Dokument-Nr. 19722
Stratmann OP, Franziskus MariaLanger, Felix Johann an Bertram, Adolf Johannes
Berlin, 04. April 1928

Abschrift der Eingabe des Hochw. Pater Kuratus von St. Maria-Viktria [sic] zu Bln., Franciscus Stratmann O. P., in Sachen des Studienassessors Felix Langer.
Hochwürdigster Herr Kardinal!
Euer Eminenz wollen mir gütigst gestatten, in einer Angelegenheit Stellung zu nehmen, die schon zu sehr peinlichen Auseinandersetzungen geführt hat. Es handelt sich um den Studienassessor Herrn Felix Langer, wohnhaft Berlin NW. 6 Karlstr. 9 und darum Mitglied der mir anvertrauten St. Maria Viktoria-Kuratie. Nach sehr eingehender Beschäftigung mit seiner Lage würde ich glauben, in meiner Eigenschaft als Pfarrer sein Pfarrer und Seelsorger eine ernste seelsorgerische und fürsorgerische Gewissenspflicht zu verletzen, wenn ich nicht den einzigen Weg beschritte, der zur seelischen, körperlichen und wirtschaftlichen Sanierung des schwer leidenden Mannes führen kann, den Weg zum Herzen seines und meines bischöflichen Oberhirten.

I.
Es erscheint zweckmässig, zunächst den Tatbestand noch einmal zusammenzustellen.
Herr Felix Langer besitzt die wissenschaftliche Fakultas, katholischen Religionsunterricht und Hebräisch in allen Klassen höherer Lehranstalten zu erteilen. Am Friedrichwerder-Gymnasium, Berlin,1 hat er diese Fakultas mit besonderem Erfolge ausgeübt. Bestätigungen dessen folgen unten. Dass die Uebertragung des Religionsunterrichtes an ihn den Wünschen der geistlichen Behörde nicht entsprach, war Herrn Langer weder bei seinem Studium noch bei seiner Bestallung bekannt. Würde er als Student gewusst haben, dass es einem Laien nicht gestattet werde, Religionsunterricht an höheren Schulen zu erteilen, so würde er, um nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten, andere Fächer gewählt haben. Die akademischen Behörden+ haben offenbar von dem Standpunkt der geistlichen Behörden keine Kenntnis. Auch war der Examinator, vor dem Herr Langer die Fakultas erwarb, ein Geistlicher, nämlich Herr Schulrat Dr. Kurfess.
Ostern 1925 wurde Herr Langer ohne sein Zutun, ja gegen seinen Willen, von Berlin nach Pr. Friedland (Grenzmark) versetzt. Von dieser Versetzung hat Herr Langer, nachdem ihre Unwiderruflichkeit feststand, die Apostolische Administratur in Tütz unter Angabe des bestimmten Termins seiner Abreise zum Dienst nach dort sofort benachrichtigt und um umgehende Antwort gebeten, namentlich für den Fall seiner Ablehnung als Religionslehrer.
Nachdem Herr Langer in Pr. Friedland seinen ihm vom Provinzialschulkollegium aufgegebenen Dienst angetreten und eine zeitlang ausgeübt hatte, erhob die geistliche Behörde gegen die Erteilung des Religionsunterrichtes durch ihn Einspruch. Nach langen Verhandlungen erhielt er den Bescheid, "dass die Erteilung der missio canonica für Religionsunterricht in der Oberstufe nicht tunlich ist und Zulassung zur Erteilung des Religionsunterrichtes in Mittel- und Unterklassen
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nur in soweit angängig ist, als es unmöglich ist, diesen Unterricht Geistlichen zu übertragen."
Mit der Erteilung des Religionsunterrichtes durch einen Geistlichen in Pr. Friedland stand es folgendermassen: der Geistliche, der bis dahin dort als Religionslehrer Dienst tat, war wegen dringenderen Bedarfs nach Schneidemühl versetzt worden. Für Pr. Friedland stand kein Religionslehrer zur Verfügung, da der Ortspfarrer wegen Krankheit den R. U. nicht übernehmen wollte; als er ihn nach monatelanger Pause doch übernahm, fiel er Wochen hintereinander aus.
Verhandlungen mit Tütz – mit Unterstützung der hw. Apostolischen Nuntiatur – waren ergebnislos, sodass wegen des nicht mehr erteilten Religionsunterrichtes die Entlassung drohte. Nur durch inständige Bitten wurde sie abgewendet.
