Dokument-Nr. 16886

Behördliche Maßnahmen gegen den Gebrauch der deutschen Sprache im Religionsunterricht und in der Seelsorge in Südtirol., vor dem 20. Mai 1926

In der Darlegung der Schwierigkeiten, die betreffs des Gebrauches der deutschen Sprache im Religionsunterricht und in der Seelsorge in der heutigen Provinz Trient gemacht werden, muss zunächst unterschieden werden zwischen dem eigentlichen Südtirol (deutscher Teil der Provinz Trient) und den deutschen Gemeinden, die als Sprachinseln im italienischsprachigen Gebiete (Trentino) eingeschlossen sind. Kann im ersteren Gebiete von Schwierigkeiten gesprochen werden, die wiederum im südlichen Teile grösser sind als im nördlichen, so ist in den deutschen Sprachinseln des Trentino der Gebrauch der deutschen Sprache in Kirche und Schule völlig verboten.

I. Südtirol. 1
Mit Südtirol wird der nördliche Teil der Provinz Trient, und zwar das Gebiet von incl.  Salurn bis zum Brenner bezeichnet, das von rund 225.000 Deutschen, 15.000 Ladinern und 20.000 Italienern bewohnt ist.
Die Schwierigkeiten, die betreffs des Gebrauches der deutschen Sprache im Religionsunterricht und in der Seelsorge von Seite
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der italienischen Behörde in Südtirol bereitet werden, sind teils allgemeine, das ganze Land betreffende, teils solche, die gegenwärtig nur bestimmte deutsche Gebiete treffen.

A.
Schwierigkeiten, die das ganze Land betreffen.
1.)  Die Italienisierung sämtlicher Schulen des Landes, die nach dem Gesetze vom 1. Oktober 1923, Nr. 2185 bereits überall in den ersten 3 Jahrgängen der Volksschulen durchgeführt ist und das Verbot jeglichen deutschen Unterrichtes für die Kinder dieser italienisierten Klassen verursachen bereits jetzt schon ausserordentliche Schwierigkeiten für die christliche Jugenderziehung auch dort, wo der Religionsunterricht vorläufig noch in deutscher Sprache erteilt werden darf.
Zur leichteren Würdigung dieser Schwierigkeiten seien im Nachfolgenden die Maßnahmen zur Unterdrückung jeglichen deutschen Unterrichtes näher, und zwar chronologisch, dargelegt.

Die Unterdrückung der deutschen Schule.
Das Gesetz vom Oktober 1923 verfügt die Umwandlung sämtlicher deutscher Schulen in italienische in der Weise, dass in dem Schuljahre 1923/24 mit dem ersten Jahrgange beginnend, in jedem folgenden Jahre wiederum in einem neuen Jahrgange das Italienische als Unterrichtssprache eingeführt wird, so dass bereits im laufenden Schuljahre 1925/26 in ganz Südtirol die unteren 3 Klassen der Volksschule
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ausschließlich italienische Unterrichtssprache haben.
Das nämliche Gesetz enthielt die Bestimmung, dass in jenen Gemeinden, in denen gewohnheitsmässig eine andere als die Staatssprache gesprochen wird, dieselbe in Anhangstunden als Unterrichtsgegenstand gepflegt wird (siehe Beilage Nr. 1).
In Durchführung der Bestimmung über die deutschen "Anhangstunden" wurden von der Behörde der Provinz 4 Stunden wöchentlich für den Unterricht in der deutschen Sprache angesetzt. Doch durfte dabei kein deutsches Buch verwendet werden und auch nicht die deutschen Buchstaben (siehe Beilage Nr. 2).
Von der Umwandlung der deutschen Schule in italienische wurden auch die Privatschulen betroffen, wie solche besonders von verschiedenen Ordensgenossenschaften im Lande unterhalten wurden. Die Unterdrückung deutscher Privatschulen wird umso härter empfunden, als es in den alten Provinzen zahlreiche deutsche Privatschulen gibt, wie in Rom, Neapel, Florenz, Mailand u. s. w. Ja es ist sogar verboten worden, dass die Lehrschwestern dieser Kloster-Privatschulen ausserhalb des Lehrplanes an deutsche Kinder deutschen Privatunterricht erteilen, wenn auch ein solcher Unterricht nur über Wunsch der Eltern erteilt wurde (siehe Beilage Nr. 3).
