Dokument-Nr. 7126
Michalkiewicz, Kazimierz Mikołaj an Eichhorn, Emil Gottfried Hermann von
Vilnius, 10. September 1917

Abschrift
Eurer Excellenz zwei letzte Schreiben vom 30.V.17 – V. 210/17 pers. und vom 10.VII.17 – V. 8457 veranlassen mich es auszusagen, wie dankbar ich einerseits bin für die von Eurer Excellenz im Falle von Taboryszki getroffenen Maßnahmen, und wie peinlich es mir andererseits war, die schweren Vorwürfe zu vernehmen, die Eure Excellenz gegen mich und den polnischen Teil der mir unterstellten Geistlichkeit in den beiden Schreiben richten.
Eure Excellenz werfen uns Mängel an dem Hauptstück der christlichen Religion, der Brüderliebe und Duldung den deutschen Katholiken gegenüber vor, und Nachlässigkeit in Erfüllung unserer Pflicht dem eigenen Volke gegenüber, indem wir die berufenen Führer und Ratgeber der Bevölkerung, diese unsere Aufgabe gegen andere Rücksichten zurücktreten ließen dort, wo es notwendig war, die Bevölkerung über die richtige Würdigung der strengen militärischen Maßnahmen nicht als vexatorische Maßregeln, sondern als unabwendbare Folgen des Krieges zu belehren und ihr dadurch den Druck derselben weniger empfindbar zu machen.
Was den ersten Vorwurf angeht, so muss ich es mit aller Nachdrücklichkeit hervorheben, dass er für mich und die polnischen Geistlichkeit in hohem Grade verletzend ist, zumal dass die Tatsachen es beweisen, dass wir vom Beginn des Krieges nach unseren Kräften mit Liebe allein dem deutschen Katholiken gegenüber entgegenzutreten suchten.
Noch im ersten Jahre des Krieges vor der Besetzung Wilnas durch die
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deutsche Armee wurde von mir ein Geistlicher, der die deutsche Sprache beherrscht, zum Seelsorger für die in Wilna sich befindenden Kriegsgefangenen aus dem deutschen Heere ernannt. Trotz der großen Schwierigkeiten von Seiten der russischen Militärbehörden, weilte er täglich, nicht selten bis tief in die Nacht, bei den weit von ihrer Heimat und ihren Angehörigen leidenden Verwundeten, um ihnen den religiösen Trost zu spenden. Die Kriegsgefangenen betonten es wiederholt, sie hätten nie gehofft, dass sie im Feindeslande, wie sie sagten, so viel sorgfältige Aufmerksamkeit finden würden, und versicherten (nicht nur Katholiken, sondern auch die Evangelischen), dass sie dies nie im Leben vergessen werden.
Ebenfalls auch gleich nach der Besetzung der Stadt wurde von mir eine der größten und schönsten Kirchen Wilnas – die St. Johanniskirche – zum Abhalten des Gottesdienstes für die deutschen katholischen Soldaten ausersehen, und ein Geistlicher bestimmt, der vor dem Eintreffen der deutschen Feldgeistlichen die Seelsorge in den Feldlazaretten ausübte. Und auch während der folgenden Jahre der Besetzung suchte ich allen katholischen Feldgeistlichen, die an mich um Hilfe in ihrem geistlichen Dienste sich wandten, in allem, was in meinen Kräften lag, genugzutun, durch Ausleihung von kirchlichen Gewändern, Utensilien etc. Das segensreiche Mitwirken der deutschen Feldgeistlichen und der Landesgeistlichkeit an verschiedenen Ortschaften des besetzten Gebietes kann übrigens auch als Beweis der guten Verhältnisse angesehen werden, die zwischen den beiden Teilen der katholischen Geistlichkeit bestehen, was ich auch in meiner Unterhaltung mit dem Herrn Feldpropst der Armee während seines Aufenthalts mit den Feldgeistlichen bei mir im Februar des Jahres 1916 zum Ausdruck gebracht habe, indem ich meinen ganz besonderen Dank den Feldgeistlichen aussprach für ihr opferwilliges seelsorgerisches Wirken auch zu Gunsten der Landesbevölkerung, wofern derselben aus militärischen Gründen der Zutritt zu der Ortgeistlichkeit unmöglich ist.
