Dokument-Nr. 13017
Fournelle, Heinrich an Pacelli, Eugenio
Bad Wörishofen, 16. September 1923

Euere Exzellenz
erlaube ich mir in meiner hoffentlich nun bald zum Abschluss gelangenden, für mich sehr wichtigen Angelegenheit an Hochdieselben mich zu wenden.
Wie Euere Exzellenz wissen, bin ich während 20 Jahren (1900 bis 1919) der Vorsitzende des Verbandes der katholischen Arbeitervereine Deutschlands (Sitz Berlin) gewesen. Mein Amt war ein doppeltes: ein wirtschaftliches, Ausbreitung des Verbandes und Verwaltung von dessen Wohlfahrtseinrichtungen, und ein kirchliches. Für letzteres wurde ich von den einzelnen Bischöfen alle 5 Jahre durch spezielle Dekrete ernannt. Auch trugen die Bischöfe zu meinem Gehalt bei. Ich stand mit dem Kardinal Kopp als Vorsitzenden der Fuldaer Konferenz in Verbindung und erhielt auch von ihm meine beständigen Weisungen. Als 1913 Kardinal Kopp starb, ward der damalige Hildesheimer Bischof Bertram sein Nachfolger. Dieser wurde von den Führern des Zentrums längst als ihr Vertrauensmann bezeichnet, die auch erklärten, sie hätten bei der preussischen Regierung seine Beförderung nach Breslau durchgesetzt, weil sie in ihm den Mann erkannten, der im Gewerkschaftskampfe Berlin-Köln auf ihrer Seite stände. Bischof Bertram sagte, er wolle für Einigkeit unter den Katholiken Deutschlands eintreten. Dabei hatte er sich dem Berliner Verbande, den er gemäss Vorschrift der Enzyklika 'Singulari quadam' mit aller Kraft hätte fördern müssen, feindselig gezeigt. Meinem Freunde dem stellvertretenden Propst von Berlin, Alesch, hat er noch einige Tage vor der Fuldaer Konferenz 1919 gesagt: Ich gehe jetzt nach Fulda, um Schluss zu machen mit den Berliner katho-
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lischen Gewerkschaften."
Im Kampfe Köln-Berlin handelte es sich nur um die Weisungen Papst Pius X. in der Arbeiterfrage. Papst Pius verlangte die strikte Anwendung der katholischen Grundsätze. Er hat nie dem von Kölner Seite verlangten interkonfessionellen System das Wort geredet. Ich galt in diesem Kampfe als der Führer und war den Kölnern ein Hindernis.
Ein Abgesandter des Bischofs Bertam, Dr. Fleischer, suchte mich zu überreden und auf die andere Seite zu bringen. Er sagte: 'Sie können dann einer der grössten Männer Deutschlands werden, wenn Sie damit die Störung im katholischen Deutschlands aufheben.' Ich antwortete ihm: 'Sehen Sie diese Hände, die die katholischen Gewerkschaften aufgebaut haben auf Geheiss des Papstes und unter dem Segen der Bischöfe; die werden dieselben Gewerkschaften nicht zerstören, die Papst Pius so oft gelobt ermuntert hat!' Er sagte mir: 'Das Festhalten an den katholischen Grundsätzen in der Gewerkschaftsfrage ist in den Augen des Bischofs eine Störung der Einigkeit unter den Katholiken Deutschlands.'
Am 22. Oktober 1919 kam der Bischof nach Berlin, St. Clemens. Er erklärte daselbst dem Mitglied meines Verbandsvorstandes Herrn Richter: 'Ich muss Ihnen das sagen, mein Vertrauen zum Vorstand des Berliner Verbandes ist vollständig erschüttert; wenn ich vom Vorstande spreche, dann meine ich denjenigen, der den Vorstand vertritt und das ist Fournelle. Zu dem Manne kann ich keine Beziehungen unterhalten und ich werde keine Korrespondenz mit ihm führen.'
Dadurch war mein Weg mir gewiesen: ich legte mein Amt nieder, ich konnte und wollte nicht länger ein kirchliches Amt verwalten, das mir einst von der Kirche übertragen war, und das ich auch nur führen konnte, wenn ich das volle Vertrauen des Bischofs genoss. Ich hatte dasselbe 20 Jahre lang in der getreuesten und gewissenhaftesten Weise unter den grössten Opfern und Leiden geführt und dabei auch meine Gesundheit preisgegeben, sodass ich jetzt ein schwerkranker Mann bin.
