Dokument-Nr. 8572

[Hartmann, Felix von]: [Kein Betreff]. [Köln], vor dem 21. Oktober 1918

[Abschrift]
Am Nachmittage des 24.9.1918 spielte sich auf der Landstr. von Hadamar nach Elz im Nassauischen ein Stückchen Kriegsgeschichte eigener Art ab.
Unter Führung eines deutschen Militärgeistlichen zog ein Trupp von 86 französischen Kriegsgefangenen in lebhaften, fröhlichen Gesprächen zu 3 und 3 dahin. Zwei von ihnen hatten sich vor einen Karren Gemüse gespannt, an dem sich vorher eine Frau mit ihrer kleinen Tochter abgemüht hatte, und beschlossen so den Zug. Im Marsche versuchten selbst einige mit ihrer fremdländischen Zunge leise u. zaghaft deutsche Gesänge, die sie sich aus einer Sammlung deutscher Kommerslieder einstudiert hatten, zu singen. Sie kamen vom Herzeberg her, jenem idyllisch gelegenen, von einer Wallfahrtskapelle inmitten schattiger Bäume gekrönten Anhöhe, unweit des Städtchens Hadamar, wohin sie eine Wanderung gemacht hatten. Es waren franz. Priesteramtskandidaten in den verschiedensten militärischen Rangstufen: Offiziere, Utffz. u. Mannschaften. Einige von ihnen sind schon zu Diakonen geweiht, andere sind Subdiakone, viele haben wenigstens schon die niederen Weihen empfangen. Aus etwa 40 verschiedenen Diözesen haben sie sich in der ersten Hälfte d. J. in dem Gefangenenlager Limburg zusammengefunden. Einem Wunsche deutscher Bischöfe entsprechend hat sie das Kriegsministerium aus den verschiedensten Lagern nach Limburg an d. L. überwiesen, damit sie dort ihre theologischen Studien wieder aufnehmen und sich auf ihren priesterl. Beruf weiter vorbereiten können. – Im Lager Limburg bewohnen sie 2 Baracken, welche von
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den übrigen vollständig getrennt sind u. ein kleines Lager für sich mit eigener Betkapelle u. eigener Küche bilden.
Ein besonderer Spielplatz u. ein Gemüsegarten, der von ihnen selbst gepflegt wird, vervollständigt das Seminarlager.
Die Tagesordnung ist ganz derjenigen angepasst, die in den meisten franz. Priesterseminaren eingeführt ist. Die kriegsgefangenen Theologen haben diese Studienanstalt unter den Schutz der allersel. Jungfrau gestellt u. ihr den Namen eines Seminaire de Notre Dame de la Merci gegeben.
Der 24. Sept. ist somit ihr Patronatsfest. Am Morgen dieses Tages war in der Seminarkapelle feierl. Levitenamt, das von den deutschen Lagergeistlichen unter Assistenz von Seminaristen zelebriert wurde. Um 12 Uhr vereinigte alle ein Festessen, aus den Beständen der Postsendungen der franz. Heimat war es hergerichtet worden. Ein von den Insassen selbst aufgestelltes Seminarstatut bestimmt nämlich, dass der Inhalt sämtlicher Pakete zum Besten der Allgemeinheit in die gemeinsame Küche wandert.
Nach dem Essen durften die Kriegsgefangenen dann als besondere Vergünstigung des Tages eine Wallfahrt zum Herzeberg bei Hadamar machen. Unter der Leitung des deutschen Lagergeistlichen u. 4 franz. Priester führen die Seminaristen in klösterlicher Abgeschlossenheit ein Leben des Gebetes u. des Studiums. Morgens 6 Uhr stehen sie auf, es folgen dann Morgengebet, Betrachtung u. h. Messen. 8  Uhr ist Frühstück, darauf beginnt das Studium, 9 ¼ haben sie die 1. Vorlesung, nach dem Mittagessen um 12 Uhr ist eine Erholungszeit bis 2 Uhr eingelegt worden. Dann wechseln wieder Studium, Vorlesungen u. gemeinschaftl. Rosenkranz- u. Breviergebet
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ab bis 7 ½, der Stunde des Abendessens.
Der Mittwoch hat seine besondere Tagesordnung, da an diesem Tage vormittags Vorträge apologetischen u. naturwissenschaftl. Inhaltes gehalten werden u. nachmittags ein Spaziergang ins Freie gemacht wird.
7 Lehrer teilen sich in [sic] die Aufgabe des Unterrichtes. 4 davon sind Priester, unter ihnen 2 Theologieprofessoren aus franz. Priesterseminaren.
Einer der Seminaristen wurde bereits mit Erlaubnis seines franz. Heimatbischofs zum Diakon u. Priester geweiht, andere werden folgen.
Da grundsätzlich politische Erörterungen jeglicher Art im Seminar verboten sind, werden nur solche kriegsgefangene Seminaristen zugelassen, die sich restlos einem Leben des Gebetes u. des Studiums widmen wollen.
So erfüllt diese Einrichtung den Zweck, der den Bischöfen bei ihrer Anregung zu diesem Liebeswerke vorschwebte. Leider ist keine Aussicht vorhanden, dass es auf gegnerischer Seite entsprechende Nachahmung fände.
Empfohlene Zitierweise
[Hartmann, Felix von], [Kein Betreff], [Köln] vom vor dem 21. Oktober 1918, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 8572, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/8572. Letzter Zugriff am: 07.05.2024.
Online seit 17.06.2011.