Herr Langer wurde nach Beginn des Sommersemesters 1926 nach Berlin zurückversetzt. Durch die zweimalige unfreiwillige und unverschuldete Versetzung entstanden Herrn Langer hohe Kosten, die den Grund für seine heute noch bestehende starke Verschuldung bilden.
Die von diesem Zeitpunkt an nach Breslau gerichteten Eingaben Langers blieben alle ohne Antwort. Ostern 1927 machte Langer den Versuch, Euer Eminenz in Berlin bei St. Clemens persönlich zu sprechen; es wurde ihm erwidert, er möge sich an die Delegatur wenden. Diese aber erklärte sich in dieser Sache für nicht zuständig.
Die wegen der zweimaligen Versetzung entstandenen Schulden und die bei Nichtausübung der Fakultas für Religion und Hebräisch unmöglich erscheinende Anstellung als Studienrat haben Herrn Langer in eine für einen Akademiker ungewöhnlich grosse wirtschaftliche Notlage versetzt. Vor einiger Zeit schrieb er mir darüber folgendermassen:
"Trotz aller Sparsamkeit – ich habe diesen Monat rund 197,- M abgezahlt und 135,- M Miete gezahlt – kommen wir auch in diesem Monat wieder nicht durch, ohne den einen oder anderen Tag uns sehr einzuschränken, d. h. unserem Körper sogar das Notwendige zu vorzuenthalten, da mir vom Gehalt nur ca. 130,- blieben, wovon Verpflegung, Gas, Elektrizität, Wäsche, Fahrgelder Stiefelsohlen etc. zu bezahlen sind. Seit 2 1/2 Jahren habe ich Angst, mich satt zu essen, und oft genug habe ich die Groschen zusammensuchen müssen, damit wir etwas in den Magen bekamen. Einmal fanden wir gerade noch 40 Pf, mit denen wir uns beide (Langer ist verheiratet) für einen Tag sättigen konnten, bis ich eine neue Gelegenheit zum Borgen fand. Und die Nebenverdienstmöglichkeiten sind so gering; um 3,-M mit einer Privatstunde zu verdienen, musste ich zweimal 45 Minuten Weg machen. Von denen habe ich nun noch 8 die Woche verloren, und meine Geldverpflichtungen drängen. Auf Wechsel muss ich z. B. 18 Prozent Zinsen zahlen! So werden die Schulden nie alle, mag man auch noch so viel Nebenarbeit leisten und noch so sparsam leben, sodass man sogar wochenlang mit zerrissenen Stiefelsohlen herumläuft und sich bei nassem Wetter erkältet. Und mehr an Privatstunden erteilen kann ich nicht, da meine Kräfte nicht mehr reichen und ich in den ersten 4 Monaten des Jahres infolge Unterernährung und Ueberarbeitung so zusammengebrochen war, dass ich Arzthilfe in Anspruch nehmen musste. Allerdings stehen auch behördliche Bestimmungen gegen grössere Mehrarbeit, aber Not kennt kein Gebot, diese Bestimmungen beachtet man nicht, wobei das Provinzialschulkollegium ein Auge zudrückt. Infolge der Sorgen mit der Schuldenabzahlung, mit der Ernährung und der mir ev. drohenden Dienstentlassung ohne Pension, auf die ich als Assessor keinen Anspruch habe
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- einmal habe ich das Auf-die-Strasse-geset–werden [sic] nur durch dringendes Bitten beim P. S. K. verhindert, ein zweites Mal war ich schon 3 Wochen ohne Stellung und wusste vor Verzweiflung weder aus noch ein – infolge all dieser Sorgen in Gegenwart und Zukunft sind meine Nerven und geistigen Fähigkeiten dermassen in Mitleidenschaft gezogen, dass ich nur meinen Dienst in der Schule, der als freudige Arbeit an der Jugend eigentlich eines freien und frohen Geistes bedarf, ausübe, statt meine vollen Kräfte der mir anvertrauten Jugend zu widmen.
