Dokument-Nr. 13655
Fournelle, Heinrich an Bertram, Adolf Johannes
Berlin, 24. März 1921

Abschrift
Euere Eminenz
wollen gnädigst gestatten, dass ich nachstehende ehrerbietigste Darlegung und Bitte unterbreite. Ich bitte untertänigst um Nachsicht, wenn meine Ausführugen umfangreich sind. Bei der Bedeutung und Vielgestaltigkeit der Sache ist eine kürzere Fassung unmöglich.
Euerer Eminenz ist bekannt, dass ich als Angehöriger der Diözese Luxemburg und als luxemburgischer Staatsangehöriger im Jahre 1900 nach erfolgter Wahl der statutenmässig hierzu berufenen Präsides-Conferenz des Verbandes der kath. Arbeitervereine Deutschlands, Sitz Berlin, von Seiner Eminenz dem Herrn Kardinal Kopp mit der Leitung dieses Verbandes auch kirchlicherseits betraut wurde. Das Recht zu dieser Anstellung bezw. Bestätigung hatte der Herr Kardinal vom Verbande bei der Beschlussfassung über dessen Satzungen im Jahre 1900 gefordert; der Delegiertentag des Verbandes, die oberste Instanz, hat dieses Recht gewährt. Seine Eminenz hat im Falle meiner Anstellung zum ersten Mal die Statuten und sein Recht der Bestätigung in Anwendung gebracht.
Zu dem Zeitpunkte, als der Verband und der hochwürdigste Herr Kardinal Kopp mich auf diese Stelle beriefen, befand ich mich an der Berliner Universität, um mich auf meinen Beruf als Professor am Grossherzoglichen Athenaeum in Luxemburg vorzubereiten. Ich stand vor der Ablegung meiner Doktorats-Prüfung in Berlin, nachdem ich in Luxemburg bereits den ersten Grad dieses Doktorates, den eines Licentiaten der Philosophie und Philologie erworben hatte.
Rund 20 Jahre, bis zum Ende 1919, blieb ich in der mir anvertrauten Stellung als Leiter des Verbandes der katholischen
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Arbeitervereine Deutschlands, Sitz Berlin; ich hatte das Amt sowohl des Generalsekretärs als des Generalpräses zu verwalten; letzteres seit 1904.
Als nun im Frühjahr 1919 die bekannten gegnerischen Bestrebungen zur Vernichtung der katholischen Gewerkschaften weit stärker als vorher einsetzten, wurden in der Presse, in den Versammlungen, in den öffentlichen und sonstigen Kundgebungen des Zentrums und der christlichen Gewerkschaften andauernd, mit Nachdruck und in grosser Fülle falsche, dem Verbande gefährliche Nachrichten verbreitet. Ohne nachträgliche Richtigstellung wurde z.B. behauptet, es gehe mit den katholischen Gewerkschaften zu Ende; die Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Verbände anerkennten [sic] die katholischen Gewerkschaften nicht mehr als Gewerkschaften; sie wollten nicht mit ihnen länger verhandeln. Unwidersprochen wurde monatelang behauptet, kein deutscher Bischof würde die katholischen Gewerkschaften noch fördern; es wurde die Nachricht verbreitet, keiner der Herren Bischöfe nähme die katholischen Gewerkschaften weiterhin in Schutz; der Nachfolger Pius X. wünsche ihr Ende. Zentrum und christliche Gewerkschaften behaupteten in ihren Blättern öffentlich, die katholischen Gewerkschaften seien im Zusammenbruch, hätten sich bereits aufgelöst und mit den interkonfessionell christlichen Gewerkschaften vereinigt.
