Dokument-Nr. 14436
Gleich, Heinrich an Pius XI.
Stendal, 09. Mai 1924

Heiliger Vater!
Seit dem 29. April d. Js. vermissen wir unsern Sohn Heinz, Primaner des hiesigen Gymnasiums, geboren den 16. Januar 1906 in Stendal.
Nach den Aussagen einiger seiner Freunde und Mitschüler ist er in die französische Fremdenlegion eingetreten. Er benutzte zum Eintritt einen Besuch, den er während der Osterferien bei seinem Onkel in Sterkrade, in dem von den Franzosen besetzten Rheinlande machte.
Alle polizeilichen Nachforschungen im besetzten Gebiet, in den deutschen Hafenorten sind ergebnislos gewesen, und es bleibt somit nur die Annahme, daß er seine Absicht ausgeführt hat und sich nicht mehr in Deutschland befindet.
Zu dem verhängnisvollen Entschluß hat ihn wohl jugendlicher Leichtsinn und ein zu sehr empfindliches Ehrgefühl geführt, das sich dadurch gekränkt glaubte, daß er nicht versetzt wurde.
Er ist 1,72–1,73 groß, hat schmale, abschüssige Schultern, schmales Gesicht, Haar dunkelblond, und seitlich gescheitelt, Augen blaugrau, Nase gewöhnlich, bartlos. Beim Sprechen lebhaftes Mienenspiel. Besondere Kennzeichen: "Ein oberer Vorderzahn ist abgebrochen."
Ich verpflichte mich die Kosten, die seine Befreiung bedingen zu bezahlen. Zugleich möchte ich noch darauf hinweisen, daß seiner Annahme und Zurückhaltung im Militärdienste ein französisches Gesetz, das aber öfter umgangen wird, entgegensteht, wonach Jünglinge unter
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20 Jahren noch nicht zur Aufnahme fähig sind.
Ew. Heiligkeit haben vom ersten Tage des Pontifikates alle Mühe darauf verwandt, der leidenden Menschheit ohne Unterschied der Nation zu helfen durch Werke christlicher Liebe.
Auf dem dunklen Hintergrunde des so trostlosen Bildes der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Not unseres armen deutschen Vaterlandes strahlt die Barmherzigkeit Ew. Heiligkeit als der Abglanz der unendlichen, weltumfassenden Liebe unseres göttlichen Herrn und Meisters um so heller hervor.
Im Vertrauen auf diese große Liebe und das tiefe Mitleid, das Ew. Heiligkeit mit der leidenden Menschheit empfindet, wenden wir unglücklichen Eltern uns, nachdem alle anderen Mittel den verlorenen Sohn, unser einziges Kind, wieder ins Vaterhaus zurückzuführen, erfolglos geblieben sind, an das Vaterherz Ew. Heiligkeit mit der innigsten Bitte, unseres Sohnes Ermittlung, Befreiung und endliche Zurückführung erwirken zu wollen.
In der Hoffnung auf baldige Hilfe bin ich Ew.  Heiligkeit ganz untertänigster Diener

H. Gleich,
Oberbahnhofs-Vorsteher,
Stendal i/A.,
Provinz Sachsen, Prinzenstraße 20 II.
Empfohlene Zitierweise
Gleich, Heinrich an PiusXI. vom 09. Mai 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 14436, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/14436. Letzter Zugriff am: 29.04.2024.
Online seit 26.06.2017.