Dokument-Nr. 13658
Fournelle, Heinrich an Bertram, Adolf Johannes
Olingen, 17. März 1923

Abschrift
Ew. Eminenz wollen gnädigst mir gestatten, an die endgültige Ordnung meiner Ansprüche, die mir als dem langjährigen Generalsekretär und Leiter des Verbandes der katholischen Arbeitervereine Deutschlands (Sitz Berlin) zustehen ehrerbietigst zu erinnern.
Ew. Eminenz ist der Stand meiner Angelegenheit wohl bekannt; zuletzt ist derselbe noch in meinen Schreiben vom 24. März 1921, vom 29. September 1921, vom. 4. Oktober 1921, vom 11. Oktober 1921, vom 21. Oktober 1921 dargelegt. Der Empfang dieser meiner Schreiben ist mir auch dortseits bestätigt worden durch die Antworten vom 29. März 1921, vom 4. Oktober 1921, vom 7. Oktober 1921, vom 25. Oktober 1921.
Es handelt sich, kurz wiederholt, um die Wiedergutmachung eines durch Ew. Eminenz mir angetanen Unrechtes und um die Gewährung einer vertraglich mit mir im Jahre 1915 festgelegten Pension für den Fall meines Ausscheidens aus meinem Amte. Ew. Eminenz hatten, wie das Recht, die Wahl des Generalsekretärs kirchlich zu bestätigen, so auch das Recht dessen Amtsniederlegung zu verlangen. Ihr hochseliger Vorgänger, Herr Kardinal Kopp, hatte im Jahre 1900 für den Bischof von Breslau dieses Recht vom Verbande verlangt; dasselbe wurde ihm auch bereitwilligst vom Verbandstag der Arbeitervereine statutenmässig gewährt.
Von diesem Recht hat der Bischof von Breslau auch bei meiner jedesmaligen Wiederwahl, alle 5 Jahre Gebrauch gemacht. Auch Ew. Eminenz haben dies noch im Jahre 1915 anstandslos getan;
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besonders haben Ew. Eminenz vor der erzwungenen Auflösung der katholischen Gewerkschaften von diesem Rechte Gebrauch gemacht, als am 22. Oktober 1919 Sie dem Vorstand des Verbandes erklären liessen, dass Sie den Verband selbst solange kirchlicherseits boykottieren würden als ich an der Spitze desselben stände, d.h., dass Sie die Amtsniederlegung des Generalsekretärs und Leiters des Verbandes verlangten. Dieser Ihr Wunsch und Befehl stand entgegen dem Willen und der Auffassung aller massgebenden Verbandsinstanzen, die noch am 17. Dezember 1919 nach Kenntnisnahme aller Vorgänge, in der Bezirkspraesideskonferenz des ganzen Verbandes beschlossen, eine "kirchliche Ehrung" für mich in Rom zu beantragen. Ew. Eminenz hatten weder vor noch nach Ihren Massnahmen weder mit mir noch dem Verbandsvorstand, noch der Praesideskonferenz sich irgendwie in Verbindung gesetzt. Durch dieses hohe autoritative Eingreifen haben Ew. Eminenz meinen Pensionsfall geschaffen.
In Anbetracht dessen, dass es sich in meinen Ansprüchen um eine Angelegenheit zwischen Priestern handelte, hatte ich gemäss den Bestimmungen des Kanonischen1 Rechtes Ew. Eminenz gehorsamst gebeten, meine Angelegenheit entweder durch das zuständige kirchliche Gericht in der Diöcese Breslau oder durch direktes Eingreifen selbst ordnen zu wollen.
Ew. Eminenz haben leider abgelehnt, einen dieser beiden von mir erbetenen Wege zu beschreiten; Sie haben mich vielmehr an das weltliche Gericht in Berlin verwiesen, bezw. diesen Weg zu gehen mir überlassen, und zu diesem Zweck mir durch hohes Schreiben vom 7. Oktober 1921 erlaubt, diese Klage vor dem weltlichen Gericht gegen Geistliche zu erheben auch dann und insoweit als es "sich um Minoristen, Subdiakone, Diakone oder Priester handelt, die Ihrer Jurisdiktion unterstehen."