Die Wahrheit war anders. Zu keiner Zeit ihres Bestehens wuchs die Zahl der katholischen Gewerkschaften so stark an wie damals. Dann waren es lediglich nur die christlichen Gewerkschaften, welche bei Abschlüssen von Arbeitsverträgen mit den Arbeitgebern die katholischen Gewerkschaftsarbeiter boykottierten. Die Arbeitgeber luden vielmehr nach wie vor die katholischen Gewerkschaften regelmässig zu Tarifverhandlungen ein; nur die christlichen Gewerkschaften bestanden auf dem Ausschluss der katholischen Gewerkschaftler, zwangen die Arbeitgeber unter Androhung des Streikes begonnene Verhandlungen mit den katholischen Gewerkschaften abzubrechen. Der Kernpunkt dieses unerbittlichen Vorgehens ist die Stellungnahme der katholischen Gewerkschaften zur Streikfrage und ihr konfessionell
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katholischer Charakter gewesen. Der Generalsekretär des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften, Herr Minister Stegerwald, hat in jenen Zeiten, genau am 31. Januar 1919, dem Berliner Verbandsvorstand eröffnet: "Wir können Euch zu diesen gemeinsamen Verhandlungen sowie in die Arbeitsgemeinschaft der Gewerkschaften der Arbeiter und Arbeitgeber nicht zulassen wegen zweier Merkmale, die der katholischen Organisation anhaften; diese sind: Ihr katholischer Charakter und Ihre andersgeartete Stellung zum Streik".
Das war die Wahrheit. Eine Verteidigung gegen diese Massenangriffe zu führen, war zunächst aussichtslos, dann aber waren wir darin nicht frei. Die katholischen Gewerkschaften und ich, ihr Leiter, hielten uns jederzeit streng an die Weisungen der päpstlichen Enzyclica: Singulari quadam. Wir antworteten nicht mit einer öffentlichen, übrigens aller Erfahrung und Voraussicht nach nutzlosen Zeitungspolemik. Ueber den Gewerkschaftsstreit eine solche zu führen, war ja allen Katholiken - auch den kath. Führern und Angehörigen der christl. Gewerkschaften und der Zentrumspresse durch die Enzyclica Singulari quadam, wie durch das gemeinsame Schreiben des hochwürdigsten Episkopates von Preussen vom 5. November 1912 verboten. Wir hielten uns an dieses Verbot. Unsere Gegner nicht und schliesslich brachten die zahllosen unwahren Nachrichten den katholischen Gewerkschaften den schwersten Schaden.
Der Verbandsvorstand wie der Unterzeichnete hatten während der ganzen Dauer ihres schwer angefeindeten Daseins gewissenhafteste Unterwerfung unter die Lehren und Weisungen der Kirche, insonderheit der Päpste Leo XIII. uns Pius X. vor aller Welt, vor Freund und Feind, bekundet. Wir beachteten das uns im Gewissen bindende Wort der Kirche, dass auch zur Lösung dieser letzten, der kath. Organisation bereiteten Schwierigkeiten kein anderer als der in der Enzyclica Singulari quadam vom hl. Vater selbst vorgeschriebene Weg gangbar sei.
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Die Enzyclica schrieb vor:
"Sollte unter Katholiken noch irgend eine Schwierigkeit bestehen, so ist zu deren Lösung der gewiesene Weg folgender: Sie sollen sich an ihre Bischöfe um Rat wenden, und diese werden die Sache an den Apostolischen Stuhl berichten, von welchem sie entschieden wird."
Die Verbandsleitung beschloss, den gewiesenen Weg zu gehen. Sie begab sich an die Ausarbeitung eines entsprechenden an die Bischöfe und den Papst zu richtenden Schreibens, das später das Datum vom 24. Mai 1919 erhielt. Euerer Eminenz hat der Verbandsvorstand am 10. Mai 1919 von diesem Vorhaben loyal Bericht erstattet.
Nach wie vor aber betrieben die um dieses Vorhaben des Verbandsvorstandes wissenden Gegner der kath. Gewerkschaften ihren Feldzug, in der Presse des Zentrums und der christl. Gewerkschaften, welche ihnen uneingeschränkt zur Verfügung standen; desgleichen in Versammlungen, in Briefen und Gesprächen; die schon eingangs erwähnten unwahren Behauptungen wurden im vergrösserten Massstab gegen unseren Verband noch weiter verbreitet[.]