All diese Schwierigkeiten sind mir entstanden, weil mir die Erteilung des katholischen Religionsunterrichtes unterbunden worden ist, obwohl ich am 16. August 1926+ vor dem kirchlich und staatlich als Examinator bestellten Schulrat, Herrn Dr. Kurfess, katholische Religion als Hauptfakultas erworben habe. An dieser Fakultas und ihrer Ausübung hängt meine ganze Existenz. Ich kann mir keinen Ersatz für sie schaffen. Eine neue Hauptfakultas würde ein mindestens zweijähriges Studium ohne Dienst während dieser Zeit und auch ohne Gehalt erfordern weil günstige Fächer nur Französisch, Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften sind, die zu weit von meinen bisherigen Studiengebieten entfernt liegen, und nach neueren Verlautbarungen der höheren Behörden eine etwa misslungene Erweiterungsprüfung ein neues Moment gegen die dienstliche Eignung des betreffenden Assessors bedeuten würde, so dass ich absolut an keine der Fakultäten herankann, da ich nicht zwei Jahre ohne Gehalt dasitzen kann, noch bei minderer Vorbereitung einen Durchfall in der Prüfung mit dem Erfolg riskieren kann, dass mich das PSK wegen mangelnder Eignung aus dem Dienst entfernt. Weder so noch freiwillig kann ich den Beruf verlassen, weil mir die Ausübung der Religionsfakultas fehlt, da bei der Arbeitslosigkeit in Deutschland das Unterkommen in einem neuen Beruf, in den ich mich erst einarbeiten müsste, aussichtslos ist und mich sofort in den Ruin stürzt, wodurch wieder eine katholische Akademikerfamilie verschwindet, was durchaus nicht im Interesse unserer Sache liegen kann, zumal wir an den hiesigen Anstalten viel zu wenig katholische Oberlehrer haben, manche Anstalten auch heute noch katholikenrein sind.
Die Schulden, die auf mir lasten, sind mir aufgebürdet durch die Versetzung nach Pr. Friedland, wo ich wegen Verweigerung der Erlaubnis des RU wieder abberufen werden musste, wobei ich sämtliche Kosten zu tragen hatte, die auf dem Wege über zweimal mehr als 300 km. mit der schwierigen Wohnungsbesorgung in Berlin und dem 3+ Monate währenden doppelten Haushalt eine ungeheure Höhe erreichten, sodass ich das Jahr 1926 mit 4.010,- M Schulden abschloss, ohne die Zinsen gerechnet, und das bei einem Nettogehalt von ca. 5.500,- M im Jahre. Ferner beruhen die Kosten und Schulden darauf, dass ich von einer Anstalt zur anderen herumgeschickt wurde – im Jahre 1926 war ich an 4 Anstalten tätig und wurde Ostern 1927 wieder versetzt – und mir immer neue Bücher kaufen musste. Dazu kamen Arztkosten infolge des dreimaligen Zusammenbruches im ersten Teil dieses Jahres.
Ohne die verweigerte Erlaubnis zum RU durch kirchliche Stellen wäre das alles nicht gekommen. Ich wäre in Pr. Friedland voraussichtlich als Studienrat fest angestellt worden, ohne dass dadurch ein geistlicher Oberlehrer geschädigt worden wäre.

II.
Niemand wird die ungewöhnliche Härte und Tragik
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des geschilderten Falles bestreiten. Die Tragik liegt namentlich darin, dass ein Katholik gerade um seines religiösen Idealismus willen in bitterste Not gerät. Ein solches Los von einem meiner Pfarrkinder abzuwenden, solange noch irgend eine Möglichkeit dazu besteht, halte ich, wie schon eingangs bemerkt, für meine Pflicht. Ich glaube daher, an dieser Stelle alle Gründe anführen zu sollen, die die kirchliche Behörde zur Revision ihres bisher eingenommenen Standpunktes bewegen könnten.
a) Auf die grundsätzliche Berechtigung, einen wissenschaftlich qualifizierten Laien mit der Erteilung des Religionsunterrichtes zu betrauen, hat Herr Langer, der ein guter Theologe ist, unter Berufung auf bewährte Autoren selbst schon hingewiesen.