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Als im Verlauf der Prozessverhandlungen mein Rechtsanwalt verlangte, dass das Gericht auch dem mitbeteiligten Bischof, der durch sein autoritatives und massgebendes Eingreifen meine Amtsniederlegung und meinen Pensionsfall veranlasst hatte, "den Streit verkünde" habe ich das Ew. Eminenz mitgeteilt. Ew. Eminenz haben mir diese "gerichtliche Streitverkündigung" unter Berufung auf das Jus canonicum untersagt.
Ich schrieb darauf an den Verbandsvorstand das in der Anlage 1 Dargelegte 2, in dem ich nochmals auf die mir gegenüber verletzten Rechts- und Gewissenspflichten hinwies. Eine Antwort erhielt ich weder von Seiten des Verbandes, noch von Ew. Eminenz. Der Prozess musste nun vor dem weltlichen Gericht seinen weiteren Verlauf nehmen.
Während dieses gerichtlichen Verhandlungen, in denen die Richter unaufhörlich nach einem Vergleich Ausschau hielten, wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass angesichts des autoritativen Eingreifens Ew. Eminenz der direkteste Weg doch der sei, dass sich der angeklagte Verbandsvorstand mit dem Herrn Bischof von Breslau in Verbindung setze zwecks direkter Verständigung, dann sei der ganze Prozess doch überflüssig. Die drei Laien-Vorstandsmitglieder, drei Arbeiter, waren hiermit ganz einverstanden; die drei geistlichen Vorstandsmitglieder, die Diöcesangeistliche des Bischofs von Breslau sind, aber hatten Bedenken dagegen und zwar wie mir der auch jetzt noch amtierende Vorsitzende des Vorstandes, Pfarrer Nafe, erklärte wegen Ihres (Subordinations-) Verhältnisses zu ihrem Bischof, dessen gegnerische Haltung zum katholischen Verband und dessen Vorliebe für die interkonfessionell-christlichen Gewerkschaften doch hinreichend bekannt sein. Ähnliches erklärte auch das ehemalige Vorstandsmitglied,
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Pfarrer Beyer, als er in demselben Prozess am 11. Mai 1922 als Zeuge vernommen wurde: Diesen Weg an den Bischof können wir Geistliche nicht gehen; das muss der Generalsekretär Fournelle selbst tun.
Der Abschluss des Prozesses erfolgte durch das gerichtliche Urteil, das am 12. Juli 1922 von der 21. Zivilkammer des Landgerichtes I zu Berlin verkündet wurde. Ich erlaube mir beifolgende Abschrift3 desselben Ew. Eminenz zur gnädigen Kenntnisnahme zu übersenden.
Der Verband gibt nun an, dass er finanziell ausser Stande sei, die aus diesem Gerichtsurteil sich ergebenden Consequenzen mir gegenüber zu tragen. Diese Behauptung des Verbandsvorstandes erscheint mir völlig richtig zu sein, denn zugleich mit meiner erzwungenen Amtsniederlegung musste der Verband auch die katholischen Gewerkschaften auflösen. Weder die Geistlichen Praesides noch die Arbeiter selbst waren mit dieser Auflösung einverstanden. Sie haben es nur, wie das auch offiziell ausgesprochen wurde, im Gehorsam gegenüber der bischöflichen Autorität getan. Seither hat der katholische Verband, dem, wie das in den Abschiedsworten des Unterzeichneten ausgedrückt ist, sein ursprünglicher Zweck und Charakter als einer katholischen Berufsorganisation genommen war, jede Bedeutung verloren. Er hat wie seine Anziehungskraft, so auch seine Mitgliederzahl zum grössten Teil verloren; zur Zeit kann er fast nur noch von Almosen sein Dasein als katholischer Verband, und nur höchst notdürftig einstweilen fristen.
Deshalb auch hat der Verband, da er ja seine Verpflichtungen mir gegenüber nicht erfüllen kann, einstweilen Berufung gegen das Urteil vor dem Kammergericht in Berlin eingelegt. Zugleich hat er auch an meinen Ordinarius, den Herrn Bischof von Luxemburg geschrieben, er möge, unter den obwaltenden Umständen, auf mich dahin einwirken, dass ich den ganzen Prozess niederschlage.