Die Gegner durften zu ihrem grossen Vorteil sich dabei der Komplizität einiger Angestellten unseres kath. Verbandes bedienen. Monatelang hatten diese Angestellten ihr Doppelspiel getrieben und die Untreue gegen den Verband und gegen seine verantwortliche Leitung, den Vorstand, geschickt zu verbergen gewusst. Unter den rund 40 Angestellten des Verbandes waren dies die Herren Dr. Fleischer, Kuratus Windolf und die Sekretäre Kossmann, Sagave und Hammelmann. In der Folge wurden sie wegen dieses Verhaltens und aus anderen wichtigen Gründen durch einstimmigen Beschluss des Verbandsvorstandes entlassen.
Anfang des Jahres 1919 wurden - ohne entsprechenden Auftrag und ohne Wissen der Verbandsleitung, und ohne dass er es der Mühe für wert erachtete, die Verbandsleitung pflichtmässig fortlaufend zu orientieren, von Dr. Fleischer gemeinsam mit dem Generalsekretär der christl. Gewerkschaften, Stegerwald, Leitsätze und vertragliche Bindungen verfasst, und vom Ausschuss der christl. Gewerkschaften, sowie von Herrn Minister Stegerwald bereits unterzeichnet: Leitsätze, die
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auf eine Aufhebung der kath. Gewerkschaften und Ueberführung derselben in die christl. Gewerkschaften - entgegen der Enzyclica Singulari quadam - hinausliefen. Zur sofortigen Annahme wurden die von Stegerwald schon unterzeichneten Leitsätze uns eines Tages überraschend vorgelegt. Dr. Fleischer war inzwischen der Vertraute der Gegner unseres Verbandes geworden. Er versuchte, die Verbandsleitung zu einem übereilten Schritt zu drängen. Die heutigen mühsamen Verhandlungen beweisen, dass die damaligen Leitsätze unannehmbar waren. Diese von uns nicht angenommenen Leitsätze zum Zweck der Auflösung der kath. Gewerkschaften wurden von der anderen Seite in die Oeffentlichkeit gebracht und uns gegen uns verwertet.
In seiner Sitzung vom 7. April 1919 konnte unser Verbandsvorstand diese Leitsätze, ihr Zustandekommen und ihren von Dr. Fleischer mitgeteilten Zweck der Auflösung der kath. Gewerkschaften nicht billigen; er äusserte sich scharf dahin: Dr. Fleischer habe keinen dergleichen Auftrag gehabt, er habe zum Schaden des Verbandes und gegen den Willen des Verbandsvorstandes gehandelt. Die Sitzung - am frühen Abend begonnen - dauerte bis nach Mitternacht. Sie verlief sehr stürmisch. Wohlberechtigte scharfe Wendungen, welche gegen das die Verbandsleitung täuschende und überrumpelnde Vorgehen des Herrn Dr. Fleischer fielen, sind, wie wir erfahren haben, nachträglich in entstellter Form und als gegen andere Persönlichkeiten gerichtet, weitergegeben worden. Diese Unwahrheiten haben keine Grundlage in meinen Worten und in meinem Verhalten.
Schlimmer aber wie die mir, dem Verbandsleiter angedichteten bösen Worte waren Handlungen des Dr. Fleischer.
Herr Dr. Fleischer war, ohne uns vorher von so wichtigen Absichten und Unternehmungen etwas mitzuteilen, zu unserem hochwürdigsten Herrn Diözesanbischof, zu Euerer Eminenz, gefahren. Dr. Fleischer führte durch sein Auftreten auch Euere Eminenz irre. Nachträglich erst überzeugten Euere Eminenz sich, dass Dr. Fleischer rein auf eigene Faust, ganz als Privatunternehmer einer weitreichenden
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und hochbedeutsamen "Versöhnung" bei Euerer Eminenz erschienen war. Diese Handlungsweise war eine hinterhältige. Der Verbandsvorstand hat in den langen Jahren, in welchen Herr Dr. Fleischer mit ihm arbeitete, sich stets loyal gegen ihn verhalten. Wenn jemals, so musste in diesem Augenblick und in dieser wichtigsten aller Fragen ruhige Beratung, offene und nicht hinterhältige Zusammenarbeit gewährleistet bleiben. Herr Dr. Fleischer war nicht der objektive und anständige Vermittler; er war ausschliesslich der Agent der anderen, die katholischen Gewerkschaften bekämpfenden Partei geworden. Als solcher war dem Verbandsvorstande und dem Unterzeichneten selbstverständlich der offene, wenn auch rücksichtslose Herr Stegerwald angenehmer als Herr Dr. Fleischer. Der Unterzeichnete hat damals Herrn Dr. Fleischer gegenüber und ins Gesicht den Vorwurf erhoben, er habe auch Herrn Stegerwald durch sein Sichaufspielen und seine Unaufrichtigkeit hinters Licht geführt. Herr Dr. Fleischer handelte im schärfsten Gegensatz zum Verbandsvorstand.
