Besetzung der Kanonikate im Bistum Rottenburg

Der Modus der Besetzung des Domkapitels im Bistum Rottenburg, dem württembergischen Landesbistum, entwickelte sich vor dem Hintergrund des Staatskirchenrechts des 19. Jahrhunderts.
In der Frankfurter Pragmatik von 1820 einigten sich die Staaten der Oberrheinischen Kirchenprovinz auf eine gemeinsame Kirchengesetzgebung, wobei auch die Domkapitel thematisiert wurden (§ 25-30). Die Kanonikate sollten durch Wahl besetzt werden, indem das gesamte Domkapitel und eine identische Zahl von Vertretern des Diözesanklerus einen neuen Domkapitular wählten. Zur Wahl zugelassen wurden nur Diözesangeistliche, die das 30. Lebensjahr vollendet, eine hoch qualifizierte theologische Ausbildung erhalten und bereits sechs Jahre in Pfarrei oder Universität gearbeitet hatten. Zur Durchsetzung wurde eigens eine Landesherrliche Verordnung erlassen.
Da das Domkapitel in Rottenburg mit dem Ordinariat als oberste Verwaltungsbehörde gleichgesetzt und als unmittelbares Beratungs- und Kontrollgremium des Bischofs konzipiert worden war, stellten die Kanonikate einflussreiche Posten in der Bistumsleitung dar. Die weitreichenden Kompetenzen wurden auch in einem Entwurf für die Kapitelstatuten von 1832 niedergelegt, der jedoch nie in Kraft trat. Mit der Berufung eines Generalvikars im Jahr 1852 wurden die bischöflichen Einflussmöglichkeiten erheblich gestärkt. Der Generalvikar konnte Mitglied des Domkapitels sein, musste diesem aber nicht zwangsläufig angehören. Die Berufung eines Generalvikars wurde aber erst im 20. Jahrhundert zur Regel. Die staatliche Zustimmungspflicht bei Neubesetzungen blieb bis 1918 erhalten. Pacelli vertrat gegenüber der Württembergischen Landesregierung im Umfeld der Konkordatsverhandlungen sowie gegenüber der Bistumsleitung vehement das Ernennungsrecht des Bischofs.
Quellen
Gemeinsame Grundsätze des Staatskirchenrechts (Frankfurter Kirchenpragmatik) vom 14. Juni 1820, in: HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 107, S. 262.
Entwurf der Statuten des Domkapitels der Kathedralkirche zu Rottenburg vom März 1832; Diözesanarchiv Rottenburg 1828-1847, G I.1 Nr. 56 Fasc. 42.
WOLF, Hubert / UNTERBURGER, Klaus (Bearb.), Eugenio Pacelli. Die Lage der Kirche in Deutschland 1929 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 50), Paderborn u. a. 2006, S. 211-213.
Literatur
WOLF, Hubert, Das Domkapitel als Bischöfliches Ordinariat? Monarchische (Generalvikar) oder kollegiale (Domdekan) Diözesanleitung im Bistum Rottenburg, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 15 (1996), S. 173-197.
Empfohlene Zitierweise
Besetzung der Kanonikate im Bistum Rottenburg, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 10063, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/10063. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 18.09.2015, letzte Änderung am 26.06.2019.
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