b) Die Verweigerung der Erlaubnis, Religionsunterricht zu erteilen, kann sich deshalb nur auf partikularrechtliche Bestimmung stützen: den Beschluss der Fuldaer Bischofskonferenz vom 20.8.20. Herr Langer bemerkt dazu in einem Brief an mich folgendes:
"Der genaue Wortlaut des Protokolls ist mir trotz forschens unbekannt geblieben. Als causa movens für dieses Protokoll supponiere ich den oben erwähnten Missstand, dass Volksschullehrer wegen Mangels speziell theologischer Ausbildung nicht ausreichend zum RU an höheren Schulen befähigt sein können, was bei mir nicht zutrifft, der ich die volle Lehrbefähigung für die Oberstufe durch eine nach kirchlichen und staatlichen Grundsätzen erfolgte Prüfung erworben habe. Da das Protokoll vom 20.8.20 stammt, ist es überhaupt auf mich nicht anwendbar, weil ich meine Prüfung am 16.8.20 bestanden habe und CJC 10 sagt: Leges respiciunt fitura [sic], non praeterita…, so dass mir ohne Weiteres nicht das vorher rite erworbene Recht, an dem meine ganze Existenz hängt, genommen werden kann. Es hätte dann auch mit der weltlichen Behörde eine Vereinbarung getroffen werden müssen, dass niemand zur Religionsprüfung für die Oberstufe zugelassen wird, der nicht ein Zeugnis über einen empfangenen Ordo maior aufzuweisen hat. Das ist bis heut nicht geschehen, obwohl es unausweichliche Konsequenz wäre, sollte das Protokoll Gesetzeskraft haben; denn unsere Dienstaltersliste weist 6 jüngere Kolleginnen auf, die k. R. als Oberfakultas haben, während sie doch keinen Ordo maior besitzen können (eine davon ist bestimmt Schwester, 2 bestimmt nicht) andere haben kR für Unter- und Mittelstufe. Gegen Gesetzeskraft des Protokolls spricht auch die Tatsache mangelnder Promulgation, die nach CJC 8 unbedingtes Erfordernis der Gültigkeit ist. Beweis: Bis Anfang 1926 wusste das Hww Berliner Delegaturamt nichts davon, ich selbst wusste bis 1926 nichts, obwohl ich alle kirchenrechtlichen Materien gut verfolgte und mir eine für mich so wichtige nicht hätte entgehen können. Auch die mir bekannten Pfarrer, Kuraten und Kapläne wussten nichts davon."
c) Sollte aber der Beschluss der Fuldaer Bischofskonferenz auch rückwirkend Gesetzeskraft besitzen, so besteht in Einzelfällen die Möglichkeit einer Dispens von dieser Vorschrift. Als Dispensgründe dürften folgende2 in Betracht kommen:
1.) die Tatsache, dass von sehr ernsten anderen Kirchengesetzen sehr häufig dispensiert wird. In hunderttausenden Fällen wird von dem Ehehindernis der mixta religio bischöfliche Dispens erteilt, obwohl es feststeht, dass diese Dispens neben guten Folgen auch für Glaube und Kirche geradezu verheerende nach sich zieht.
2.) das äussere grave incommodum, das Herrn Langer
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durch Nichtausübung eines wesentlichen Teiles seiner rechtmässig erworbenen Unterrichtsfakultas erwächst.
α) Herrn Langer sind durch die zweimalige Versetzung grosse finanzielle Schäden in der Vergangenheit erwachsen, die auch in der Gegenwart schwer nachwirken.
β) Die Nichtverwendung im Religionsunterricht bedroht die wirtschaftliche Zukunft des Herrn Langer aufs schwerste.
3.) Das innere grave incommodum: körperlich und seelisch leidet Langer unter den aus der nicht gewährten Erlaubnis entstehenden Folgen in beängstigender Weise. Die genannten Folgen stellen ohne Zweifel eine necessitas gravis temporalis dar, auf die der Satz Anwendung findet: "Proximo in in gravi necessitate temporali constituto succurrendum est cum levi incommodo."
4.) Ein Präzedenzfall: An der staatlichen Bildungsanstalt (Stabila) Berlin-Lichterfelde erteilt ein Laie, Studienrat Monzel, seit einigen Jahren in den mittleren Klassen Religionsunterricht.
5.) Da es mir bekannt ist, dass Herr Langer in den Verhandlungen mit Euer Eminenz mehrfach im Tone sich stark vergriffen hat, habe ich ihn veranlasst, die nachstehende Erklärung zu geben. Herr Langer ist ohne Zögern darauf eingegangen und hat mich gebeten, diese Erklärung Euerer Eminenz zu übermitteln: "Hierdurch nehme ich die gegen S. Eminenz, den Herrn Kardinal Dr. Bertram, mehrfach geübte heftige und ungebührliche Sprache mit dem Ausdruck des Bedauerns und der Bitte um Verzeihung zurück."