Andererseits aber kam er direkt von Euerer Eminenz, eröffnete uns, dass das Schreiben Euerer Eminenz vom 3. April 1919 gemeinsam mit ihm abgefasst und von Euerer Eminenz nach Beratung mit ihm absichtlich nicht an den zuständigen Verbandsvorsitzenden, den Unterzeichneten, sondern an ein anderes, mit der Führung der Geschäfte nicht betrautes Mitglied des Vorstandes, Herrn Pfarrer Beyer, Lichterfelde, adressiert worden sei. Herr Dr. Fleischer berief sich auf den ausgesprochenen Willen Euerer Eminenz. Er berief sich dem Verbandsvorstand gegenüber als den Boten Euerer Eminenz und als authentischen Interpreten des Briefes vom 3. April 1919.
Dieses alles, Eminenz! versetzte den Verbandsvorstand in eine Zwangslage. Die von ihm in ihrem genau geprüften Wortlaute; Sinn und Zweck nicht gebilligten "Weimarer Leitsätze" konnten, wie die Dinge lagen und weil wir dem im Schreiben vom 3. April 1919 ausgesprochenen und durch Herrn Dr. Fleischer übermittelten und interpretierten strikten Wunsch Euerer Eminenz nicht ausweichen
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wollten, nur als erste Unterlage zu weiteren Besprechungen der verantwortlichen Leitungen beider Seiten dienen, wie das von Herrn Pfarrer Beyer in seinem Schreiben vom 9. April 1919 Euerer Eminenz mitgeteilt wurde mit den Worten: "Dass diese[r] Entwurf, richtig verstanden, als geeignete Unterlage für weitere grundsätzliche und praktische Verhandlungen zu bezeichnen sei."
In derselben Sitzung wurde einstimmig und in Gegenwart von Herrn Dr. Fleischer beschlossen, dass die weiteren Besprechungen und Verhandlungen mit den christl. Gewerkschaften künftig unter völliger Ausschaltung des Herrn Dr. Fleischer nur zwischen der Vorständen der beiden grossen Organisationen geführt werden sollten. Dies wurde Euerer Eminenz ebenfalls am 9. April 1919 mitgeteilt. Auch diese Weimarer Concepte wurden wie alle vertraulichen Fassungen, welche irgendeiner Phase schwieriger, längerer Verhandlungen angehörten, sofort in der Oeffentlichkeit bekannt und mit falschen Commentaren gegen den Verband versehen.
Sie erregten bei den dem Verbande treugeblieben Sekretären, Geistlichen Präsides und Mitgliedern grosse Unruhe. In zahllosen Schreiben an die Verbandszentrale gaben Geistliche und Arbeiter ihrer Empörung gegen den Verbandsvorstand darüber Ausdruck, dass dieser - wie sie irrtümlich annahmen - über ihre Köpfe hinweg die katholischen Gewerkschaften preisgab und unter Missachtung der Enzyclica Singulari quadam auflöse. Tiefe Entrüstung erweckte es, dass irriger Weise geglaubt wurde, der Verbandsvorstand habe die treuen Mitglieder des von Rom und den deutschen Bischöfen so oft bestätigten und belobten kath. Verbandes gerade denjenigen Gewerkschaften zugeführt, von denen sie bis in die letzten Stunden hinein grade um ihres kath. Charakters und um der treuen Befolgung päpstlicher Weisungen hin auf das unwürdigste und feindseligste terrorisiert worden seien. Viele verlangen in nachdrücklicher Form sofortige Aufklärung.