Auch sämtliche deutschen [sic] Kindergärten, von denen der grösste Teil von Klosterschwestern geleitet war, sind aufgehoben und nur mehr solche Kindergärten gestattet worden, in denen die Unterrichtssprache italienisch ist (siehe Beilage Nr. 4). In diesen Kindergärten ist es auch nicht mehr gestattet, deutsche Gebete, deutsche religiöse Lieder u. s. w einzulernen.
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Verbot des häuslichen deutschen Privatunterrichtes.
Weil in der Schule nur ein ganz unzulänglicher oder gar kein deutscher Unterricht geboten wurde, so suchten die Eltern vielfach den Kindern, die im übrigen pflichtgemäss die italienische Schule besuchten, so gut als möglich einen häuslichen Unterricht im deutschen Lesen und Schreiben zu erteilen oder erteilen zu lassen. In manchen Gemeinden, besonders dort, wo jeglicher Deutsch-Unterricht von der Schule ausgeschlossen ist, fanden sich Privatlehrer und Lehrerinnen, die den Kindern in schulfreien Stunden Unterricht in der deutschen Sprache erteilten. Aber auch dies wurde nicht geduldet. Die Erteilung des häuslichen Unterrichtes wurde diesen Lehrkräften zunächst durch die Bezirksschulinspektoren verboten, gegen manche von ihnen sogar gerichtlich vorgegangen und Strafen verhängt. Im November v. J. begannen die Maßnahmen gegen den häuslichen Unterricht die allerschärfsten Formen anzunehmen. An mehrere [sic] Orte des Landes waren zum alleinigen Zweck der Verfolgung des deutschen Privatunterrichtes Abteilungen faschistischer Miliz hingelegt worden. Überall dort, wo man einen häuslichen Deutsch-Unterricht vermutete, wurden durch die Organe der Sicherheitsbehörde und der nationalen Miliz Hausdurchsuchungen vorgenommen, die vorgefundenen Lehrmittel und deutschen Bücher, auch wenn sie religiösen Inhaltes waren (siehe Beilage Nr. 5), beschlagnahmt. Gegen die Lehrpersonen – meistens waren es Mädchen zwischen 16 und 20 Jahren – wurde mit gerichtlichen Anzeigen, mit Verhaftungen, Abschubbefehlen, Ausweisungen, vorgegangen (siehe Beilagen Nr. 6). Die Verwendung der Miliz führte selbst zu Tätlichkeiten gegen weibliche Lehrpersonen und zu deren Verhaftung. Selbst gegen den durch die Mutter an ihre eigenen Kinder erteilten Unterricht wurde eingeschritten (siehe Beilage Nr. 7).
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Die Verfolgung des durch kein Gesetz verbotenen häuslichen Unterrichtes war zunächst als Übergriff untergeordneter Organe angesehen worden, hat sich aber nachträglich als eine von den kompetenten Behörden angeordnete Maßnahme herausgestellt. Die oben geschilderte Verfolgung war in allen ihren Einzelheiten von dem Präfekten Guadagnini von Trient in einem an die Unterpräfekten Südtirols gerichteten Geheimerlasse Nr. 11.471 Gab. vom 27. November 1925, strikte befohlen worden (siehe Beilage Nr. 8).

Die deutschen Anhangstunden aufgehoben.
Noch während dieser Kampf gegen den häuslichen Unterricht von Seite der Behörde und ihrer Organe auf das Rücksichtsloseste geführt wurde, war ein neuerliches kgl. Dekret (22. November 1925, Nr. 2191) erschienen, das die im Gesetze vom 1. Oktober 1923 (Gesamttext kgl. Dekret vom 22. Jänner 1925, Nr. 432) enthaltenen Vorschriften über die Erteilung der deutschen Anhangstunden in den italienisierten Schulen aufhob. Damit ist die Beseitigung jeglichen deutschen Unterrichtes in den Volksschulen angeordnet. (Siehe Beilage Nr. 9)
So ist dem deutschen Volke Südtirols sowohl innerhalb als ausserhalb der Schule jede Möglichkeit benommen, seine Kinder in der Muttersprache unterrichten zu lassen – rund 35.000 deutsche Kinder sind von dieser Maßnahme getroffen – und damit ein Zustand geschaffen, der in keinem anderen Lande Europas sich findet. Ja Italien hat selbst in seinen Kolonien ein milderes System eingeführt, indem es der dortigen Bevölkerung arabische Schulen zusagt (siehe Beilage Nr. 10).
