Verhandlungen über ein Konkordat mit Preußen 1919-1923
Die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung brachten zwar de iure die Einführung der Kirchenfreiheit mit sich. Jedoch wandten sich insbesondere Bayern und Preußen gegen eine umfassende Auslegung dieser Freiheiten, da sie sich ihre kulturpolitische Landeshoheit nicht beschneiden lassen wollten. In der preußischen Landesverfassung hieß es zwar in Artikel 82, Absatz 3: "Die sonstigen [d. h. nicht das protestantische landesherrliche Kirchenregiment betreffenden] bisher vom König gegenüber den Religionsgesellschaften ausgeübten Rechte werden im Sinne von Art. 137 der Reichsverfassung geregelt." Doch war damit ein mögliches Konkordat nicht verfassungsmäßig abgesichert.
Preußen vertrat die Position der Fortgeltung der Zirkumskriptionsbullen und war zunächst nur bereit, deren Bestimmungen an die Weimarer Reichsverfassung anzupassen, um dafür Zugeständnisse vom Heiligen Stuhl zu erlangen. Diese Auffassung brachte die preußische Regierung in einem Pro-Memoria vom 29. Dezember 1919 zum Ausdruck (Dokument Nr. 3180). Pacelli stimmte diesem aus taktischen Gründen zu, obgleich es das Ziel der Kurie war, die Bestimmungen des Codex Iuris Canonici von 1917 auch in Preußen durchzusetzen. Dies kam sinnfällig in der Allokution Benedikts XV. vom 21. November 1921 zum Ausdruck (Dokument Nr. 10148). Der Heilige Stuhl erkannte aber de facto die Fortgeltung der Zirkumskriptionsbullen an, um die Verhandlungen über eine neue Regelung nicht zu gefährden.
Angelehnt an Dieter Golombek kann man die Verhandlungen zwischen Preußen und dem Heiligen Stuhl der Jahre 1919 bis 1923 in zwei Phasen einteilen:
Die 1. Phase erstreckte sich von der Kontaktaufnahme der preußischen Regierung mit Pacelli im Dezember 1919 bis zum Beginn der offiziellen Initiative der Reichsregierung in Richtung eines Reichskonkordats im Januar 1921. Einen ersten Anlass zu Verhandlungen zwischen Preußen und dem Heiligen Stuhl bot die Besetzung des erzbischöflichen Stuhls von Köln, nachdem Erzbischof Felix von Hartmann im November 1919 verstorben war. Zwar wurde mit Karl Joseph Schulte ein allseits genehmer Kandidat von Hartmanns Nachfolger, aber grundsätzliche Entscheidungen über die ungeklärte rechtliche Lage wurden nicht getroffen (Dokument Nr. 1007).
Die 2. Phase erstreckte sich von Januar 1921 bis zum ergebnislosen Stillstand der Verhandlungen im Januar 1923. Insbesondere zwischen 1920 und 1922 bemühte sich die Reichsregierung unter Reichskanzler Joseph Wirth um ein Reichskonkordat. Sie tat dies vor allem aus außenpolitischen Erwägungen, da sie hoffte, mit einem solchen Vertrag die territoriale Integrität des Reichs zu stabilisieren. Preußen war im Prinzip gegen ein Reichskonkordat, da es in ihm eine Gefährdung der eigenen Kulturhoheit sah. Des Weiteren machte es die Akzeptanz von Reichskonkordatsverhandlungen vom Verzicht Bayerns auf seine eigenen seit 1920 laufenden Konkordatsverhandlungen abhängig. Schließlich schloss es die Aufnahme einer der Kernforderungen – nämlich die Regelung der Schulfrage – kategorisch aus. Letztendlich hintertrieb der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl Carl-Ludwig Diego von Bergen, der bis 1920 preußischer Gesandter ebenda gewesen war, im Sommer 1922 erfolgreich diese Bemühungen. Da sich auch der außenpolitische Fokus der Reichsregierung von der Territorial- auf die Reparationsfrage verschob, kamen die Bemühungen um ein Reichskonkordat zunächst zum Stillstand. Jedoch setzten diese Bemühungen der Reichsregierung und die gleichzeitigen Verhandlungen um ein Bayernkonkordat die preußische Regierung unter Druck. Es entstand der manifeste Wunsch nach einem eigenen Preußenkonkordat. Kultusminister Carl Heinrich Becker äußerte diesen gegenüber Pacelli in seinem Schreiben vom 20. Juni 1921 (Dokument Nr. 10744). Da Preußen jedoch nur ein Minimalkonkordat intendierte, wurde das Interesse an einem solchen Vertrag von Seiten des Heiligen Stuhls gedämpft.