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Mochten die christl. Gewerkschaften und das Zentrum die öffentliche Polemiken im Gewerkschaftsstreit verbietenden Anordnungen der Enzyclica Singulari quadam gänzlich ausser acht lassen, unser katholischer Verband konnte nicht so handeln. Gegenüber der ständig wachsenden, die Herzen und die Geister zermürbenden und die Gewissen beunruhigenden heillosen Hetze mussten Massregeln ergriffen werden. Der Verband katholischer Arbeitervereine war damals in Gefahr und im Begriff, durch die von keiner Seite gehemmten sündhaften Treibereien zugrunde zu gehen.
Zeitungspolemiken waren unmöglich. Gewundene Formulierungen entsprachen nicht der guten Sache und wären auch sofort als gegen den hochwürdigsten Episkopats gerichtet, interpretiert worden. Die Treibereien des Herrn Dr. Fleischer und seiner Freunde mussten auf schnellstem Wege unschädlich gemacht werden. Das war Recht und Pflicht der Verbandsleitung. Diese sass wahrlich nicht aus Ehrgeiz oder Herrschsucht an ihrer Stelle. Die Verbandsleitung beschloss, dass die Geistlichen Präsides und die massgebenden Arbeiterführer gegenüber den täglichen Falschmeldungen aufgeklärt werden müssten.
Durch viele Wochen wurden gegenüber den täglichen Falschmeldungen Richtigstellungen in Zirkularen an ausgewählte Persönlichkeiten versandt. Es war dies, nach allgemeinem Begriff der Verteidigung einer im öffentlichen Leben stehenden fremdes Gut und hohe Grundsätze verwaltenden Leitung weniger, als Vielen notwendig erschien; uns aber waren die Hände gebunden. Ein solches in den vorsichtigsten Ausdrücken gehaltenes Schreiben ist das abschriftlich beigefügte Zirkular der Verbandsleitung vom 24. April 1919.
Als dieses Schreiben auch den obengenannten ungetreuen Angestellten zu Gesicht gekommen und ihr Treiben damit offenkundig geworden, waren sie entrüstet und klagten über "Friedensstörung". Dem abgeordneten Arbeitersekretär Kossmann, welcher aus der Nationalversammlung in Weimar telefonisch dieserhalb mich anredete, antwortete ich für ihn selbst und für Dr. Fleischer sowie dessen Genossen, sowie dessen Genossen,
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auf welche er sich berufen hatte; das Zirkular hätte noch stärker und viel schärfer ihren und der christlichen Gewerkschaften Machinationen gegenüber sein müssen. Sie haben mit all ihrem unehrlichen Friedensgeseire den ganzen Verband in die grösste Unordnung gebracht.
Unter "Frieden" verstanden diese Herren nichts anderes als das Ziel der alten Widersacher, den Umsturz im Verbande. Unter vielem anderen geht das aus einer Korrespondenz des mit Dr. Fleischer damals eng verbundenen, ungetreuen Sekretär Hammelmann (Heiligenstadt) hervor. Hammelmann verbreitete bei den Vereinen und den Sekretären des Verbandes Briefe zu Gunsten Dr. Fleischers und seiner Complicen. Darin heisst es u.a.: "Wir sind an der Arbeit, den Verbandsvorstand von unten herauf zu der Einigung zu zwingen" ... "die Sache soll in Rom zur Entscheidung liegen, was erstens wohl lange dauern wird, ehe eine Antwort erfolgt, und zweitens man diese Antwort noch deuten kann, wie man will, sodass eine Einigung niemals zustande kommt." Diese Einigkeit, wohlgemerkt ist gedacht als die Vernichtung unserer katholischen Gewerkschaften und die Ueberführung der verbleibenden Trümmer in die christlichen Gewerkschaften.
