Dokument-Nr. 607
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio
Breslau, 30. September 1924

Abschrift
Euerer Exzellenz
beehre ich mich auf das gfl. Schreiben vom 23. d. M. 31286 Folgendes zu erwidern.
Es wird Euerer Exzellenz gewiss nicht auffallen, wenn ich trotz aller Vorwuerfe, die gegen die Fraktion Centrum erhoben werden, und trotz der Maengel, die der Weimarer Verfassung anhaften, doch die Ueberzeugung habe, dass die im Centrum vereinigten katholischen Abgeordneten ehrlich und nicht ohne Erfolg bestrebt waren, dass fuer Neuordnung der politischen Verhaeltnisse nach dem Umsturz eine mit den christlichen Grundsaetzen vereinbarliche Gestaltung geschaffen werde, soweit sie unter den Parteiverhaeltnissen der Volksvertretungen ueberhaupt erreichbar war; auch bin ich ueberzeugt, dass die Interessen der katholischen Kirche von den im Centrum vereinten katholischen Abgeordneten am besten vertreten und verteidigt werden, und dass weitere Spaltung der Katholiken durch Uebergang zu anderen Parteien nicht zu wuenschen ist.
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Geleitet von dieser Ueberzeugung, habe ich alles vermieden, was so gedeutet werden koennte, als wenn ich andere Parteien als ebenso empfehlenswert fuer Katholiken betrachte.
Es kommt hinzu, dass die Zeitungen, die als katholische Presse bezeichnet werden koennen, saemtlich zum Centrum halten, andere Parteien durchweg eine Presse unterstuetzen, die sehr oft im kirchenfeindlichen Fahrwasser schwimmt. Dies zur Kennzeichnung meiner Auffassung.
Wiederholt haben die Deutschnationalen versucht, bei mir ihre Gründe fuer Ablehnung des Centrums schriftlich und mündlich vorzutragen, und haben zu diesem Zwecke bei mir um Audienz nachgesucht. Ich habe aber konsequent ablehnend geantwortet und keine Audienz zugelassen. Denn an die Tatsache solcher Audienz wuerden sich sicher in tendenzioeser Ausbeutung Geruechte knuepfen, die gegen das Centrum zugespitzt wuerden.
Dem katholischen Ausschusse der Deutschnationalen habe ich am 4.8.24. geantwortet: nach meiner Erfahrung in 18 Jahren bischoeflichen Amtes bezweifle ich, dass die Fuldaer Konferenz die Eingabe vom Juli 1924 in den Kreis ihrer Verhandlungen einbeziehen werde.
Auf der Fuldaer Bischofskonferenz im August 1924 habe ich erklaert; ich nehme an, dass keiner der Herren Kon-
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ferenz-Mitglieder die Eingabe des Herrn Freiherrn Landsberg-Steinfurt zum Gegenstande von Beratungen auf unserer Konferenz fuer geeignet halte. Es erfolgte kein Widerspruch. Die Bischofskonferenz ging damit schweigend ueber diese ganze Angelegenheit hinweg.
Eine Mitteilung hierueber dem Herrn Landsberg-Steinfurt zu machen, habe ich absichtlich unterlassen, weil ich seiner Partei gegenueber weiter Zurueckhaltung zu ueben fuer besser halte und meine sehr belastete Arbeitszeit nicht zu nutzlosen Korrespondenzen verwenden darf.
In tiefer Verehrung verbleibe ich
Euer Exzellenz
ganz ergebenster
(gez.) A. Card. Bertram.
Empfohlene Zitierweise
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio vom 30. September 1924, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 607, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/607. Letzter Zugriff am: 27.04.2024.
Online seit 18.09.2015.