen.
Mit dieser Bitte bleibe ich
Euer Excellenz
ehrfurchtvollst ergebener
Fürst Salm-Reifferscheidt
Empfohlene Zitierweise
Salm-Reifferscheidt-Dyck, Alfred zu an Pacelli, Eugenio vom 14. Juni 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 564, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/564. Letzter Zugriff am: 30.04.2024.
Online seit 24.10.2013.