Motu proprio Pius' X. "Sacrorum Antistitum" vom 1. September 1910 mit Einführung des Antimodernisteneids

Das Motu proprio "Sacrorum Antistitum" nimmt, zusammen mit dem Dekret "Lamentabili" und der Enzyklika "Pascendi" (beide 1907), eine exponierte Stellung innerhalb der kurialen Maßnahmen gegen den Modernismus ein. Mit dem Ziel, der Ausbreitung des Modernismus unter den Klerikern zu begegnen, wiederholte der Papst den disziplinarisch-praktischen Teil der Enzyklika "Pascendi". Ferner legte er eine Ausführung zum Predigtamt vor und führte er den sogenannten (Anti-)Modernisteneid für alle Kandidaten der höheren Weihen und für alle Priester im aktiven Seelsorge- und Verwaltungsdienst ein. Das Eidesformular legt in enger Anknüpfung an die dogmatische Konstitution "Dei Filius" des Ersten Vatikanischen Konzils zunächst fünf Glaubenssätze vor, worauf eine generelle Annahme von "Lamentabili" und "Pascendi" und fünf Absagen an modernistische Irrtümer folgen, die sich unter den Begriffen Geschichtlichkeit und Entwicklung zusammenfassen lassen. Die abschließende Schwurformel, die Gott als Zeugen für die Einhaltung des zuvor Erklärten anruft und den Antimodernisteneid in die Tradition der beschworenen Glaubensbekenntnisse stellt, wobei die Professio fidei hier erstmals um Äußerungen des päpstlichen (nicht-unfehlbaren) Lehramts erweitert wurde, machte den Antimodernisteneid zu einem Novum. In der deutschen Öffentlichkeit erfuhr der Antimodernisteneid eine breite Diskussion und führte zu erregten Parlamentsdebatten über die Freiheit der theologischen Forschung angesichts "geschworener" Professoren und über die Existenzberechtigung katholisch-theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten. Dieses Ringen "wurde zumindest auf der politischen Ebene durch die - an den Verzicht auf eine seelsorgliche Tätigkeit gebundene - päpstliche Dispens der Theologieprofessoren vom Antimodernisteneid beendet" (SCHEPERS, S. 160).
Es war die erklärte Absicht Pius' X., die von ihm als zahlreich und subversiv eingeschätzten Modernisten durch den Eid zur Selbstoffenbarung zu zwingen. Doch verweigerten weltweit nur etwa 40 Priester die Eidesleistung, darunter einige aus Süddeutschland. Der Antimodernisteneid überdauerte den Abbruch der intensiven Modernismusbekämpfung durch Benedikt XV. im Jahre 1914. Er wurde zwar nicht in den CIC 1917 aufgenommen, doch 1918 ausdrücklich bestätigt und erst 1967 aufgehoben.
Quellen
Pius X., Motuproprio über Gesetze zur Abwehr der Modernistengefahr. Sacrorum antistitum vom 1. September 1910 (Lateinisch und deutsch), Freiburg im Breisgau 1910.
Motu proprio "Sacrorum antistitum" vom 1. September 1910, in: DENZINGER, Heinrich / HÜNERMANN, Peter (Hg.), Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, Freiburg im Breisgau / Basel / Wien 402005, S. 3537-3550.
Literatur
IRRGANG, Bernhard, Antimodernisteneid, in: Lexikon für Theologie und Kirche3 1 (1993), Sp. 761.
Enzyklika Pius' X. "Pascendi dominici gregis" vom 8. September 1907 und Modernismus; Schlagwort Nr. 5028.
Schreiben Pius' X. an Fischer vom 31. Dezember 1910; Schlagwort Nr. 3515.
SCHEPERS, Judith, Streitbare Brüder. Ein parallelbiographischer Zugriff auf Modernismuskontroverse und Antimodernisteneid am Beispiel von Franz und Konstantin Wieland (Römische Inquisition und Indexkongregation 18), Paderborn u. a. 2015.
REINHARD, Wilhelm, Modernismus, in: Lexikon für Theologie und Kirche 7 (1935), Sp. 249-254, hier 253.
WOLF, Hubert / SCHEPERS, Judith (Hg.), "In wilder und zügelloser Jagd nach Neuem." 100 Jahre Modernismus und Antimodernismus in der katholischen Kirche (Römische Inquisition und Indexkongregation 12), Paderborn u. a. 2009.
Empfohlene Zitierweise
Motu proprio Pius' X. "Sacrorum Antistitum" vom 1. September 1910 mit Einführung des Antimodernisteneids, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 1001, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/1001. Letzter Zugriff am: 23.04.2024.
Online seit 14.01.2013, letzte Änderung am 26.06.2019.
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