Gross war die Enttäuschung und Erbitterung der Arbeiter
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als sie davon hörten. Protestversammlungen fanden statt, Flugblätter wurden verteilt, deren Urheber ich gar nicht kenne. Beiliegend eine Abschrift von einem derselben unter der Ueberschrift 'Betrogene Arbeiter' (Beilage I). 2 Auch bei den Geistlichen war dieselbe gereizte Stimmung, wie z.B. der beiliegende Brief des Pfarrers Dominik aus Eisenberg beweist (Beilage II).3
Meinem ersten Vorgesetzten in Berlin, dem Fürstbischöflichen Delegaten Dr. Kleineidam habe ich von diesem Stande der Dinge Kenntnis gegeben.4 Seine Antwort vom 21. Okt. 1919 lege ich bei (Beilage III). Ich sah, dass eine grosse Schädigung der Autorität des Bischofs drohte und damit auch der päpstlichen Autorität. Aber um das zu verhindern, hielt ich es für gut zu schweigen. Ich trat zurück. Durch mein Schweigen aber musste ich selbst vielen persönlichen Schaden tragen. Die traurige Episode der Vernichtung der katholischen Gewerkschaften durch den Bischof von Breslau gehört der Geschichte an. Ich stelle dies nur dar im Interesse der historischen Wahrheit.
Es ist ein grosses Unrecht begangen worden an der katholischen Arbeiterschaft einerseits und auch an mir persönlich, andererseits. Ich habe in der Zwischenzeit unaufhörlich durch Briefe an den Bischof gebeten, das an mir begangene Unrecht in einer dem Bischof geeignet erscheinenden Weise wieder gut zu machen (Beilage IIIa und IIIb)5; das Unrecht an der katholischen Arbeiterschaft lässt sich ja nicht wieder nachträglich gutmachen. Darüber zu befinden hat ja nur der Heilige Vater selbst. Der Bischof von Breslau hat diese Rechtfertigung für mich bis heute persönlich unterlassen, wohl glaubend, dass seine Handlungsweise von höherer Seite nicht gemissbilligt werde. Ich habe mir aber erlaubt, ihm demgegenüber zu schreiben: 'Ich weiss, dass innerhalb der katholischen Kirche es nicht zugelassen wird, dass gegen einen Priester, der wegen seiner kirchlichen Treue und wegen seiner in dieser Hinsicht getätigten Arbeits- und Opferwilligkeit vom Papst Pius X. und von einer Reihe von deutschen Bischöfen öffentlich gelobt und
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ständig ermuntert wurde, nicht so gehandelt werden darf, wie es mir gegenüber bis heute durch Euere Eminenz geschehen ist.
Ein zweites Unrecht, das mit dem vorher geschilderten zusammenhängt, ist materieller Natur. Ich gehöre der Diözese Luxemburg an. Bei meiner Anstellung im Jahre 1900, wo ich auf der Berliner Universität war, wurde zwischen mir und dem Verbande vereinbart, dass mir, der ich die materiellen Rechte der Heimatdiözese aufgeben musste, zu meinem Gehaltsanspruch auch der übliche Pensionsanspruch gewährt werde. Kardinal Kopp und auch sein Nachfolger Kardinal Bertram beteiligten sich vertragsgemäss an der Gehaltszahlung mit einer Summe von jährlich 2.000 mk. Als nun im Jahre 1919 Kardinal Bertram, der weder mich, dem in erster Linie allein Verantwortlichen, noch den Vorstand des Verbandes irgendwie vorher gefragt oder benachrichtigt hatte, den Fall meiner Amtsniederlegung erzwungen hatte, hatte er zugleich auch den Fall meiner Pensionierung mit erzwungen.
Der Vorstand selbst war unschuldig an diesen Tatsachen und bedauert sie noch heute. Er war der Meinung, der Bischof von Breslau müsste nunmehr auch eintreten für meine Pensionierung. Er hat auch keine Mittel mehr dazu, weil nach dem Eingreifen des Bischofs von Breslau die katholischen Gewerkschaften gänzlich untergingen mit ihren Kassen. Um meine Rechte wenigstens feststellen zu lassen, musste ich den Verband vor Gericht verklagen. Der Kardinal untersagte mir aber auch, was mir vor Gericht angeraten war - ihn dieserhalb vor Gericht zu laden unter Berufung auf das kanonische Recht, welches verbietet, einen Bischof, oder Kardinal vor ein weltliches Gericht zu laden.
Das Gericht in Berlin (21. Zivilkammer des Landgerichtes I) hat am 1. Juli 1922 ein Urteil gefällt gegen den Verband, von dem ich eine Abschrift beilege (Beilage IV)6. Der Verband, der kein Geld hat und nicht einmal die Prozesskosten bezahlen kann, legte darum Revision ein beim Kammergericht
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in der Hoffnung, dass in der Zwischenzeit diese meine Ansprüche an den Kardinal von Breslau geordnet seien und er selbst nicht mehr in Frage käme.