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Die seelsorglichen Folgen dieser Maßnahmen.
a) Gefährdung der christlichen Jugenderziehung:
Wie sehr diese, auf die Entnationalisierung des deutschen Südtirolervolkes hinzielenden Maßnahmen die religiösen Interessen gefährden, soll hier mit den Worten des Hochwürdigsten Fürstbischof Cölestin Endrici von Trient gesagt werden, die noch aus der Vorkriegszeit stammen. Dieser hat am 15. April 1912 an den Klerus des italienischen Teiles seiner Diözese ein Rundschreiben erlassen (Il sacerdote buono e i nuovi bisogni pastorali), worin er über die religiösen Gefahren, die der Bevölkerung aus Entnationalisierungsbestrebungen erwachsen, folgendes sagt:
"Hinsichtlich jener, die sich (in nationaler Hinsicht) durch ein Zu-wenig versündigen, gewinnt die Sache auch in seelsorglicher Hinsicht Beziehung eine besondere Wichtigkeit. Die Entnationalisierung eines Landes ist nicht bloss eine Verletzung des Naturrechtes, sondern verstösst auch gegen das possitive [sic] Recht insoweit ein solches Vorgehen die christliche Jugenderziehung überaus schädigt. Schon der heidnische Philosoph Aristoteles nannte die Sprache das "organum disciplinae".
Die Muttersprache ist das unerlässliche Mittel, um den Zöglingen die grossen Wahrheiten des Katechismus, die schon an und für sich schwer fassbar sind, zum Verständnis zu bringen und um zum Herzen der Kinder zu sprechen und sie zur Tugend zu erziehen. Wem die Sorge um die religiös-sittliche Zukunft der kommenden Geschlechter obliegt, der kann nicht gleichgiltig [sic] bleiben gegenüber den Versuchen zur Entnationalisierung, die eine moralische Unmöglichkeit mit sich bringt, die Jugend christlich zu erziehen, besonders wenn es sich um die erste Er-
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ziehung in den Volksschulen handelt. Die schwere und verantwortungsvolle Aufgabe der Erziehung ist von Christus der Kirche anvertraut worden, die darum auch die Mittel und die zur Erfüllung dieser Aufgabe nötige Freiheit zur Verfügung haben muss.
Aber nicht weniger schwer ist die Verantwortung der Eltern in diesem wichtigen Geschäfte und daher sind sie nicht weniger verpflichtet die Muttersprache zu erhalten und zu pflegen. Kein Grund kann sie von dieser ihnen durch das von Christus bestätigte Naturgesetz auferlegten Pflicht entbinden. Wer anders handelte, würde den eigenen Kindern die moralische Möglichkeit zu einer christlichen Erziehung rauben, die das Erbe ist, das alle Eltern ihren Kindern hinterlassen müssen. ..."
Nachdem der Hochwürdigste Fürstbischof auf die Vorteile hingewiesen, neben der Muttersprache auch eine fremde Sprache zu erlernen, fährt er fort:
"Das alles aber muss in einer Art geschehen, dass darunter nicht die Erziehung und der Volksschulunterricht Schaden leide, der von Anfang bis zum Ende in der Muttersprache erfolgen muss. Was wir hier sagen, ist von dem gesunden Hausverstand und vom christlichen Gewissen gefördert. ..."
Der Hochwürdigste Fürstbischof Cölestin Endrici von Trient hat diese Worte geschrieben, als unter Österreich jede italienische Gemeinde des Trentino ausnahmslos ihre eigene öffentliche italienische Schule besaß. Die oben angeführten, oberhirtlichen Worte galten den Bestrebungen privater Organisationen, an mehreren Orten des Trentino neben den italienischen öffentlichen Schulen deutsche Privatschulen zu errichten. Die Worte haben daher für unsere gegenwärtigen Verhältnisse, wo jeder deutsche Schul- und Privatunterricht verboten und unter Strafe gesetzt ist, erhöhte Bedeutung.
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b) In den Jahrgängen der Volksschule, in denen bereits heute das Italienische als Unterrichtssprache eingeführt ist, darf das Schulgebet nicht mehr in deutscher Sprache verrichtet werden (mit Ausnahme im Religionsunterricht).

Religionsunterricht.
2.) In dem gegenwärtig in Kraft stehenden Schulgesetz vom 1. Oktober 1923 (siehe Durchführungsbestimmung vom 10. Jänner 1924) ist bereits bestimmt, dass der Religionsunterricht in den oberen Klassen sämtlicher Volksschulen des Landes in italienischer Sprache zu erteilen sei, wenn in diesen Klassen bereits die italienische Unterrichtssprache eingeführt ist. Abgesehen von jenen Gebieten, in denen bereits jetzt schon sämtliche deutsche Volksschulklassen unterdrückt sind (siehe unter B.) beginnt in den übrigen Orten des Landes die Italienisierung der oberen Klassen mit dem kommenden Schuljahre, und zwar mit der 4. Volksschulklasse. So soll also bereits im nächsten Jahre auch im ganzen Lande damit begonnen werden, den Religionsunterricht an deutsche Kinder in italienischer Sprache zu erteilen.