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Ich habe meinem hochwürdigsten Herrn Bischof geantwortet, dass ich zu dem allergrössten Entgegenkommen und Opfer besonders in finanzieller Hinsicht dem Verbande gegenüber bereit sei; aber der historischen Wahrheit zu Liebe könne ich nicht selbst die Akten schliessen in Sachen des erzwungenen tragischen Endes der von mir geleiteten katholischen Gewerkschaften, sowie meiner von Ew. Eminenz erzwungenen Amtsniederlegung und daraus folgenden materiellen Schädigungen.
Auch dem Vorstand des Verbandes habe ich mündlich erklärt, dass ich gerne bereit sei, die ganze Prozessangelegenheit nach ihrer finanziellen Seite hin möglichst bald und vollständig aus der Welt zu schaffen; zu diesem Behufe willigte ich auch ein in die Verschiebung des bereits für den 18. Januar 1923 vom Kammergericht in Berlin angesetzten Berufungstermines. Ich schrieb dann auch noch an ihn, ich würde noch einmal den Weg zu Ew. Eminenz, eventuell auch noch weiter nehmen, damit das mir zugefügte Unrecht und die daraus sich ergebenden Schädigungen einigermassen wieder gut gemacht würden.
Durch dieses mein heutiges Schreiben bitte ich denn Ew. Eminenz mir gnädigst mitteilen zu wollen, ob und in welcher Weise Sie das mir angetane Unrecht wieder gut machen wollen.
Dieses Unrecht ist ein doppeltes:
Mein Lebenswert, zu dem ich als Generalsekretär und Leiter des Verbandes der katholischen Arbeiter-Vereine Deutschlands (Sitz Berlin) von den deutschen Bischöfen bezw. durch deren bekanntes Fuldaer Pastorale vom 22. August 1900 aufgerufen worden war, das besonders Ihr hochseliger Vorgänger, der Herr Cardinal Kopp, unaufhörlich und eindringlich in Worten und Briefen von mir ver-
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langte, das der hochselige Papst Pius X. in mehreren hochbedeutsamen Kundgebungen öffentlicher Natur und in Privataudienzen besonders von mir verlangte: Die Bildung und die Stärkung der katholischen Gewerkschaften wurde endgültig durch das Eingreifen Ew. Eminenz vernichtet, ohne mir, dem an erster Stelle direkt Verantwortlichen, auch nur eine Gelegenheit zur Aussprache oder Rechtfertigung zu gewähren. Auch das in treuer Befolgung der Encyklika Singulari Quadam an den heiligen Vater durch die Bischöfe gerichtete Schreiben, das der ganze Verbandsvorstand unterschrieben hat[,] wurde zurückgehalten und nicht an den heiligen Vater weitergereicht.
Das geschah zur grössten Bestürzung aller Gutgesinnter in Deutschland und in anderen Ländern. Das Erschrecken besonders der katholischen Arbeiter, die, bisher auf das Geheiss und den Segen ihrer Bischöfe und des Papstes bauend, einen heldenmütigen Kampf für die katholischen Gewerkschaften fast bis zum Martyrium bestanden hatten war gross; es war auch gefährlich, wie aus den mir damals zugegangenen schriftlichen Äusserungen der Priester und der Arbeiter hervorgeht. Ein Flugblatt "Betrogene Arbeiter" gab dieser Stimmung besonders krassen Ausdruck. Es blieb mir, um nicht die kirchliche Autorität, besonders Ew. Eminenz in der Öffentlichkeit schädigen zu lassen, nichts anders übrig als zu schweigen auch bei Gefahr der Missdeutung dieses meines Schweigens zu meinen Ungunsten, was auch später der Fall geworden. Ich musste deshalb mein von Cardinal Dr. Kopp mir im Jahre 1900 auferlegtes Amt am 24. Oktober 1919 niederlegen, das ich 19 Jahre lang im Dienste der Kirche und unter den schrecklichsten Verfolgungen seitens des opportunistisch gerichteten Teiles den deutschen Katholiken wahr genommen hatte. Da dieses katholische Werk seinem Wesen nach aus
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dem Gehorsam gegen die Kirche aufgebaut war, musste es auch so zu Ende gehen und im Gehorsam sterben. Ich bedauere keine Stunde meines Lebens, die ich diesem schönen katholischen Werke gewidmet habe, eine jede derselben ist mir ein Unterpfand himmlischen Segens; aber ich bedauere die Stunde, wo Ew. Eminenz, irregeführt durch Abtrünnige, den Untergang der katholischen Gewerkschaften erzwungen haben.