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Eure Excellenz können daraus schließen, wie fern mir die Absicht lag, Beschwerde gegen die Feldgeistlichen im allgemeinen zu führen, wie es Eure Excellenz im Anfange des Schreibens vom 30.V.17 bemerken.
Wenn es dagegen im einzelnen Falle in der St. Johanniskirche zu sehr bedauernswerten Vorfällen gekommen ist, so liegt meines Erachtens die Schuld dafür nicht an der polnischen Geistlichkeit, sodass ihr der Mangel an christlicher Bruderliebe in hohem Grade vorgeworfen werden müsste, und dass die Fehlgriffe, deren sich die zwei in Frage kommenden Feldgeistlichen zu Schulden kommen ließen, gerechtfertigt werden könnten. Im Gegenteil, hat der Pfarrer Araszkiewicz, Kooperator an der St. Johanniskirche, der mit Geduld die ihm vom Herrn Etappenpfarrer Albert zugefügte Beleidigung ertrug, als der letzte ihn in der Sakristei der Kirche in Anwesenheit von Soldaten und Zivilpublikum beim Kleide fasste und mit dem Finger vor dem Gesicht drohend mit verletzten Worten anredete, große Bruderliebe und Duldung kundgetan angesichts einer Taktlosigkeit, die so scheint es mir als anerkennenswerte Weise, die Rechte der deutschen Feldgeistlichen und Soldaten gegen übelwollende Eingriffe zu wahren nicht bezeichnet werden kann.
Und wenn ich seiner Zeit Eure Excellenz gebeten habe, den deutschen katholischen Gottesdienst aus der St. Johanniskirche in eine der von den Feldgeistlichen zum Katholischen Gottesdienst neugeweihte griechisch-orthodoxe Kirche verlegen lassen zu wollen, so – mögen doch Eure Excellenz mir Glauben schenken – habe ich es getan nicht aus Mangel an Gastfreiheit und in Verkennung der religiösen Gefühle der deutschen Katholiken, die mit größerer Inbrunst in unseren lateinischen als in orientalischen Kirchen beten, sondern nur in der Absicht noch größeren Konflikten vorzubeugen, als es dazu gekommen ist, dass der Herr Etappenpfarrer Albert Schlösser an Privatkirchenbänken und an einem Schranke in der Sakristei, wo das Privateigentum des Pfar-
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rers der St. Johanniskirche eingeschlossen lag, ausreißen ließ.
Wenn der Herr Pfarrer Albert zu derartigen Mitteln zu greifen sich genötigt sah, da er durch das Verhalten der polnischen Amtsbrüder dazu gereizt war, so möchte ich bemerken, dass die geeignetste Art und Weise die Angelegenheit zu erledigen, wäre dieselbe nur vorzulegen. Indessen haben die Herren Feldgeistlichen es vorgezogen in einer Kirche, die vom Heiligen Stuhl meiner obersten Jurisdiktion unterstellt worden ist, wie in einem belegten Lokal zu wirtschaften.