Die erwähnten ungetreuen Angestellten erklärten dem Unterzeichneten und den übrigen Vorstandsmitgliedern mündlich zu unzähligen Malen, dass sie durch Herrn Pfarrer Ulitzka und Dr. Otte und in weiterer Folge auch durch Herrn Erzpriester Ganse Waldenburg mit Euerer Eminenz in Verbindung stünden und nur Hochdero Wünsche aus zuführen hätten. So z.B. wie oben mitgeteilt, Dr. Fleischer in der Vorstandssitzung des Verbandes v. 7. April 1919, der damals noch hinzusetzte, dass Euere Eminenz ihm erklärt hätten, sofern die Vereinigung mit den christlichen Gewerkschaften nicht sofort erfolge - er sprach von einer Bedenkzeit von nur wenigen Tagen - würden Euere Eminenz alsdann keinerlei Rücksicht auf den Vorstand mehr nehmen und den Verband einfach auflösen. Euere Eminenz haben zu unserem Troste durch Schreiben vom 28. April und vom 19. Mai 1919 diese Behauptung Fleischers als
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"voll und ganz unwahr" von sich gewiesen.
Ich darf in aller Bescheidenheit mein tiefes Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass Euere Eminenz in diesem schwerwiegendsten Augenblick, wie in dem durch Jahre hingesponnenen Angriffen gegen den katholischen Verband mich, den ersten verantwortlichen Leiter desselben, nach 19-jähriger Arbeit auf dem Vertrauensposten der Verbandsleitung in keinerlei Weise zur Berichterstattung befohlen oder durch Schreiben befragt haben.
Dem Zirkular vom 24. April 1919 mussten bald noch andere folgen. Wie jedermann sofort erkennen kann, dienten sie lediglich zur Aufklärung und zur Abwehr der obenbezeichneten uns auf das schwerste bedrückenden Machenschaften, welche Dr. Fleischer und Genossen gegen den Verband betrieben.
Um unsere Notwehr uns vollends zu erschweren, wurde immer wieder von der gleichen Gruppe wie ich und manche berechtigter Weise glauben, auch Euerer Eminenz gegenüber behauptet, einzelne Wendungen dieses Zirkulars, die sich gegen die Lügen der Angreifenden richten, wären in respektlosester Weise auf die Person Euerer Eminenz gemünzt gewesen. Leider habe ich diese Verleumdungen zu spät erfahren. Ich kann Euerer Eminenz die Versicherung geben, dass weder von dem Unterzeichneten noch von einem anderen Mitglied der Verbandsleitung - und wohl alle waren an der Redaktion dieser wichtigen Zirkulare beteiligt - ein solcher Hintergedanke gefasst oder ins Werk gesetzt worden ist.
Die Wahrheit in dieser Sache hat das Vorstandsmitglied Herr Paul Richter auf die gegenteilige Aeusserung Euerer Eminenz hin klar zum Ausdruck gebracht. Es war dies in der ihm in Berlin am 22. Oktober 1919 gewährten Audienz, in der über mich die Rede ging. Gleich nach seiner Rückkehr von Euerer Eminenz übergab Herr Richter mir sein wörtliches Diktat der Unterredung. Auf Erfordern werde ich dasselbe Euerer Eminenz alsbald zur Verfügung stellen. Den gleichen Standpunkt, die Rechtfertigung der mich verdächtigenden
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Hinterbringung, vertrat Euerer Eminenz gegenüber der damalige stellvertretende Verbandsvorsitzende Herr Pfarrer Beyer, Lichterfelde. Dies erfolgte in einer einige Wochen später ihm in Breslau gewährten Audienz.
Euerer Eminenz war damit von glaubwürdiger und berufener Stelle bekannt gegeben, dass das Zirkular von 24. April und etwaige andere Zirkulare, die unter unzutreffender Voraussetzung Anstoss erregt haben konnten, nur gegen die ungetreuen Verbandsangestellten in Weimar und deren Verleumdungen und in der Presse gedacht und gerichtet war, nicht aber gegen die Person des Herrn Diözesan-Bischofs. Es ist mir zu meinem grossen Leidwesen bis in den heurigen Monat März hinein wiederholt mitgeteilt worden, Euere Eminenz hätten auf das beigelegte Zirkularschreiben von 24. April 1919 hin immer wieder gelegentlich erklärt, ich hätte Euere Eminenz gegenüber "keine gradlinige Politik" getrieben. Hochdieselben wollten mit dem Verbandsvorstand deshalb solange nicht mehr in Verbindung sein und ihm kein Vertrauen mehr schenken, als wie ich an der Spitze des Verbandes stünde.
