Dokument-Nr. 6226

Hauck, Jacobus von: Das Kinder- und Erholungsheim"Marienruhe" auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Hammelburg (Diözese Würzburg), vor dem 22. Juli 1922

Das Kinder- und Erholungsheim
"Marienruhe"
auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Hammelburg (Diözese Würzburg)
ist entstanden aus der während der Kriegszeit einsetzenden Fürsorge, für die infolge der Entbehrungen vielfach unterernährten, in ihrer Gesundheit geschwächten und gefährdeten deutschen Kinder eine Gelegenheit zu wenigstens zeitweiliger körperlicher Erholung zu schaffen. Die Unterbringung in ländlichen Familien hatte bald wieder versagt, teilweise war sie auch gerade zur Zeit der Erntearbeiten nicht sonderlich günstig. Die Lage des ehemaligen Truppenübungsplatzes Lager Hammelburg, die vorhandenen, nunmehr ungenutzt stehenden Gebäulichkeiten, die sonstigen Einrichtungen ließen in Dompfarrer Dr. Alfred Winterstein und Prokurist Georg Staab in Würzburg den Gedanken reifen, hier in großzügiger Form ein Kindererholungsheim zu schaffen. Hier konnten die Kinder bequem und gesund untergebracht werden, hier konnten sie in Gottes freier Natur unbehelligt und niemand störend sich tummeln, spielen, frische Luft schöpfen, sich erholen. Von Anfang an war ein leitender Gedanke, das Heim nicht in die Hände des Staates oder einer Versorgungs- und Fürsorgeanstalt zu geben, sondern es als ein Werk der freien christlichen Liebe ins Leben zu rufen und so dem Einfluß unberufener Kreise für die Zukunft zu entziehen. Wenn man auch voraussah, daß auf solche Weise "amtliche" Mittel nicht so reich fließen und der Anstalt ihren Bestand sichern würden, so war in der materiellen Selbständigkeit die feste Grundlage gegeben, auch in religiöser und sittlicher Beeinflussung das Kindererholungsheim sicher in der Hand zu haben und zu behalten.
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Die größeren wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Sorgen, die mit der freien Form christlicher Liebesbetätigung gegeben waren, sind bisher dank besonders der unermüdlichen und erfinderischen Werbearbeit des 1. Vorsitzenden des Vereins Marienruhe, Herrn Georg Staab, unter dem sichtbaren Segen Gottes überwunden worden.
Platz, Gebäulichkeiten und zugehörige Einrichtungen sowie 600 Morgen Feld wurden pachtweise vom Reich übernommen auf Kosten des Vereins. – Die entsprechende Instandsetzung der Innenräume und ihrer Einrichtung erforderte große Summen. – Die
Beschaffung der Lebensmittel und des ganzen sonstigen Bedarfs für die Kinder und die Schwestern vom kostbaren Blut, die für den Betrieb gewonnen wurden, erheischt fortgesetzt schwere Ausgaben, – ist doch der Betrieb nicht auf Gewinn eingestellt, sondern auf die möglichst verbilligte Unterbringung und Verpflegung einer großen Anzahl von Kindern. – Die Küchenanlagen vom früheren Lager, in denen kräftige Soldaten die Arbeit geleistet hatten, erwiesen sich für die schwächeren Schwestern als auf die Dauer ungeeignet. Es mußte in den ersten Monaten des Jahres 1922 eine Dampfkochanlage eingebaut werden, die mehrere Hunderttausend kostete. – Schwere Mühe und große Auslagen verursacht die Neubestellung der für den Übungsplatz brachgelegten Felder sowie die Beschaffung der hiezu benötigten Gerätschaften, des Nutzviehes, besonders der Kühe. Und doch ist gerade dieser Teil des Unternehmens die beste Sicherung für den Bestand und die Leistungsfähigkeit des Kinderheims.
Über die vom Heim geleistete Fürsorge weisen die Zahlen des Jahresberichtes aus: Vom 1. Januar bis 31. Dezember 1921 waren im Heim untergebracht 121 Transporte mit 9045 Kindern, 5.202 aus Bayern, 3.843 von außerhalb. Davon waren wieder 2.916
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bezw. 2.382 Kinder von Kriegsbeschädigten und -hinterblieben und Kriegswaisen. 18.000 Kinder mußten abgewiesen werden.
In diesem Jahre ist das Heim seit 1. April wieder vollständig in Betrieb. Die ersten 600 Kinder sind in ihre Heimat zurückgekehrt.
Die Wirkungen für die Kinder sind nach den Zeugnißen der Aerzte und der aussendenden Gemeinwesen sehr günstig.
Für das religiöse Leben der Kinder ist im Heim auf's beste gesorgt. Ein eigener Seelsorger ist für die katholischen Kinder angestellt. Der gute Einfluß durch die regelmäßigen Tagesgebete, durch Besuch des täglichen Gottesdienstes und durch eifrigen Sakramentenempfang ist besonders bei den Kindern aus den Industriestädten offensichtlich.
Der Jahresumsatz 1921 betrug 3.394.012, 34 Mk, die Einnahmen 1.710.806, 69 Mk, die Ausgaben 1.683.205, 35 Mark.
An namhaften Spenden waren im verfloßenen Jahr für die Einrichtung des Heims in all seinen Teilen zugeflossen: von S. Heiligkeit Papst Benedikt XV. 100.000 Mk, vom holländischen Episkopat c. 100.000 Mk. , von Nuntius Erzbischof Pacelli 5.000 Mk, von Kardinal Erzbischof Dr Schulte von Köln15.000 Mk, vom Ordinariat Würzburg 15.000 Mk, vom Staatsministerium des Innern 25.000 Mk u.s.w.
Die Dankbarkeit gegen die Wohltäter des Heims findet in Marienruhe in der Weise ihren Ausdruck, daß einzelne Gebäudetrakte den Namen von Wohltätern erhalten u. tragen, so gibt es ein Benedikt.XV-Haus, ein Haus einzelner holländischer und amerikanischer Bischöfe. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn auch der Name des regierenden Heiligen Vaters an einem Gebäude den tausenden von Kindern aus ganz Deutschland Kunde geben würde von der väterlichen Fürsorge Pius' XI. für die notleidenden deutschen Kinder.
Prälat Dr Alfred Winterstein
Domkapitular.
Empfohlene Zitierweise
Hauck, Jacobus von, Das Kinder- und Erholungsheim"Marienruhe" auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Hammelburg (Diözese Würzburg) vom vor dem 22. Juli 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 6226, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/6226. Letzter Zugriff am: 14.12.2024.
Online seit 31.07.2013.