Es ist mir ferner nicht klar, weshalb Excellenz eine Verkennung meiner Rechte darin sehen, dass ich der Ansicht bin, dass die rein kirchlichen Angelegenheiten betreffend die Verstöße der mir unterstellten Geistlichen an mich gerichtet werden müssen, und dass ich den Herrn Feldpropst der Armee gebeten habe, seinen Einfluss auf die Feldgeistlichen auszuüben, in der Richtung, dass sie in derartigen Angelegenheiten nicht an die Polizei, wie es der Herr Garnisonpfarrer Dumbelfeld getan hat, sondern an mich sich wenden möge, "sed me potius, exempla praedecessorum suorum sequentes, in suis negotiis adire vellent", und weshalb Eure Excellenz das Verhalten der Vorgänger der jetzigen Feldgeistlichen, die diesen Weg einschlugen, als unrichtig bezeichnen. Eure Excellenz erkennen ja am Schlusse Ihres Schreibens vom 30.V.17 an, dass die Herrn Feldgeistlichen in kirchlichen Dingen nur ihren kirchlichen Vorgesetzten, dem Feldpropst der Armee unterstehen, und dass sie in diesen Dingen an ihn sich wenden müssen. Aus demselben Grunde unterstehen die Geistlichen der Wilnaer Diözese nur mir, und die Beschwerden gegen sie in kirchlichen Dingen müssen an mich gerichtet werden.
Daher kann auch der Weg, den ich eingeschlagen habe, indem ich meine Beschwerde in rein kirchlichen Angelegenheiten gegen zwei, nicht gegen die Feldgeistlichen im allgemeinen, an den Herrn Feldpropst der Armee richtete, nicht als Verkennung der Stellung der Herrn Feldpropstes, der Feldgeistlichen und meiner eigenen angesehen werden. Er entspricht vielmehr der auch von Eurer
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Excellenz geteilten Ansicht, dass die Feldgeistlichen in kirchlichen Dingen dem Feldpropst der Armee unterstehen.
Ich kann daher mein Befremden, der Anordnung Eurer Excellenz gegenüber nicht verhehlen, wodurch mein Schreiben an Herrn Feldpropst der Armee zurückgehalten wurde.
Aus denselben Erwägungen muss ich auch von dem von Eurer Excellenz mir vorgeschlagenen Wege Beschwerden gegen die Feldgeistlichen in rein kirchlichen Angelegenheiten an ihre militärischen Vorgesetzten zu richten absehen.
In Beantwortung auf den zweiten Einwand, den Eure Excellenz gegen die Geistlichkeit der mir anvertrauten Diözese erheben, muss ich erklären, dass die Vermutung die Geistlichkeit hätte aus politischen Rücksichten ihre Pflichten der Landeseinwohnerschaft gegenüber zurücktreten lassen, nicht zutreffend ist. Ich habe in meinen Schriften an die deutschen Militärbehörden und in Besprechungen mit denselben wiederholt betont, dass meine und der mir unterstellten Geistlichkeit politische Stellung in einer strengsten Neutralität besteht und dass wir uns in die Angelegenheiten des Krieges nicht einmischen wollen. Ich kann nicht umhin an dieser Stelle die in meinem Schreiben vom 30. Dezember. 1916 II. Nr. 570 an Herrn Chef der Verwaltung Wilna-Sulwaki gegebenen Erklärungen zu wiederholen: …"ich und die mir Untergebene Geistlichkeit (standen) von Anfang an auf rein staatgesetzlich neutralem Boden, in dem wir uns einerseits von Allem, was in Zukunft für das Land und die Kirche unerwünschte Folgen haben könnte zurückhielten, andererseits aber, weit entfernt von den Angelegenheiten des Krieges, waren wir und bleiben weit von irgendwelchen feindschaftlichen Kundgebungen den deutschen Behörden gegenüber und auf diesem Standpunkt wollen wir bis zum Ende des Krieges verharren."
Apostolischer Administrator der Diözese Wilna Päpstlicher Protonotar
Pfarrer u. stellvertr. Sekretär.
Empfohlene Zitierweise
Michalkiewicz, Kazimierz Mikołaj an Eichhorn, Emil Gottfried Hermann von vom 10. September 1917, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 7126, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/7126. Letzter Zugriff am: 19.04.2024.
Online seit 24.03.2010, letzte Änderung am 10.03.2014.