Bereits im Herbste 1923 hatte das kgl. Schulamt in Trient in Ergänzung des Schulgesetzes vom 1. Oktober 1923, die Anordnung getroffen, dass in den bisherigen deutsch gewesenen und nun italienisch gewordenen Schulen auch der Religionsunterricht in italienischer Sprache erteilt werden müsse. (Siehe Beilage Nr. 11)
Die auf eine Vorsprache des Fürstbischofs Johannes Raffl von Brixen beim Heiligen Stuhle von diesen erfolgte Intervention bei der italienischen Regierung hatte den Widerruf dieser Verordnung zur Folge. (siehe Beilage Nr. 12) Aber bereits in der Ministerialverordnung vom 10. Jänner 1924, die die Durchführungsbestimmungen enthielt, hatte diese Zusage schon wieder eine Abschwächung erfahren, indem dort der
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Gebrauch der deutschen Sprache nur mehr für den Religionsunterricht in den unteren Klassen der Volksschule gestattet wurde. (Siehe Beilage Nr. 13)
3.) Der Gebrauch des deutschen Katechismus und der deutschen biblischen Geschichte ist im ganzen Lande verboten.Nur das für die ersten 3 Jahrgänge der Volksschule bestimmte Religionsbüchlein von Wilhelm Pichler ist ausnahmsweise gestattet worden. (Siehe Beilage Nr. 14)
4.) Auch in den Schulen, in denen vorläufig noch die Erteilung des deutschen Religionsunterrichtes gestattet ist, wird dies durch immer häufiger werdende behördliche Enthebungen deutscher Katecheten aufs Schwerste gefährdet.
Die Enthebung vom Religionsunterrichte gehört zu den beliebtesten Maßnahmen der Behörde gegen den deutschen Klerus. Die "politische Unverlässlichkeit" ist leicht behauptet, um den Katecheten aus der Schule auszuschliessen. Auf diese Weise sind bereits 21 deutsche Priester vom Religionsunterrichte entfernt worden. (Siehe Beilage Nr. 15)
Dem von der Schule enthobenen Katecheten wird nicht immer gestattet, ausserhalb der Schule Religionsunterricht zu erteilen. So ist dem P. Gandolf Murr, Franziskaner in Bozen, der ebenfalls vom Religionsunterrichte enthoben worden ist und dann über Wunsch verschiedener Eltern mehreren Kindern im Franziskanerkloster Religionsunterricht erteilt hat, dies unter Androhung, das Privatgymnasium der P.P. Franziskaner in Bozen zu schliessen, verboten worden.
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Die Italienisierung der Schulen hat auch die Verdrängung von mehr als 200 deutschen Ordensschwestern aus den Schulen und Kindergärten zur Folge gehabt.
5.) Einen Anschlag gegen den Gebrauch der deutschen Sprache in der Seelsorge bedeutet die immer wieder von Seite offizieller und offiziöser Stellen erhobene Forderung nach Ersatz der deutschen Ordenspriester durch italienische. Bisher ist dieser Forderung hinsichtlich des grössten und bedeuten besuchtesten Wallfahrtsortes Südtirols, Maria Weissenstein, stattgegeben worden. Dieser Wallfahrtsort war schon seit Jahrhunderten von den Serviten Patres des Mutterhauses in Innsbruck versehen worden. Vor kurzem mussten diese nun die Stätte ihres Jahrhunderte–langen Wirkens verlassen und italienischen Patres desselben Ordens aus der Venediger–Provinz Platz machen.
Nach einer vor dem Kriege durchgeführten Erhebung machten die italienischen Wallfahrer nur 5% der gesamten Besucher aus. Die nun in dem Wallfahrtsorte eingezogenen Patres entbehren sämtliche der Kenntnis der deutschen Sprache. Der einzig deutschsprechen deutschsprechende Pater, der von den früheren Patres noch zurückbleiben durfte, genügt nicht im entferntesten, um die deutschen Pilger zu betreuen.1
6.) Zur Verbreitung guter Lektüre sind an verschiedenen Orten des Landes unter der Leitung und Aufsicht des Seelsorgsklerus katholische Volksbibliotheken eingerichtet. Nun sollen alle diese Bibliotheken durch italienische ersetzt werden.Dass in dem
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Komitee, das sich unter dem Patronate der Behörde die Verdrängung der deutschen Bibliotheken zur Aufgabe gesetzt hat, auch der geistliche Direktor der Opera Bonomelli in Bozen beteiligt ist, hat in der katholischen Bevölkerung starken Unmut erregt. (Siehe Beilage Nr. 16)

B.
