Dokument-Nr. 9799
Gerst, Wilhelm KarlThormann, Werner Ernst Karl Heinrich an Pius XI.
Frankfurt am Main, 21. November 1922

Heiligster Vater,
in dankbarer Liebe gedenken Deine Söhne im hartgeprüften Deutschland der väterlichen Fürsorge mit der Du auf so manchem Gebiete des materiellen und geistigen Lebens ihre Not gelindert hast. Wir wissen, dass Deine Sorge um das Heil der Seelen sich besonders auf das geistige und sittliche Elend erstreckt, in das die Folgen eines verlorenen Krieges und die unheilvolle Verbreitung der materialistischen Geistesrichtung unser Volk gebracht haben, und dass Dir die Erhaltung aller der kulturellen Güter, auch in den Bereichen der Kunst und Wissenschaft, am Herzen liegt, in denen die grosse christliche Vergangenheit Deutschlands unvergängliche Werte geschaffen hat. In ihnen ist der Grund gelegt für eine Erneuerung unseres Volkstums und Geisteslebens aus der Tiefe der christlichen Weltanschauung. Zur Sicherstellung und Förderung der Arbeit unserer katholischen Philosophen und anderer Geisteswissenschaftler hast Du aus diesem Grunde viel getan. Nun erbitten wir Deine Hilfe für einen wichtigen Zweig katholischer Kulturarbeit. Seit einigen Jahren kämpft eine Gruppe von katholischen Schriftstellern, Dichtern, Künstlern und Organisatoren einen harten und nicht erfolglosen Kampf um die Erneuerung des deutschen Theaterlebens im christlichen Geiste. Denn das Theater, eine der wichtigsten Institute der Volksbildung und der künstlerischen Beeinflussung der Menschenseelen war auch in unserem Vaterlande in den letzten Jahrzehnten in steigendem Maße zu einer Stätte des niederen Vergnügens geworden
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und da, wo es noch wirklich künstlerische Ziele verfolgte ganz in die Hände der liberalen und ungläubigen Kreise geraten. Millionen von Volksgenossen sahen wir alljährlich hier einer verderblichen geistigen Beeinflussung ausgesetzt. Demgegenüber haben wir eine Bewegung ins Leben gerufen, die sich bemüht alle die Volkskreise zu sammeln, die nicht zugeben wollen, dass Glauben und Sitte aus der dramatischen Literatur und den Theatern Deutschlands ausgeschaltet werden. In Hunderten von deutschen Städten haben wir Vereine gebildet von Theaterbesuchern, die sich verpflichten nur solche Stücke zu besuchen, in denen kein Verstoß gegen den heiligen Glauben und die christliche Sittenlehre vorkommt. Unsere Dichter haben wir dadurch ermutigt wieder dramatische Werke zu schreiben, die aus dem Geiste des Christentums heraus die Grundfragen des menschlichen Daseins künstlerisch zu gestalten suchen und wir haben ihnen den Weg auf die Bühne, die dem katholischen Dichter in den letzten Jahrzehnten verschlossen war, erneut geöffnet. Bereits stehen 300.000 Mitglieder in den Reihen unserer Theatervereine, ein aufblühender Verlag und eine eigene Zeitschrift nehmen sich der Werke christlicher Dramatiker und Bühnenfachleute an und unser Verband der "Bühnenvolksbund" ist zu einer Bewegung angewachsen, in der der christliche Volksteil Deutschlands einen seiner wichtigsten Vertreter auf kulturellem Gebiete sieht. Auch die Protestanten, die mit uns die Bewahrung der christlichen Sitte in unserem Volksleben erstreben, haben sich hier den katholischen Führern angeschlos-
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sen. Aber gross sind die Wiederstände, die uns zu überwinden bleiben. Der ungläubige Geist der Fachwelt des Theaters wehrt sich aufs äußerste dagegen, die christlichen Grundsätze auch auf der Bühne wieder zur Geltung kommen zu lassen, und ein mächtiger Verein, die Freie Volksbühne, in der sich die sozialistischen und liberalen Kreise zusammenschlossen, ringt mit uns um den beherrschenden Einfluss auf die Gestaltung der Theaterangelegenheiten.
Furchtbar erschwert wird unsere Arbeit durch den großen materiellen Notstand, in dem sich die Masse des deutschen Volkes und vor allem die gebildeten Volksschichten befinden und immer schwerer ja fast unmöglich wird es den deutschen Katholiken die Mittel aufzubringen zum Unterhalt der kulturellen Vereine, die doch so unbedingt notwendig sind für die seelische Erneuerung unseres Volkes. Schon haben ihre Eminenzen, die hochwürdigsten Herren Kardinäle von Köln und Breslau aus ihren Mitteln uns Zuwendungen zum Besten unserer Arbeit zukommen lassen und Dein Sohn, der hochwürdigste Herr Bischof von Trier, hat uns ermuntert an die Konferenz der deutschen Bischöfe ein Gesuch um ihre geistige und materielle Hilfe gelangen zu lassen.
Nun nehmen wir unsere Zuflucht auch zu Dir, dem Vater der Christenheit, und erflehen durch die Vermittlung Deines apostolischen Nuntius in Deutschland, des hochwürdigsten Herrn Erzbischofs von Sardes, Deine Hilfe für unser Werk. Wir nahen Deinem Throne mit der demutsvollen Bitte, Du wollest die Arbeit des Bühnenvolksbundes durch Deinen Segen kräftigen und ihrer Fortführung durch eine
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größere finanzielle Zuwendung Deinen treu gehorsamen Söhnen ermöglichen.
In tiefster Ehrfurcht verharren Euer Heiligkeit gehorsamste und ergebenste Söhne
Der Vorstand des Bühnenvolksbundes
Gerst D. Werner E. Thormann
Empfohlene Zitierweise
Gerst, Wilhelm Karl an PiusXI. vom 21. November 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 9799, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/9799. Letzter Zugriff am: 18.04.2024.
Online seit 31.07.2013.