Südtirolfrage

Im Zuge der italienischen Annektion Südtirols nach dem Ersten Weltkrieg, kam es zu weitreichenden Konflikten zwischen der italienischen Besatzungsmacht und der größtenteils deutschsprachigen Lokalbevölkerung. Eigentlich wurde der italienische Irredentismus, also die Annektion aller italienischsprachigen Regionen, die vor dem Ersten Weltkrieg noch unter österreichisch-ungarischer Kontrolle standen, als der Hauptgrund für den italienischen Kriegseintritt genannt. Allerdings versprach das Entente-Bündnis Italien bereits vor dem Kriegseintritt Gebietsgewinne bis zur Brennergrenze, was den Irredentismus und das ihm als panitalienische Bewegung zugrunde liegende Nationaliätenprinzip verletzte.
Die Folge war eine teils gewaltsame Assimilierungs- und Italianisierungspolitik unter der faschistischen Regierung. Hierbei kam es auch zu Konflikten zwischen der italienischen Regierung und dem Heiligen Stuhl. Eine bereits früh geforderte Abschaffung des deutschsprachigen Religionsunterrichts konnte lange verhindert werden, bis 1928 schließlich dem Wunsch der italienischen Regierung nach italienischsprachigem Unterricht stattgegeben wurde. Als die faschistische Regierung die Ermordung des sozialistischen Politikers Giacomo Matteotti und die folgende innenpolitische Krise dafür nutzte, um weitreichende diktatorische Kompetenzen durchzusetzen, konnte das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls mit Verweis auf den unpolitischen Charakter der Katholischen Aktion die Gleichschaltung beziehungsweise Abschaffung der deutschsprachigen, katholischen Presseerzeugnisse weitgehend kontern. Der Konflikt zwischen dem Vatikan und den Faschisten in der Südtirolfrage konnte schließlich durch das Konkordat 1929 entspannt werden, das auch Zugeständnisse der Regierung an den deutschsprachigen Klerus in Südtirol umfasste.
Diese vielfach als "Entnationalisierungspoltik" gewertete Politik Italiens wurde auch in Deutschland und Österreich viel beachtet und führte vor allem in der katholischen Presse zu starker Rezeption. Während die allgemeine Gängelung der deutschsprachigen Südtiroler kritisiert wurde, befürchtete man in Bezug auf die Maßnahmen gegen die Kirche vereinzelt gar kulturkampfähnliche Tendenzen. Auch hier stellte sich durch den Abschluss des Reichskonkordats, vor allem bei der zentrumsnahen Presse, eine Entspannung bis hin zu regelrechtem Optimismus bezüglich Mussolini und des Faschismus ein.
Literatur
ADLER, Winfried, Die Minderheitenpolitik des italienischen Faschismus in Südtirol und im Aostatal 1922-1929, Inauguraldissertation Trier 1979, S. 50-142.
DI MICHELE, Andrea, Die unvollkommene Italianisierung. Politik und Verwaltung in Südtirol 1918-1943 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 28), Innsbruck 2008.
LECHNER, Stefan, Die Eroberung der Fremdstämmigen. Provinzfaschismus in Südtirol 1921-1926 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 20), Innsbruck 2005.
FREIBERG, Walter, Südtirol und der italienische Nationalismus 1. Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage (Schlern-Schriftem 282), Innsbruck 21994.
SCHULZE, Thies, Südtirol im Blick deutscher Katholiken seit 1918, in: FABER, Richard / LOCHER, Elmar (Hg.), Italienischer Faschismus und deutschsprachiger Katholizismus, Würzburg 2013, S. 163-180.
VILLGRATER, Maria, Katakombenschule. Faschismus und Schule in Südtirol (Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstitutes 11), Bozen 1984.
Empfohlene Zitierweise
Südtirolfrage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 1709, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/1709. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 29.01.2018.
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