6.) Als letzten Grund für die Dispens möge die folgende Erklärung gelten, die ich als pfarramtliches Zeugnis über die Persönlichkeit des Herrn Langer zu betrachten bitte. Nach eingehenden Erkundigungen stelle ich Herrn Felix Langer das Zeugnis aus, dass er sich seit Jahren in aussergewöhnlich hohem Masse in den Dienst der katholischen Sache gestellt hat. Ueber seinen Religionsunterricht berichtet einer seiner Schüler, der jetzt als Kaplan in einer Berliner Gemeinde tätig ist: "Neben der planmässigen, wissenschaftlichen Durcharbeitung des lehrplanmässigen Stoffes, die in wohltuender Weise von der Methode anderer Religionslehrer abstach und uns Primaner für die Materie begeisterte, fand Herr Langer noch manche Zeit, uns auf unsere verschiedenen Weltanschauungsfragen und Zweifel, die auf eine Primanerseele in den Simultangymnasien einströmen, gediegene, befriedigende Antworten zu geben. Ich würde es tief bedauern, wenn Herrn Langer die Fakultas für Religionsunterricht für die Dauer entzogen bliebe, denn den Seelsorgsgeistlichen ist es durch die starke sonstige dienstliche Belastung unmöglich, sich intensiv auf den Unterricht vorzubereiten und ihn so zu erteilen, wie es ein hauptamtlicher Studienrat vermag und Herr L. auch getan hat. Neben dem Religionsunterricht hat Herr L. auch stets unter grossen persönlichen Opfern an Zeit und Mühe seine Religionsschüler in einem apologetischen Zirkel versammelt, wo unser theologisches Wissen durch Aussprache und Benützung von Quellenschriften ungemein vertieft wurde. Noch heute denke ich an diese Stunden, in denen meines Wissens so mancher theologische Beruf geweckt wurde, voll Freude und Dankbarkeit zurück."
Ein ähnliches Zeugnis erhielt ich von einem anderen Berliner Geistlichen mündlich.
Ueber seine religiöse Tätigkeit während des Krieges in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager be-
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richtet ein zur Zeit in Düsseldorf angestellter Geistlicher, der Langers Mitgefangener war, in einem Briefe an mich folgendes:
"Sowohl an der deutschen Front als auch später in Gefangenschaft haben wir jahrelang fast jeden religiösen Trostes und Zuspruches entbehren müssen. Zumal in Gefangenschaft, wo wir von der französischen Geistlichkeit, die in nächster Nähe war, feige im Stich gelassen wurden, haben wir das äusserst schmerzlich und bitter empfunden. Diese religiöse Not, der unglückliche Ausgang des Krieges und vieles andere hatte die Seelen der Gefangenen so gereizt und sensibel gemacht, dass die Lage fast unerträglich war. Da kam uns Langer, das muss ich heute rückschauend sagen, als rettender Engel, wie ein von Gott gesandter Prophet, der die Gemüter aufrüttelte, ihnen neuen Mut einflösste und den zerschlagenen Seelen die religiösen Kräfte und Werte wieder lebendig machte, soweit das in seiner Möglichkeit lag. An Sonntagen zog er von morgens bis abends umher, sammelte die Kameraden um sich und riss alle durch die Gewalt seiner Beredsamkeit, durch die Kraft seiner persönlichen Glaubensüberzeugung mit sich fort... Bei sehr vielen, das ist meine feste Ueberzeugung, hat er das erstorbene Glaubensleben wieder geweckt und ihnen neue Hoffnung und neues Gottvertrauen gegeben. Christliche Gesinnung und Opferbereitschaft, die er anderen predigte, bewies er selbst durch die Tat. Ende März 1918 sollte er in die Heimat entlassen werden, weil er zur schweren Arbeit auf der Chaussee unfähig war. Auf die stürmischen Bitten seiner Kameraden hin bat er die Amerikaner, bleiben zu dürfen, damit die Mitgefangenen nicht des religiösen Trostes entbehrten. Er durfte bleiben, und ein anderer wurde statt seiner in die Heimat entlassen. Langer machte auf mich während der ganzen Zeit den Eindruck eines charismatischen Menschen, eines echten Christen, der den religiösen Dienst an seinen Kameraden aus innerer Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit verrichtete. Er ist begeisterter Theologe und kann nicht glücklich sein, wenn er nicht für Gott und die Seelen arbeiten kann. Dass eine solche Kraft brach liegt, ist nach menschlichem Ermessen für unsere Sache in der Diaspora ein grosser Schaden. Möge Gott bald seinen Bemühungen und Gebeten, die auch die Gebete aller derjenigen sind, die ihn kennen, den Erfolg verleihen."
