Dokument-Nr. 16549

[N. N.]: Anlage II, vor dem 18. März 1926

Abschrift
Herrn Prof. Adam mitgeteilt 6. III. 26.
Auf besonderes Ersuchen beehre ich mich, Ew. Eminenz aus dem in Rede stehenden Buche von Karl Adam diejenigen Stellen anzugeben, die mir ausser den in dem Gutachten vom 19. v. M. angegebenen noch irgendwie aufgefallen sind.
S. 88: "Bedeutsam für diese (natürliche) Gotteserkenntnis ist die klare Einsicht, dass die Frage nach Gott, das religiöse Fragen und Forschen, ein spezifisch anderes ist denn ein profanes Fragen, etwa die Frage nach der Lebensweise der Insekten".
Weshalb hier ein spezifischer Unterschied vorliegen soll, ist nicht ersichtlich. An sich ist die natürliche Gotteserkenntnis nicht verschieden von einer anderen natürlichen Erkenntnis und beruht wie diese auf dem natürlichen Tatsachenmaterial und dem kausalen Denken der Vernunft.
S. 59: "Die Tatsache, dass es ein absolutes [sic] gibt, ist nicht das mühsame Ergebnis einer grübelnden Philosophie, sondern folgt aus meiner unmittelbaren Wesensschau. Das absolute [sic] ist eine Urgegebenheit. Sein Dasein ist nicht Gegenstand, sondern Voraussetzung aller Philosophie. Die Philosophie hat das Absolute lediglich näher zu bestimmen: Ist es eine Weltidee oder ein unbewusster Weltwille oder sonst etwas? Aber sie hat nicht erst zu fragen: Gibt es ein Absolutes?"
Diese Darstellung ist jedenfalls sehr einseitig und stark beeinflusst von der Theorie der unmittelbaren Wesensschau der Phänomenologie, erinnert vielleicht auch an die Kuhnsche Lehre von der angebornen Gottesidee, die kirchlicherseits zwar nicht verworfen, aber sicher auch nicht als die allein richtige Lehre hingestellt worden ist. Nach der Lehre des Vatic. und auch fast aller Theologen ist auch das Dasein Gottes, und zwar dieses an erster Stelle, Gegenstand der natürlichen Erkenntnis, nicht nur seine Wesenheit. Während wir nach kirchlicher Lehre das Dasein Gottes mit Sicherheit erkennen und bewei-
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sen können (certo cognosci atque demonstrari potest) – von einer Wesensschau ist hier überhaupt keine Rede –, kann das Wesen Gottes nur analog erkannt werden. Der Verfasser hätte an dieser Stelle wenigstens mit ein paar Sätzen die natürliche Gotteserkenntnis im hergebrachten Sinne sowie die üblichen Gottesbeweise erwähnen sollen, anstatt sich einseitig auf die phänomenalistische Gotteserkenntnis festzulegen.
S. 63: "Und darum ist nichts verkehrter als die Forderung, die Gottheit Jesu streng wissenschaftlich exakt in dem Sinn zu erweisen, dass auch der religiös und sittlich gleichgültige, ja der sittlich Minderwertige, der Egoist und der im roh Sinnlichen befangene Mensch die Gottheit Jesu mit Händen greifen und sich des Glaubens nicht mehr wehren könnte. Als ob der Glaube eine selbstverständliche Sache wäre, wie zwei mal zwei vier".