Auch der Amtsantritt Kultusminister Otto Boelitz' im November 1921 führte zu keiner Intensivierung der Verhandlungen. Zwar konnte Pacelli im Rahmen der Besetzung des bischöflichen Stuhls von Trier 1921/22 Preußen aufgrund der drohenden kirchenadministrativen Abspaltung des Saargebietes zu Konzessionen zwingen (Dokument Nr. 3410), jedoch war diesem Erfolg keine Dauer beschieden. Als der preußische Episkopat Wünsche für eine zukünftige Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat formulierte und sie mit dem Schreiben des Breslauer Fürstbischofs Adolf Kardinal Bertram vom 24. Januar 1922 an Pacelli übersandte (Dokument Nr. 445), der sie seinerseits an Boelitz weiterleitete, nahm Boelitz in seinem Antwortschreiben vom 28. April 1922 (Dokument Nr. 446) nur zur Frage der Mitwirkung des Staates bei der Besetzung höherer kirchlicher Ämter, der Vorbildung und Nationalität von Geistlichen und der Pfarrbesoldung Stellung. Obwohl Pacelli mit seinem Schreiben vom 30. Juni 1922 (Dokument Nr. 553) den Kultusminister drängte, zu allen Punkten zu antworten, war Boelitz nur bereit, schrittweise über einzelne strittige Fragen zu verhandeln. Ein umfassendes Konkordat stand für ihn nicht mehr zur Debatte. Diese Position unterstrich er gegenüber Pacelli in seinem Schreiben vom 29. Januar 1923, mit dem die Verhandlungen vorläufig ergebnislos beschlossen wurden. Sie erreichten insgesamt nicht einmal das Stadium der Vorklärungen. Dieses Schreiben leitete Pacelli allerdings nicht an den Heiligen Stuhl weiter.
Quellen
Allokution Benedikts XV. vom 21. November 1921, in: Acta Apostolicae Sedis 13 (1921),
S. 521-524, in: www.vatican.va (Letzter Zugriff am: 10.02.2016).
[Becker] an [Pacelli] vom [21. Juni 1921]; Dokument
Nr. 10744.
Bertram an Pacelli vom 24. Januar 1922; Dokument
Nr. 445.
Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922; Dokument
Nr. 446.
Gasparri an Pacelli vom 20. November 1921; Dokument
Nr. 10148.
Pacelli an Boelitz vom 30. Juni 1922; Dokument
Nr. 553.
Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920; Dokument
Nr. 1007.
Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922; Dokument
Nr. 3410.
Pro-Memoria der preußischen Regierung vom 29. Dezember 1919; Dokument
Nr. 3180.
Verfassung des Freistaats Preußen vom 30. November 1920, in: WITTRECK, Fabian,
Weimarer Landesverfassungen. Die Verfassungsurkunden der deutschen Freistaaten 1918-1933.
Textausgabe mit Sachverzeichnis und einer Einführung, Tübingen 2004, S. 466-481, hier
480.
Literatur
DAMBACHER, Johannes, Eugenio Pacelli und Adolf Kardinal Bertram vor dem Hintergrund der
Verhandlungen zum Preußenkonkordat, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde
und Kirchengeschichte 104 (2009), S. 141-165.
GOLOMBEK, Dieter, Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1929)
(Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 4), Mainz 1970, S. XIX-XXIV,
1-20.
HINKEL, Sascha, Adolf Kardinal Bertram. Kirchenpolitik in Kaiserreich und Weimarer
Republik (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 117), Paderborn u. a.
2010, S. 208-217.
HÖMIG, Herbert, Das preußische Zentrum in der Weimarer Republik (Veröffentlichungen der
Kommission für Zeitgeschichte B 28), Mainz 1979, S. 184-188.
Konkordat mit Preußen von 1929; Schlagwort Nr. 5.
Konkordatsverhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Preußen 1924-1929; Schlagwort Nr. 25084.
VOLK, Ludwig, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer
Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933 (Veröffentlichungen der Kommission
für Zeitgeschichte B 5), Mainz 1972, S. 1-31.