Gebiete, die besonderen Erschwernissen unterliegen.
Nähere Bestimmung dieser Gebiete.
Obwohl die Deutschen Südtirols vom Brenner bis Salurn in geschlossener Siedlung wohnen abgesehen von einigen wenigen Gemeinden im Süden des Landes, die eine gemischtsprachige Bevölkerung aufweisen, so sind die Erschwernisse, die dem Gebrauche der deutschen Sprache in der Seelsorge und im Religionsunterrichte bereitet werden, nicht überall dieselben. Zahlreicher und grösser sind diese Erschwernisse im deutschen Anteile der Diözese Trient als in der Diözese Brixen. In der Diözese Trient wiederum sind diese Bedrängnisse stärker in jenem Teile der Diözese, der näher der Sprachgrenze gelegen ist als der davon weiter entfernte.
Dies gilt vor allem von folgenden Gebieten:
1. Von der Pfarre Bozen mit 19.000 Deutschen und 6.000 Italienern.
2. Vom sogenannten Unterlande, dessen Bevölkerung in der weitaus überwiegenden Mehrheit deutsch ist.
Das Unterland umfasst:
a.) Die 6  rein deutschen Gemeinden: Aldein (mit der rein deutschen Fraktion Radein, eigene Seelsorge) Tramin, Kurtatsch (mit den Fraktionen Penon und Graun, die eigene Seelsorgen bilden),
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Fennberg, Montan, Gfrill.
b.)6 Gemeinden mit deutscher Mehrheit aber einer ansehnlichen italienischen Minderheit: Leifers, Auer, Neumarkt, Margreid, Curtinig, Salurn (mit der Fraktion Buchholz).
c.)  Die 2 Gemeinden mit italienischer Mehrheit: Pfatten, Branzoll.
Ebenso weist die Kuratie Laag, die eine Fraktion von Neumarkt ist, eine überwiegend italienische Bevölkerung auf.1
3. Von den 6 rein deutschen Randgemeinden auf dem Nonsberg und im Fleimstal: St. Felix, Unsere liebe Frau im Walde, Proveis, Laurein, Truden und Altrei. Diese Gemeinden schliessen auch territorial an das übrige deutsche Gebiet an, sind aber italienischen Dekanaten unterstellt.
4. Von den 2 Gemeinden des Bezirkes Meran: Burgstall und Gargazon mit einer überwiegend deutschen Bevölkerung und einer italienischen Minderheit.
Zu Unrecht werden alle diese unter 2, 3, und 4 aufgezählten Gemeinden als "zona mistilingue" bezeichnet. Trifft die Gemischtsprachigkeit auch auf mehrere dieser Gemeinden zu, so kann diese Charakterisierung nicht für die Mehrheit der genannten Gemeinden gelten, ja es sind mehrere unter ihnen, die ausser den Amtspersonen kaum einen Italiener aufweisen. (Siehe Volkszählungsergebnisse in der Beilage Nr. 17)

Worin die grösseren Erschwernisse in diesen Gebieten bestehen.
1.)  Im Unterlande und in den deutschen Randgemeinden, ebenso in den
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zwei Gemeinden des Bezirkes Meran (Burgstall und Gargazon) ist schon seit dem Schuljahre 1922/23 jeglicher deutsche Schulunterricht unterdrückt. (Siehe Beilagen Nr. 18)
Auch als das am 1. Oktober 1923 erlassene Schulgesetz die stufenweise Einführung der italienischen Unterrichtssprache anordnete, blieb es in allen diesen Gemeinden bei der völligen und gleichzeitigen Unterdrückung aller deutschen Volksschulklassen. Die deutsche Sprache durfte in diesen Schulen auch nicht in den vom Gesetze vorgesehenen Anhangstunden gelehrt werden.
Die Maßnahme wurde begründet mit dem Hinweis auf die Volkszählungsergebnisse, obwohl sich nach der amtlichen Volkszählung unter 22 Gemeinden dieses besonders behandelten Gebietes nur 2 befanden mit einer italienischen Mehrheit und 8 mit einer ansehnlichen italienischen Minderheit, die übrigen 12 aber rein deutsche Gemeinden sind.