Unter "streng wissenschaftlich exakt" scheint hier nur die metaphysisch-mathematische Beweisführung verstanden zu sein. In diesem Sinne lässt sich freilich die Gottheit Jesu nicht beweisen. So lässt sich aber überhaupt kein geschichtliches Faktum beweisen. Die Geschichte muss sich ungeachtet ihrer strengen Wissenschaftlichkeit immer nur mit moralischer Gewissheit begnügen und kann niemals ein [sic] Tatsache so fest erhärten, wie zwei mal zwei vier ist. Der Theologe, namentlich der Apologet wird nicht davon lassen können noch dürfen, einen streng wissenschaftlichen, freilich keinen mathematischen, Beweis für die Gottheit Jesu zu führen, dessen Grundelemente sehr kurz und prägnant in den Fragen Nr. 112 ff des früheren grossen Katechismus zusammengestellt waren. Auch Wunder und Weissagungen (nicht bloss das Selbstbewusstsein Jesu) sind dort als Beweismomente angegeben. Das Irrige und Ungenaue in der angezogenen Darstellung liegt wohl in der Gleichstellung des streng wissenschaftlichen Beweises mit dem mathematischen.
S. 68: "Alles Literarische, auch die Bibel, hat darum einen stark zeitgeschichtlichen Einschlag, eine Form, die nur für wenige Generationen wahrhaft erweckend ist, für die Nachgeborenen aber starr und fremd werden muss".
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Von der Bibel als dem geoffenbarten und ewig gültigen Gotteswort die Ausdrücke "starr" und "fremd" zu gebrauchen, ist wohl nicht ganz schicklich. Der Sinn des Satzes ist sonst ganz richtig.
S. 200: "Die (katholische) Rechtfertigung ist also nicht bloss ein Zudecken der Sünde und nur die äussere Anrechnung der iustitia Christi".
Diesen Satz für sich genommen halte ich für falsch, in Verbindung mit dem Kontext aber lässt er sich richtig verstehen. So wie der Satz dasteht, drückt er den Sinn aus, dass die katholische Rechtfertigung auch ein Zudecken von Sünde und eine äussere Anrechnung der iust. Chr., aber ausserdem noch etwas mehr sei, während ein Zudecken der Sünde (wohl vergeben) und eine äussere Anrechnung der iust. Chr. in der katholischen Rechtfertigung überhaupt keinen Platz haben. In dem unmittelbar folgenden Satz auf S. 200 gibt der Verfasser jedoch die richtige katholische Lehre wieder. Der beanstandete Satz würde überhaupt einen richtigen Sinn erhalten, wenn die beiden Worte "bloss" und "nur" wegfielen.
Hiezu kommt noch ein Satz auf S. 122: "Alle sind sie Erlöste, vom höchsten Seraph bis zum Neugeborenen, dem noch eben, da er von der Erde schied, das Siegel der Taufgnade aufgedrückt ward".
Der Seraph wie die gesamte Engelwelt gehört nicht zu den Erlösten. Die Erlösung erstreckt sich nur auf das Menschengeschlecht. Indes wird es sich hier mehr um einen rhetorischen Ueberschwang als um eine bewusste Ungenauigkeit handeln. –
Was die angeführten Stellen allgemein angeht, so scheint mir nicht, dass sie seitens des kirchlichen Zensors beanstandet werden müssten, was aber nicht gilt für die in dem gemeinsamen Gutachten genannten Sätze. Wenn der kirchliche Zenzor [sic] darauf zu achten hat, dass in einem Buche sich nichts für Glauben und Sitten Gefährliches finde, und wenn die kirchliche Approbation kein Beweis ist, dass in dem betr. Buch kein Irrtum steht (Göpfert. Moraltheo-
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logie I 8 n. 291), so kann man die oben zusammengestellten Sätze füglich hingehen lassen. Was die theologische Kritik zu diesen Sätzen sowie zu dem ganzen Buch sagt, ist etwas anderes. Aber soweit wie die Kritik braucht und soll der Zensor doch wohl nicht gehen. Dem Autor muss auch seine Freiheit gewahrt bleiben, sicher in den Dingen, wo eine freie Meinung möglich ist.
Ich füge diese Gedanken hinzu, weil es die Erwägungen sind, von denen Herr N. N. und ich bei der Beurteilung des Buches ausgegangen sind.
Empfohlene Zitierweise
[N.N.], AnlageII vom vor dem 18. März 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16549, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16549. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 29.01.2018.