Deutsche Volkspartei (DVP) in Preußen

Wie die Reichspartei, die sich erst am 15. Dezember 1918 konstituierte, bildete sich die Deutsche Volkspartei (DVP) in Preußen als eigenständige bürgerliche Partei zwischen linksliberaler Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und Deutschnationaler Volkspartei (DNVP) erst verhältnismäßig spät heraus. In der Parteiorganisation der DVP waren keine Landsverbände im Sinne eines preußischen Landesverbandes vorgesehen. Träger der Gesamtorganisation der Partei waren vielmehr die Wahlkreisverbände, die etwa bei der Aufstellung der Kandidatenlisten für Reichs- und Landtagswahlen eine beträchtliche Autonomie besaßen. Diese Wahlkreisverbände hatten die Möglichkeit, sich zu Arbeitsgemeinschaften zusammenzuschließen. Die weitaus einflussreichste Arbeitsgemeinschaft war die rheinisch-westfälische unter Albert Vögler und Paul Moldenhauer. Diese konstituierte sich am 18. September 1920, repräsentierte den rechten, schwerindustriellen Flügel der Partei und fungierte als Sammelbecken der Gegner des Parteivorsitzenden Gustav Stresemann. Sie umfasste fast die Hälfte der Mitglieder der Partei.
Die Politik der preußischen Landtagsfraktion der DVP hing stark vom reichspolitischen Kalkül der Parteileitung ab. So gab es zwar bereits 1919 – die DVP bekam bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung am 26. Januar 5,7 % der Stimmen – Überlegungen in der preußischen Landtagsfraktion, sich möglicherweise an der preußischen Regierung zu beteiligen. Diese erübrigten sich jedoch nicht nur aufgrund der politischen Verhältnisse, sondern trafen auch auf den entschiedenen Widerstand Stresemanns, der 1919 ähnlich wie die Mehrheit der Parteimitglieder und Wähler in der Oppositionsrolle der Partei eine Selbstverständlichkeit sah.
Als sich diese Haltung mit dem Beitritt der DVP zur bürgerlichen Minderheitenregierung Reichskanzler Constantin Fehrenbachs aus Zentrumspartei, DVP und DDP 1920 änderte, hatte dies ebenfalls Auswirkungen auf Preußen. Nach den erfolgreichen Landtagswahlen am 20. Februar 1921, bei denen die DVP 14,2 % der Stimmen bekam, nahm diese Verhandlungen mit der DNVP über die Bildung einer bürgerlichen Minderheitenregierung auf, die von den Deutschnationalen gestützt werden sollte. Eine solche Koalition kam jedoch nicht zustande. Auf der anderen Seite wurde die vom Zentrum intendierte Erweiterung der Weimarer Koalition um die DVP von den Sozialdemokraten (SPD) abgelehnt, da sich die DVP unter anderem während des Kapp-Lüttwitz-Putsches uneindeutig verhalten hatte und zentrale Verfassungsprinzipien nicht anerkannte.
Am 9. April wurde schließlich der Zentrumspolitiker Adam Stegerwald zum Ministerpräsidenten gewählt. Seine Regierung – ein Minderheitenkabinett aus Zentrum und DDP, das von DVP und DNVP toleriert wurde – trat am 21. April ins Amt. Überlegungen, im Reich und in Preußen parallel eine Große Koalition zu bilden, bedeuteten am 1. November 1921 das Ende der Regierung Stegerwald. Es gelang Stresemann, die widerstrebende Landtagsfraktion zum Eintritt in die Große Koalition in Preußen zu zwingen, die am 7. November unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun ins Amt trat. Auch wenn eine Große Koalition auf Reichsebene in diesem Moment noch nicht zustande kam, gesellte sich die DVP durch ihre Regierungsbeteiligung in Preußen allmählich zu den verfassungtragenden Parteien. Der DVP-Politiker Otto Boelitz war als Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung für die Preußische Schulreform, Hochschulreformansätze und die Einführung der Pädagogischen Akademien verantwortlich. Auch befürwortete er den Abschluss eines Preußenkonkordates, sollte ein Konkordat mit Bayern abgeschlossen werden.
Jedoch stand die preußische Große Koalition beständig unter Druck von Seiten des rechten Parteiflügels der DVP, der vehement dafür eintrat, die Regierung zu verlassen und eine Koalition mit der DNVP zu bilden. Dieser gewann die Oberhand, als nach den Reichstagswahlen am 7. Dezember 1924 eine Bürgerblockregierung unter Einschluss der DNVP angestrebt wurde. Dass die DVP die preußische Große Koalition verlasse, war dafür Bedingung. Sie wurde nach den preußischen Landtagswahlen, die ebenfalls am 7. Dezember stattfanden und bei denen die DVP 9,8 % der Stimmen bekam, am 6. Januar 1925 erfüllt. Jedoch gelang es der DVP hierauf nicht, auch in Preußen eine entsprechende Bürgerblockregierung zu bilden. Vielmehr ging aus der anschließenden Regierungskrise Anfang April eine Minderheitsregierung der Weimarer Koalition unter Otto Braun hervor. Der DVP-Fraktion blieb trotz zahlreicher Versuche, wieder in die Regierung aufgenommen zu werden, und obwohl sie bei den Landtagswahlen vom 20. Mai 1928 noch einmal 8,5 % der Stimmen gewann, bis zum Ende der Weimarer Republik in der Opposition. Wie auf Reichsebene versank die wirtschaftliberale DVP nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 auch in Preußen in der Bedeutungslosigkeit. Bei den Landtagswahlen am 24. April 1932 kam sie nur noch auf 1,5 % der Stimmen, am 5. März 1933 auf 1,0 %.
Beteiligung an der preußischen Landesregierung 1919-1932:
Kabinett Ministerposten
Braun II
(7. November 1921 bis 18. Februar 1925)
Finanzen (Ernst von Richter, bis 6. Januar 1925), Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Otto Boelitz, bis 6. Januar 1925)
Literatur
FALTER, Jürgen / LINDENBERGER, Thomas / SCHUMANN, Siegfried, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919-1933 (Statistische Arbeitsbücher zur neueren deutschen Geschichte), München 1986, S. 101.
GAUGER, Jörg-Dieter, Boelitz, Otto, in: Geschichte der CDU. Personen, in: www.kas.de (Letzter Zugriff am: 14.01.2014).
GOLOMBEK, Dieter, Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1929) (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 4), Mainz 1979, S. 18.
MÖLLER, Horst, Parlamentarismus in Preußen 1919-1932 (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus 5), Düsseldorf 1985.
MÖLLER, Horst, Preußen von 1918 bis 1947: Weimarer Republik, Preußen und der Nationalsozialismus, in: NEUGEBAUER, Wolfgang (Hg.), Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 3: Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin / New York 2001, S. 149-316, hier 220-223, 312.
RICHTER, Ludwig, Die Deutsche Volkspartei 1918-1933 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 134), Düsseldorf 2002, S. 58 f., 153-176, 234, 249, 359-356.
ROMEYK, Horst, Die Deutsche Volkspartei in Rheinland und Westfalen 1918-1933, in: Rheinische Vierteljahresblätter 39 (1975), S. 189-236.
Empfohlene Zitierweise
Deutsche Volkspartei (DVP) in Preußen, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 4104, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/4104. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 14.01.2013, letzte Änderung am 29.01.2018.
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