Die Gesamtzahl der Deutschen dieses Gebietes beträgt 19.504, die der Italiener 4.949. (Siehe Beilage Nr. 17)
Auf diese Weise bleiben allein in diesem Gebiete rund 3000 <deutsche>1 Kinder ohne jeglichen deutschen Unterricht.

2.) In all den genannten Gemeinden ist der Religionsunterricht in deutscher Sprache verboten.
Die am 10. Jänner 1924 erlassene Durchführungsbestimmung zum Gesetze vom 1. Oktober 1923 bestimmt, dass die Schulkinder der "zona mistilingue" den Religionsunterricht in der Muttersprache erhalten sollten, in eigens zu diesem Zwecke gebildeten deutschen und italienischen Abteilungen. Diese Bestimmung des Schulgesetzes wurde zu Beginn des Schuljahres 1925/26 durch entsprechende Verordnungen des
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Schulamtes in Trient ausser Kraft gesetzt. Ja es wurden durch diese Verfügungen des Schulamtes nicht bloss in den gemischtsprachigen Gemeinden die deutschen Abteilungen im Religionsunterrichte aufgelassen, sondern in allen oben Seite 11 und 12 genannten Gemeinden, auch wenn dieselben eine rein deutsche Bevölkerung aufweisen, der deutsche Religionsunterricht überhaupt verboten. Nach denselben Verfügungen ist es nur mehr in den ersten 3 Jahrgängen der Volksschule gestattet, die deutsche Sprache noch zur Erklärung der italienischen Katechese zu Hilfe zu nehmen, während in den fünf oberen Jahrgängen der Volksschule, jetzt schon der Religionsunterricht ausschließlich in italienischer Sprache erteilt werden muss (siehe Beilagen Nr. 19).
Bereits im kommenden Schuljahre soll, wie eine am 8. Feber 1926, Nr. 1642 erlassene Verordnung des kgl. Schulamtes in Trient ankündigt, in sämtlichen Jahrgängen, also auch in den unteren Klassen, der ausschliessliche Gebrauch des Italienischen im Religionsunterricht befohlen werden (siehe Beilage Nr. 20).
"Ausschliesslicher Gebrauch" der bedeutet italienischen Sprache bedeutet, wie die diesbezüglichen, unter Androhung der Enthebung vom Religionsunterrichte gegebenen Befehle an die Geistlichkeit dartun, das strikteste Verbot auch nur im bescheidensten Ausmasse das Deutsche zur Erklärung herbei zu ziehen, und zwar auch dann, wenn es sich um ausschliesslich deutsche Kinder handelt. (Siehe das Schreiben der Schulbehörde an den Pfarrer der rein deutschen Gemeinde Kurtatsch, Beilage Nr. 21)
Jene Katecheten, die es nicht über das Gewissen brachten, den Religionsunterricht dadurch zum Gespötte der Kinder zu machen, dass sie denselben in einer Sprache erteilten, die den Kindern fremd ist, wurden auch tatsächlich von der weltlichen Behörde von der Erteilung
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des Religionsunterrichtes ausgeschlossen. Ja dem Kuraten von Proveis, einer rein deutschen Gemeinde, wurde sogar amtlich gedroht, falls er noch einmal die Schule betreten würde, ihn mit Waffengewalt daraus zu entfernen. (Siehe Beilage Nr. 22) Dabei ist es den aus der Schule verbannten Katecheten nicht immer gestattet, den Kindern in der Kirche den deutschen Religionsunterricht zu erteilen.
In Altrei, einer der wiederholt genannten deutschen Gemeinden des Fleimstales, die aber zu dem italienischen Dekanat Cavalese gehört, muss der Religionsunterricht vom dortigen Pfarrer in italienischer Sprache erteilt werden. Der Kooperator dieser Pfarrei, Josef Gasser, ist einer jener Priester, denen wegen Förderung des deutschen Unterrichtes die Erteilung des Religionsunterrichtes in der Schule verboten wurde. Dekan Pegolotti von Cavalese, ein italienischer Priester, forderte nun, mit der Begründung, dass die Kinder dieses Ortes vom italienischen Schulunterrichte doch keinen richtigen Nutzen hätten, Herrn Koop. Gasser auf, die Kinder an schulfreien Stunden in die Kirche kommen zu lassen, um ihnen dort den Religionsunterricht in der Muttersprache zu erteilen. Der Unterpräfekt von Cavalese aber hat auch den in der Kirche erteilten Religionsunterricht verboten. (Siehe Beilage Nr. 23, Schreiben an den Pfarrer von Altrei.)