Meine materiellen Ansprüche an den Breslauer Bischof, die dieser mir untersagt hatte, vor Gericht geltend zu machen, sind kurz gefasst folgende:
Nachdem ich durch die Güte des Bischofs Dr. Nommesch von Luxemburg vor weniger als einem Jahre wieder in die Diözese Luxemburg zurückkehrte, musste ich behandelt werden wie ein neu geweihter Priester in Gehalt und Pension. Diese sind nämlich staatlich geordnet und unterliegen nicht dem Wohlwollen des Bischofs oder der Beurteilung der Verdienste des Betreffenden. Es können nur die durch das Gesetz vorgesehenen Gehalts- und Pensionssätze auf mich angewendet werden. Deshalb fehlen bei mir
1. Die jährlichen Zulagen zum Gehalt in Höhe von 1.300 Luxemburger Frank;
2. ich habe keine Pensionsberechtigung im Lande und erwarte deshalb, dass mir der Bischof von Breslau die Zusicherung gebe, dass ich für die Zeit, die ich noch lebe – ich bin 54 Jahre alt – im Falle der Invalidität eine Pension von ihm erhalte in der Höhe der mir in Luxemburg entgehenden Pension als Priester rund 5.000 frs. Ich habe ihm das auch mitgeteilt. Er hat aber darauf vollständig geschwiegen. (Anlage V.)7
Das Berufungsgericht in Berlin, das auch Kenntnis hat von meinem Schreiben an den Bischof, rechnet auch damit, dass meine vorgenannte Forderung an den Bischof genehmigt wird und möchte auch solange seinen Spruch aussetzen, bis das geschehen ist, und die Stellung des Bischofs abwarten. (Spruchtermin i.X).
Angeklagt ist ja von mir der Verbandsvorstand, der unschuldig an dem ganzen Werk ist und der auch kein Geld hat. Aber der Bischof wollte ja nicht vor Gericht treten und deshalb hat das Gericht auch nicht darüber zu urteilen. Auch das geistliche Gericht in der Diözese Breslau hatte ich in der Sache 1920
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angerufen, aber erfolglos. Ein anderes Gericht über das Diözesangericht gibt es nicht für den Bischof von Breslau.
Da ich nun keinen anderen Ausweg weiss, so appelliere ich an die letzte Instanz, die einem katholischen Priester noch übrig bleibt, an den Hl. Vater.
Euere Exzellenz sind als der apostolische Nuntius für Bayern und Deutschland der Stellvertreter des Hl. Vaters. Indem ich also diese Bitte an Euere Exzellenz richte, knie ich in aller Demut und Untertänigkeit vor den Heiligen Vater selbst und trage ihm diese Auseinandersetzung und diese meine Bitte vor. Ich habe die zwanzig schönsten Jahre meines Priesterlebens dem besonderen Dienste der Kirche geopfert, indem ich bei den katholischen Arbeitern die katholischen Grundsätze im Wirtschafts- und Arbeiterleben vertreten habe nach den Anweisungen und unter dem Segen der Bischöfe Preussens. Ich bedauere keine Stunde dieses meines Lebens. Habe ich doch dadurch den Willen des Heiligen Vaters erfüllt und das geistige und zeitige Wohl unzähliger Arbeiter dadurch gefördert. Ich habe diese 20 Jahre hindurch gegenüber den opportunistisch gesinnten Teilen der Katholiken Preussens gearbeitet und gelitten bis zur Untergrabung meiner Gesundheit.
Ich bin von der Gerechtigkeit dieser meiner Bitte und von der väterlichen Liebe Euerer Exzellenz durchdrungen und erwarte mit demütig-gehorsamen Herzen die Verbescheidung.
In kindlicher Demut
Euerer Exzellenz
untertänigster Diener
Lic. Heinrich Fournelle
Pfarrer von Olingen,
Luxemburg.
3v, unterhalb des Brieftextes hds. von Fournelle vermerkt: "P.S. Euere Excellenz sehen, daß ich wegen meiner schweren Krankheit nicht selbst schreiben konnte. Herr Strafanstaltspfarrer Kosmeier aus Nürnberg hat dieses für mich getan. Fournelle".
Dieses Dokument hat mehrere Anlagen: Dokument Nr. 13651, Nr. 13652, Nr. 13653, Nr. 13654, Nr. 13655, Nr. 13656, Nr. 13657 und Nr. 13568.
1Seitenzählung von den Editoren eingefügt.
2An dieser Stelle hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, vermerkt: "Beilage I.".
3An dieser Stelle hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, vermerkt: "Beilage II.".
4An dieser Stelle hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, vermerkt: "Beilage III.".
5An dieser Stelle hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, vermerkt: "Beilage III.a u. b.".
6An dieser Stelle hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, vermerkt: "Beilage IV.".
7An dieser Stelle hds. am linken Seitenrand von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser, vermerkt: "Beilage V.".
Empfohlene Zitierweise
Fournelle, Heinrich an Pacelli, Eugenio vom 16. September 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 13017, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/13017. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 23.07.2014, letzte Änderung am 10.09.2018.