Dokument-Nr. 17714
Wittig, Joseph an Bertram, Adolf Johannes
Breslau, 04. Oktober 1925

Abschrift
Auf das Schreiben vom 3.
August d. J. und auf seine Beilage erlaube ich mir folgende Antwort zu geben, die nur deshalb erst kurz vor dem letzten Termin eintreffen wird, weil ich den mir von Anfang an feststehenden Wortlaut genügend prüfen und mit einer Anzahl geistlicher und weltlicher Freunde in Bayern und Schlesien beraten wollte. Noch in diesem Augenblicke bitte ich Gott, mir die rechten Worte einzugeben.
1. Ich anerkenne grundsätzlich die Gewalt der Kirche, ihren Gläubigen die Lesung glaubens- und sittenfeindlicher Schriften zu verbieten.
2. Das Verbot, das meine Bücher betroffen hat, entbehrt jeder Begründung. Wenn ich ihm als vernünftiger Mensch mich unterwerfen soll, müssen mir die Gründe im einzelnen dargetan werden, so zwar, daß ich die beanstandeten Stellen richtig kommentieren oder in Neuauflagen ändern kann. Ich habe den Zensoren meiner letzten Bücher von vornherein meine Bereitschaft zu jeglicher Korrektur erklärt. Sie antworteten mit vagen Befürchtungen und mit deutlicher Bekundung ihrer Angst vor Rom. Ich verlange also zum mindesten das, was jedem Verbrecher zugestanden wird: Genaue Angabe der Gründe und Ermöglichung der Verbesserung. Ich
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hatte guten und besten Willen, der Kirche treu zu dienen mit allen meinen Kräften bis an mein Ende; jetzt habe ich den Willen, wenigstens ehrlich zu sein gegen sie und das katholische Volk. Denn sie hat meine anderen Dienste mit "Proskription", "Damnation" und Schandliste (vgl. Osservatore Romano) entlohnt und für die Vergangenheit und Zukunft entwertet.
3. Wie das Verbot jetzt ist, hat es mir schon in den ersten zwei Monaten schweren moralischen und materiellen Schaden gebracht. Es galt aber von jeher als unsittlich, auch mit den Mitteln des Rechts einen Menschen so schwer zu schädigen, ohne daß vor aller Öffentlichkeit auf das Sorgfältigste dargetan wird, daß dies geschehen mußte und daß kein anderer Weg möglich gewesen. Ich halte ein solches Verbot nicht für verpflichtend.
4. ...
5. Das römische Schreiben fordert von mir Ablegung der Professio Tridentina und des Antimodernisteneides mit der Begründung: quia errores, quos... Wittig litteris tradidit, certe quidem ex parte, doctrinam divino-catholicam funditus subvertunt. Das heißt doch auf Deutsch, daß ich den katholischen Glauben von Grund aus [sic] zerstöre. Das ist aber eine offenbare krasse Unwahrheit. Ich habe viel hundert Zeugnisse – und auch Ew. Eminenz haben sie und dürfen sie vor Gott und vor der Kirche nicht unterschlagen und verheimlichen!- daß meine Bücher viele Menschen zum Glauben zurückgeführt und im Glauben bestärkt und auferbaut haben. Dagegen stehen vielleicht die Zeugnisse einiger weniger leichtsinniger Menschen, die sich – manchmal, wie ich feststellen konnte, ohne meine Bücher gelesen zu haben! - für ihren Leichtsinn auf meine Bücher beriefen, aber auch
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ohne meine Bücher leichtsinnig geblieben wären. Um dieser wenigen willen soll den Tausenden ernst Strebenden das Brot entzogen werden, nach dem sie hungern! Jene unwahre Begründung kann ich, da ich das Werk Gottes nicht verleugnen darf, weder durch eine Unterschrift, noch durch einen Akt anerkennen. Bei meinem Gewissen nicht!
6. Die in dem römischen Schreiben geforderten Leistungen sind schon getan. Wie aus den dortigen Akten ersichtlich sein muß, habe ich sowohl die Professio Tridentina wie auch den Antimodernisteneid abgelegt. Ich stehe noch heute bei beiden Eiden, ebenso ernst wie im Augenblicke des Schwurs. Sollte das Amt von mir verlangen, daß ich beide Eide wiederhole, so kann ich nur sagen: Ich bin kein Eidbrüchiger und lasse mich nicht als solchen behandeln! Das Verlangen, daß ich den Antimodernisteneid schwöre, ist ein neuer Beweis, daß Rom ... meine Schriften gar nicht kennt. Denn jede Zeile meiner Schriften ist, wie auch schon öffentlich betont wurde, eine Ablehnung und Bekämpfung des Modernismus. Aus Kollegenkreisen wird mir geraten, darauf hinzuweisen, daß Rom selbst, aus kirchenpolitischen Gründen, die Mitglieder der theologischen Fakultäten Deutschlands vom Antimodernisteneide dispensiert habe und daß eine Umgehung dieser kirchenpolitischen Abmachung ernste Schwierigkeiten hervorrufen müßte. Aber mich kümmert die Kirchenpolitik nichts. Wenn ich an eine Wiederholung der beiden Eide nicht denke, so ist der Grund dafür der, daß ich mich nicht als Eidbrüchigen bekennen kann und daß mir mein Gewissen verbietet, den Eid als bequemes Schutzmittel gegen die drohenden Ungelegenheiten zu mißbrauchen, über deren Ernst ich mir ganz im Klaren bin. Es bedeutet also meine Antwort nicht,
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daß ich den Gehorsam verweigere, sondern daß das, was gefordert wird, schon geschehen ist und in diesem Zusammenhang aus Gewissensgründen nicht wiederholt werden kann.
Im übrigen verweise ich auf meine Erklärungen vom 27. Januar d. J. Ich klage Ew. Eminenz offen an, daß Sie, von einigen Hetzern ängstlich gemacht, durch die ganze Reihe Ihrer Maßnahmen, die sich nach Skrupulantenart immer mehr verschärften, das jetzige Unglück mitverschuldet haben. Von meinem Bischof verlassen, war ich jedem Gekläff ausgesetzt, und um dem Gebell ein Ende zu machen, unterbindet man mir die Verkündigung des Evangeliums von der Barmherzigkeit Gottes. Wenn aus meiner Angelegenheit ein Ärgernis für das ganze katholische Volk wird, dann trage ich nicht den größten Teil der Schuld.
Ich lege eine Abschrift aus dem Wiener Korrespondenzblatt für den katholischen Klerus bei mit der Bitte, davon Kenntnis zu nehmen.
In tiefster Ehrfurcht, aber auch in aller von Gott gebotenen und von der Kirche anerzogenen Wahrhaftigkeit
Ew. Eminenz
gehorsamster
Joseph Wittig.
Empfohlene Zitierweise
Wittig, Joseph an Bertram, Adolf Johannes vom 04. Oktober 1925, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 17714, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/17714. Letzter Zugriff am: 28.04.2024.
Online seit 24.06.2016.