In welcher Form dieses Unrecht einigermassen wieder gut gemacht werden kann will ich dem Gerechtigkeitssinn und der väterlichen Liebe Ew. Eminenz überlassen.
Das andere Unrecht, das mir durch das Eingreifen Ew. Eminenz zugefügt wurde ist materieller finanzieller Art. Ew. Eminenz ist es bewusst, dass Sie durch Ihr autoritatives Eingreifen meinen Pensionierungsfall erzwungen haben. Weder der Verband, noch seine massgebenden Instanzen haben diesen Fall gewollt; er folgte gegen deren Willen.
Der Verband ist aber nicht im Stande, die mir durch das Eingreifen Ew. Eminenz zugefügte materielle Schädigung zu tragen weil:
a) nicht er, sondern Ew. Eminenz die Schuld trägt an der Herbeiführung des Falles meiner Pensionierung,
b) der Verband jetzt ohne finanzielle Mittel dasteht, ja durch das Eingreifen Ew. Eminenz sein Vermögen und seine bisherigen Mitgliederbeiträge fast vollständig verlor,
c) weil während meiner Amtszeit der jedesmalige Bischof von Breslau, auch Ew. Eminenz, mit jährlich 2000 Mark an meiner Gehaltszahlung beteiligt war.
Meine Bitte an Ew. Eminenz geht nun dahin, die mir durch Ihr autoritatives Eingreifen entstandenen finanziellen Schädigungen
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zu ersetzen und zwar
a) durch Zahlung einer angemessenen Pension für die Zeit vom 1. Januar 1921 bis zum 1. Oktober 1922, wo ich durch die Gnade meines Ordinarius, des hochwürdigsten Herrn Bischofs Dr. Nommesch in Luxemburg eine Anstellung als Pfarrer erhielt.
b) durch Zahlung desjenigen Gehaltsanteils, der mir im Gegensatz zu meinen Altersgenossen in der Heimat von meinen Gehalt alljährlich verloren geht, d.h. jährlich rund 1330 Luxemburger Franken, d.h. belgische; ich muss vom Staate, als dem Gehaltszahler, wie ein eben neu angestellter Seelsorgsgeistlicher sowohl in Gehalt als in Pension behandelt werden.
c) die Zusicherung, dass mir im Fall meiner Invalidität nach Luxemburger Gesetzen von der Bistumshauptkasse in Breslau meine jährliche Luxemburger Pension in Luxemburger Währung gezahlt werde.
Diese beiden Bitten richte ich ehrerbietigst an Ew. Eminenz und erwarte deren Erfüllung von dem Gerechtigkeitssinn und von der väterlichen Liebe Ew. Eminenz. Ich stehe auch heute noch auf dem Standpunkte meines Schreibens vom 11. Oktober 1921 an Ew. Eminenz, wo ich schrieb: Ich weiss, dass innerhalb der katholischen Kirche es nicht zugelassen wird, dass gegen einen Priester, der wegen seiner kirchlichen Treue und wegen seiner in dieser Hinsicht getätigten Arbeits- und Opferwilligkeit, vom Papste Pius X. und von einer Reihe von deutschen Bischöfen öffentlich gelobt und ständig ermuntert wurde, nicht so gehandelt werden darf, wie es mir gegenüber bis heute durch Ew. Eminenz geschehen ist.
In grösster Ehrerbietung
Ew. Eminenz
ergebenster
Fournelle
Dieses Schreiben ist eine Anlage zu Dokument Nr. 13017.
1"des Kanonischen" hds. hinzugefügt.
2"das in der Anlage 1 Dargelegte" hds. gestrichen.
3Am linken Seitenrand hds. hinzugefügt: "Siehe Beilage IV".
Empfohlene Zitierweise
Fournelle, Heinrich an Bertram, Adolf Johannes vom 17. März 1923, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 13658, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/13658. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 23.07.2014, letzte Änderung am 01.09.2016.