Diese für mich überaus schwerwiegenden Mitteilungen zwangen mich am 28. November 1919 in einer Vorstandssitzung mein Amt als Leiter des Verbandes, das ich rund 20 Jahre bekleidet hatte, niederzulegen. Der gesamte Vorstand, auch die Präsides-Conferenz des Verbandes, der gesamte Verband hatten die Stellungnahme Euerer Eminenz mir und dem Verbande gegenüber in gleicher Weise verstanden. Sie hatten daraus gefolgert, dass ich so handeln müsse. Seither habe ich nichts in Erfahrung gebracht, was meine damalige Auffassung widerlegt hätte. Auch sämtliche Persönlichkeiten des Verbandsvorstandes, die Präsides und die um die Sache wissenden katholischen Arbeiter stehen bis heute auf dem gleichen Standpunkt, Euere Eminenz hätten auf Grund einer strengen, aber irrigen Beurteilung meiner Stellung und Handlungsweise jene Aeusserungen getan mit der Absicht, meinen Rücktritt zu veranlassen. Ich darf der Wahrheit gemäss aussprechen, dass ich auch unter dem Herrn Cardinal Kopp
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auch nicht eine Stunde im Amte hätte bleiben können, wenn der zuständige hochwürdisgte Herr Diözesanbischof dieses Urteil über mich jemals gefällt hätte.
Euere Eminenz ermessen selbst am besten, welch tiefen Eindruck diese Stellungnahme auf mich, den Leiter des Verbandes, machen musste, auch deshalb, weil in mein materielles Verhältnis dem Verbande gegenüber dadurch entscheidend eingegriffen wurde. Das Verbandsstatut sagte im § 12: "Der Generalsekretär, welcher stets ein Geistlicher ist, wird von der Präsides-Conferenz auf 5 Jahre gewählt und von den Bischöfen bestätigt. Er ist nach Ablauf seiner Amtsdauer wieder wählbar und hat seinen Sitz in Berlin. Das Gehalt desselben wird vom Verbande gewährleistet und von der Präsides-Conferenz festgesetzt. Er hat den Verbandspräses in allen Hinderungsfällen zu vertreten und in allen Funktionen zu unterstützen..." Der vorhergehende § 11 handelt über den Verbandspräses, dessen Amt der Unterzeichnete seit dem Rücktritt des früheren Verbandspräses Prälat Dr. Neubert statutenmässig zu übernehmen hatte. Die alleinige Auslegung dieser beiden Paragraphen ist mir aus der Entstehung des Statutes, aus mündlichen und schriftlichen Aeusserungen des Herrn Cardinal Kopp bekannt. Cardinal Kopp wollte und musste den entscheidenden Einfluss beanspruchen. Als Zeuge aufgerufen, müsste ich dies jederzeit bekunden. Und es kann auch nicht anders sein. Somit war mit der Stellungnahme Euerer Eminenz mein Verbleiben unmöglich geworden.
Da die Angelegenheit für mich hochbedeutsam ist, so bitte ich ehrerbietigst, dass Hochdieselben sich selbst nochmals eingehend von der völligen Unbegründetheit des mich schwer kränkenden und schädigenden Urteils überzeugen wollen und mir dadurch mein gutes Recht gnädigst zukommen lassen und die Ueberzeugung mir verschaffen wollen, dass Hochdieselben diese Ansicht gütigst in Gnaden aufgeben und nicht mehr wiederholen.
Für die Wahreit dieser meiner Darstellung werden Euerer
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Eminenz gegenüber meine ehemaligen Mitarbeiter sich sämtlich verbürgen und dafür eintreten. Es sind dies: Herr Pfarrer Beyer, Gross-Lichterfelde, Herr Pfarrer Baron, Berlin, Rüdesdorferstr. 45, Herr Kuratus Nafe, Berlin-Lankwitz, die Herren Arbeitersekretäre Richter und Götz, beide Berlin, Kaiserstrasse 37.