Von einem Geistlichen der Heimatspfarrei Langers (Herz-Jesu, Berlin) erfahre ich, dass H. L. auch grosse materielle Opfer für die Gemeinde, zum Beispiel die Ausstattung des Gotteshauses gebracht hat. Mit vorbildlicher Sorge ist er auch um seinen alten Vater bemüht, den nach dessen bevorstehender Pensionierung+) weitgehend zu unterstützen, er sich verpflichtet fühlt.
In seiner Pfarrkirche St. Maria Viktoria Berlin geht Herr Langer jeden Sonntag zur hl. Kommunion.
Zusammenfassend stehe ich nicht an zu erklären, dass, soweit ein Urteil darüber überhaupt möglich ist, in der St. Maria Viktoria Gemeinde Berlin kein Laie sich um die katholische Sache so verdient gemacht hat, wie Herr Felix Langer.
Der Fall Langer erschien mir wichtig genug, um Euer Eminenz vorstehendes ausführliches Gutachten darüber zu unterbreiten. Immer wieder wird von kirchlicher Seite darauf hingewiesen, wie dringend notwendig heut die Laienhilfe in der Seelsorge sei. Ich kann
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auf das Bestimmteste versichern, dass in weiten Kreisen die tiefste Entmutigung Platz greifen wird, wenn einer der fähigsten und würdigsten Laienakademiker gerade auf dem Gebiete, auf dem er seine wissenschaftliche Befähigung in einem Staatsexamen+) nachgewiesen hat, von der Mitarbeit dauernd ausgeschlossen würde.
Mit der herzlichsten und dringendsten Bitte, meinem wirtschaftlich, körperlich und seelisch schwer leidenden Schützling zu helfen,
bin ich Euer Eminenz gehorsam ergebenster
Gez: P. Franciscus Stratmann O. P.
Kuratus.

Nachschrift
zu dieser Abschrift.
Alle, denen ich das vorstehende Schriftstück in Abschrift zur Kenntnis übersende, mögen wissen, dass ich die oben lobend erwähnten Umstände nicht als Verdienste in Anspruch nehme. Ich musste einfach so handeln. Hätte ich anders gehandelt, nicht alle meine verfügbaren Kräfte eingesetzt, dann hätte ich mir schwerste Vorwürfe machen müssen, dass ich ein ungetreuer Knecht gewesen und mit den Talenten nicht, wie es meine Pflicht war, gewuchert habe. Ist aus meiner Tätigkeit irgend ein guter Erfolg zu verzeichnen, so steht das Verdienst und der Ruhm dem zu, von dem alles Wollen und Vollbringen kommt. Ich selbst war und bin ein unnützer Knecht. Wenn ich trotzdem den heissen Wunsch habe, als Religionslehrer weiter zu wirken, dann geschieht dies, aus einer gewissen inneren Notwendigkeit heraus, die mir gewissermassen als Zwang auferlegt wird, aus dem Drang, meinen Jungen alles zu sein, ihre Herzen zu haben, die ich nie so ganz haben kann wie im Religionsunterricht, und in der Hoffnung, die hoffentlich nicht vermessen ist, dass der Herr die Tätigkeit, die ich auf Grund der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten aus ganzem Herzen wieder auszuüben suche, auch weiterhin segnen wird zum Heile der unsterblichen Seelen, worum ich ihn inständig bitte.
Felix J. Langer.
+u. d. Schulbeh. L.
+Schreibfehler: 1920. L.
+Schreibfehler: 8 (acht). L.
+)Irrtum: Der Vater hat keine Pension u. steht nach Entlassung vollkommen mittellos da (1859 geb.). L.
+)vor einem kraft kirchl. u. weltl. Rechtes bestellten Examniator. L.
75r, hds. in pink oberhalb des Textkörpers notiert: "II" und "24/7 1929".
1Masch. Ergänzung am Rand: "Irrtum: Königst. Gym. L."
2Eine ganze Zeile masch. gestrichen.
Empfohlene Zitierweise
Stratmann OP, Franziskus Maria an Bertram, Adolf Johannes vom 04. April 1928, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 19722, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/19722. Letzter Zugriff am: 28.04.2024.
Online seit 20.01.2020.