3.) In Bozen hat der Religionsunterricht je nach der Muttersprache der Kinder in deutscher oder italienischer Sprache erteilt zu werden. Die Praxis ist aber leider zum seelischen Schaden der deutschen Kinder eine von der Theorie ganz verschiedene. Es werden nämlich in den Schulklassen für den Religionsunterricht eigene Abteilungen für die deutschen und italienischen Kinder gebildet. Für die Zuteilung zur deutschen oder italienischen Abteilung ist aber nicht der Umstand maßgebend, welche Sprache das Kind spricht, sondern, ob der Familienname
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italienisch klingt u. dgl. Ja es sind auch Kinder mit deutschen Familiennamen der italienischen Abteilung zugewiesen worden mit der Begründung, dass die betreffenden Familiennamen sich auch im italienischen Landesteile (Trentino) vorfänden, weshalb die Träger dieser Namen eben als Italiener betrachtet werden müssten, ohne Rücksicht darauf, dass in den betreffenden Familien ausschliesslich deutsch gesprochen wird.

4.)  Die grössere Bedrängnis dieser Gemeinden in seelsorglicher Hinsicht äussert sich dann vor allem im Bestreben der weltlichen Behörde, in diese Gemeinden, auch wenn sie rein deutsch oder doch überwiegend deutsch sind, italienische Priester hinzubringen.
Abgesehen von den Gemeinden, die italienische Mehrheiten aufweisen, die daher auch italienische Seelsorger haben mit ausschliesslich italienischem Gottesdienst, ist die Diözesanbehörde im Übrigen diesen Bestrebungen bisher nur in einem Falle entgegengekommen, in Salurn. Von diesem Orte, der eine in seiner Mehrheit deutsche Bevölkerung aufweist, ist über Druck der Faschisten der deutsche Pfarrer Simon Delueg, der fast 25 Jahre segensreich in der Pfarrei gewirkt, verdrängt und ein italienischer Pfarrer an dessen Stelle gesetzt worden. Seitdem darf in der Pfarrkirche von Salurn kein wie immer gearteter deutscher Gottesdienst, keine deutsche Predigt oder Christenlehre, keine deutsche Segensandacht gehalten werden. Das laute deutsche Beten in der Kirche wie bei Prozessionen oder Begräbnissen ist von den italienischen Seelsorgspriestern wiederholt ausdrücklich verboten worden.
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Wohl kann an Sonn- und Feiertagen in einer ausserhalb des Ortes gelegenen Filialkirche eine deutsche Predigt gehalten werden, aber sie darf nicht mit einer Messe verbunden sein. Diese Einschränkung macht das Zugeständnis der deutschen Predigt völlig illusorisch, da nur die wenigsten sich entschliessen können, in verschiedenen Kirchen die Predigt und die Messe anzuhören. Die aus der völligen Verdrängung der deutschen Sprache aus der Pfarrkirche Salurn erwachsenen traurigen Verhältnisse haben es zustande gebracht, dass sich nun ungefähr 25 Familien dieses Ortes, die sich zuvor am kirchlichen Leben der Gemeinde beteiligt haben, nun davon ferne halten. Wie sehr es das Bedürfnis der dortigen Bevölkerung ist, in deutscher Sprache pastoori 2 pastoriert zu werden, möge daraus erkannt werden, dass die Gläubigen fast ausschliesslich bei dem noch dort verbliebenen deutschen Kooperator und dem deutschen Benefiziaten die Beichte ablegen und ausnahmslos diese deutschen Hilfspriester in der Krankheit zu sich kommen lassen, während sie den Beichtstuhl der italienischen Priester völlig meiden und sie auch nicht zu den Kranken rufen.
Gegenwärtig werden in Oberau, einer Vorstadt Bozens, von Faschisten Unterschriften gesammelt, um von der kirchlichen Behörde die Entfernung des dortigen Seelsorgers, Heinrich Schweigkofler, zu fordern. Dieser Priester hatte in den vergangenen Jahren wiederholt die Anerkennung der Italiener erhalten, für die eifrige Betreu<u>ng3 seiner Seelsorgskinder italienischer Nationalität. Er hält schon seit langem in seiner Notkirche paritätischen deutschen und italienischen Gottesdienst. Seit einem halben Jahre betreiben nun die Faschisten aus rein politischen Beweggründen die Entfernung des deutschen Geistlichen, um ihn durch einen Italiener ersetzen zu können. Bei der Unter-
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schriftensammlung, die gegenwärtig unternommen wird, bedienen sich die Sammler der gewöhnlichen terroristischen Mittel. Um die Zahl der Unterschriften möglichst gross zu gestalten, werden auch ausserhalb des Seelsorgsbezirkes Oberau solche Unterschriften gesammelt.