Diese Herren werden Euerer Eminenz auf Anfragen auch noch bezeugen, dass in einer Vorstandssitzung des Verbandes Anfangs 1919, als es uns allen klar wurde, dass die langjährigen Gegner der katholischen Gewerkschaften nunmehr diesem den Lebensfaden abschneiden wollten, der Unterzeichnete als Vorsitzender des Vorstandes und Generalsekretär auf die überaus peinliche besondere Lage des Verbandes, und auch auf die strengen Weisungen der Enzyclica Singulari quadam mit ungefähr den Worten hinwies:
"Die Gefahr ist gross für die katholischen Gewerkschaften; in unseren Händen befindet sich deren Verteidigung. Die alten Gegner des Verbandes sind wieder am Werk. Unser eigener Angestellter Dr. Fleischer, der leider jetzt in Weimar ist, und sich seit kurzem in Gegensatz zum Verbandsvorstand stellte, hat mit seinen Complicen in der Oeffentlichkeit die Meinung erweckt, dass er für Einigung und Frieden eintrete, der Verbandsvorstand aber diesem Frieden widerstehe. Dabei wird auf einzelne Mitglieder des Verbandsvorstandes besonders hingewiesen; so auf mich und Herrn Richter. Bei dem Friedenswillen der alle und auch uns beherrscht, ist das eine gefährliche Situation; grade wir, die so elend Verfolgten, haben die grösste Sehnsucht nach Frieden; doch können wir denselben nicht erkaufen gegen Preisgabe der kirchlichen Grundsätze im sozialen und gewerkschaftlichen Wirken, die nicht von uns stammen, sondern von der Kirche gegeben sind, besonders in der Enc. Singulari quadam, die unser Programm und unsere Organisation in der lebhaftesten Weise gebilligt und befohlen hat. Nun aber hat seitens der christlichen Gewerkschaften unter dem von Fleischer und Consorten genommenen Deckmantel ein gewerkschaft-
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licher Boykott und Terror gegen die katholischen Gewerkschaften besonders im Waldenburger und Reichenbacher Lande und in Oberschlesien eingesetzt, wie nie zuvor. Es ist zum Erbarmen. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften erklären, dass nicht sie diesen Terror wollten, aber nur die christlichen. Das gleiche erklären uns die Arbeitgeber. Geben wir uns in dieser gefährlichen Stunde gegenseitig das Wort, dass wir bei der pflichtmässigen Verteidigung unserer katholischen Sache nichts unternehmen, auch nicht ein Tipfelchen auf dem i, das nicht den kirchlichen Weisungen besonders denen der Enzyclica Singulari quadam oder auch nur der Klugheit widerspräche. An dem kleinsten Missgriff, den einer von uns sich jetzt zuschulden kommen liesse, würden wir und die katholischen Gewerkschaften aufgehängt werden."
Das wurde auch selbstverständlich von all den Genannten zugesagt.
Sollten Euerer Eminenz in Sachen des Zirkularschreibens vom 24./4.19. andere Berichte Aussenstehender zugegangen sein, so bitte ich gehorsamst um entsprechende gnädige Mitteilung, damit ich, wenn auch spät, Gelegenheit erhalte, mich dazu zu äussern und nicht unter einem unwahren, mich schwer kränkenden und schädigenden Vorwurf Euerer Eminenz noch länger zu leiden habe.
Dafür, dass ich treu und aufopferungsvoll meinen durch die Statuten, den hl. Vater und die Bischöfe mir umschriebenen Amtspflichten während rund 20-jähriger Amtstätigkeit erfüllt habe, stehen mir zahlreiche Zeugnisse seitens dieser 3 massgebenden Instanzen zur Verfügung.
Ich vertraue auf die Wahrheit, die Gerechtigkeit sowie die oberhirtliche Liebe Euerer Eminenz.
In tiefster Ehrerbietung Euerer Eminenz gehorsamster
gez. Lic. H. Fournelle.
Dieses Schreiben ist eine Anlage zu Dokument Nr. 13017.
Empfohlene Zitierweise
Fournelle, Heinrich an Bertram, Adolf Johannes vom 24. März 1921, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 13655, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/13655. Letzter Zugriff am: 20.04.2024.
Online seit 23.07.2014, letzte Änderung am 24.06.2016.