5.)  In allen Gemeinden des Unterlandes und in den deutschen Gemeinden des Nonsberges und Fleimstales auch in rein deutschen ist es verboten, die Gottesdienstordnung in deutscher Sprache an der Kirche anzuschlagen. (Siehe Beilage Nr. 24)

An einem Orte durfte sogar eine Glockenweihe, für die alle Vorbereitungen getroffen waren, nicht vorgenommen werden, weil die Glocken deutsche Inschriften trugen. (Siehe Beilage Nr. 25) Auch Aufschriften in deutscher Sprache innerhalb der Kirche mussten verschwinden. Neuestens wird selbst auf Friedhöfen, wie in Salurn und Neumarkt, die Anbringung von deutschen Inschriften über den Gräbern der Verstorbenen verboten.

II. Die deutschen Sprachinseln im Trentino.
In dem italienischen Teile der Provinz Trient (zugleich italienischer Anteil der Diözese Trient) befinden sich folgende Gemeinden, die eine deutsche Bevölkerung aufweisen: Lusern, Palai, Innerfloruz, Ausserfloruz, Bichleit, die nach der Volkszählung vom Jahre 1910 2.127 Deutsche und <160>4  Italiener aufweisen (siehe Beilage Nr. 26). In allen diesen Gemeinden ist jeglicher Gebrauch der deutschen Sprache in der Schule (auch im Religionsunterricht) wie in der Kirche verboten. Auch die deutschen Priester mussten von allen
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diesen Orten entfernt und italienische an deren Stelle gesetzt werden. In Palai geschah die Entfernung des deutschen Seelsorgers sogar mit militärischer Gewaltanwendung. Nur in Ausserfloruz durfte der Seelsorger, der ein Ladiner aber der deutschen Sprache mächtig ist, noch verbleiben.
Das völlige Verbot der deutschen Sprache in Kirche und Schule zeigt in diesen Gemeinden die bedenklichsten Folgen hinsichtlich Teilnahme am Gottesdienste und dem Sakramentsempfang. Eine ganz augenfällige Verschlechterung besonders hinsichtlich Sakramentsempfang wird von Lusern gemeldet, wo der dortige italienische Pfarrer nach Verdrängung des früheren deutschen Seelsorgers im ersten nationalistischen Rausche nach der Besetzung des Landes durch die italienischen Truppen, glaubte, seinen Gläubigen sogar das deutsche Beichten verbieten zu sollen. Er ist allerdings durch die Erfahrung später eines anderen belehrt worden, aber die üblen Folgen der Unterdrückung der Muttersprache in Kirche und Schule sind nicht beseitigt und wirken fort.
Bei einem Vergleiche in 5 der Behandlung der deutschen Sprachinseln im Trentino mit der der italienischen Sprachinseln in Südtirol (Pfatten, Branzoll und Laag), wo der Gottesdienst ausschliesslich in italienischer Sprache gehalten wird, lässt den Unterschied in der Behandlung der beiden Nationalitäten in seelsorglicher Hinsicht in die Augen springen.
1Im nachfolgenden ist unter Südtirol stets Deutsch–Südtirol verstanden. Die früher als Italienisch-Tirol bezeichneten Gebiete werden in Anpassung des gegenwärtigen Sprachgebrauches Trentino genannt.
1Zur Aushilfe in der eigentlichen Pilgerzeit soll in diesen Tagen ein zweiter deutscher Pater der Tirolerprovinz in Maria Weißenstein eintreffen.
1Seit kurzer Zeit bildet auch Pfatten keine eigene politische Gemeinde mehr, sondern eine Fraktion von Branzoll, so dass es unter den mehr als 200 politischen Gemeinden Südtirols, abgesehen von den ladinischen Gemeinden, nur eine einzige Gemeinde mit ausgesprochener italienischer Mehrheit gibt (Branzoll).
1Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, eingefügt.
2Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, eingefügt.
3Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, eingefügt.
4Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, eingefügt.
5Hds. von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, gestrichen.
Empfohlene Zitierweise
Anlage vom vor dem 20. Mai 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 16886, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/16886. Letzter Zugriff am: 29.04.2024.
Online seit 29.01.2018, letzte Änderung am 01.09.2016.