Dokument-Nr. 975
Boelitz, Otto an Pacelli, Eugenio
Berlin, 27. September 1922

Abschrift
Exzellenz
Euerer Exzellenz beehre ich mich den Empfang des gefälligen Schreibens vom 30. Juni d. Js. zu bestätigen. Die darin gestellten Fragen geben mir willkommene Gelegenheit, die Ausführungen meines Schreibens vom 28. April d. Js. näher zu erläutern, wobei ich im Sinne der auch von Eurer Exzellenz betonten praktischen Gesichtspunkte von grundlegenden theoretischen Erörterungen – unter Wahrung des Standpunktes der Preußischen Staatsregierung – gern absehe.
In dem Schreiben vom 28. April d. Js. hatte ich mich auf die Behandlung eines Teils der Euerer Exzellenz von Herrn Kardinal-Fürstbischof von Breslau vorgetragenen Wünsche beschränkt. Es geschah dies, soweit es sich um die Besetzung der bischöflichen Stühle, Dompropsteien und Kanonikate handelte, um der von mir zugesicherten, auch von Eurer Exzellenz im Schreiben vom 26. Februar d. Js. als dringlich behandelten Neuregelung so schnell wie möglich näher treten zu können. Die hierdurch veranlaßte Erörterung ist erweitert worden durch Einbeziehung derjenigen Gesichtspunkte, die für eine zeitgemäße und der Reichsverfassung Rechnung tragende Abänderung des Gesetzes über die Anstellung und Vorbildung der Geistlichen maßgebend sind. Wegen dieser Fragen unmittelbar Verbindung mit dem Heiligen Stuhl zu suchen, veranlaßte mich der Umstand, daß in dem vorerwähnten Schreiben des Herrn Kardinal-Fürstbischofs eine solche unmittelbare Verhandlung mit dem Heiligen Stuhle nahe gelegt war, währen der Gedanke, die staatlichen Interessen durch Verbindung mit der Pfarrbesoldung sicher zu stellen, als unerwünscht bezeichnet war. Es kommt hinzu, daß die Bestimmungen gerade dieses Gesetzes bereits einmal
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Gegenstand diplomatischer Erörterungen gewesen sind, indem der Kardinal-Staatssekretär Jakobini durch die Note vom 4. April 1886 die Erfüllung der in dem Gesetze vorgesehenen sogenannten Anzeigepflicht zusagte.
Die baldige glückliche Beendigung der über die Anstellung und Vorbildung der geistlichen eingeleiteten Verhandlungen möchte ich besonders deshalb wünschen, weil ich alsdann die Möglichkeit habe, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Aufhebung oder zeitgemäße Aenderung aller kirchenpolitischen Gesetze aus der Zeit des sogenannten Kulturkampfes vorsieht. Mit der Annahme eines solchen Gesetzes wäre in bedeutsamer Weise den Wünschen der katholischen Kirche entgegen gekommen und ihre Stellung zum preußischen Staat klargestellt. Außer dem Gesetze über Anstellung und Vorbildung der Geistlichen handelt es sich dabei um folgende Gesetze nebst ihren nachträglichen Abänderungen:
1) Das Gesetz über die kirchliche Disziplinargewalt vom 12. Mai 1873,
2) das Gesetz über die Grenzen des Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel vom 13. Mai 1873,
3) das Gesetz über die Verwaltung erledigter katholischer Bistümer vom 20. Mai 1874,
4) das Gesetz betreffend die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche vom 31. Mai 1875,
5) das Gesetz über die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden vom 20. Juni 1875,
6) das Gesetz, betreffend die Rechte der altkatholischen Kirchengemeinschaften an dem kirchlichen Vermögen, vom 4. Juni 1875,
7) das Gesetz über die Aufsichtsrechte des Staates bei der Vermögensverwaltung in den katholischen Diözesen vom 7. Juni 1876.
Bei der Erörterung dieser Gesetze mit dem preußischen Episkopat ist ein erfreuliches Einverständnis erzielt und ich gebe gern Auskunft über den Stand dieser Fragen.
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Der Entwurf eines Gesetzes über die Abänderung der 4 erstgenannten Gesetze, der im wesentlichen die Aufhebung dieser Gesetze vorsieht, ist dem preußischen Staatsministerium zugegangen. Ueber die Abänderung der zu 5 und 7 genannten Gesetze ist, wie in dem Schreiben des Herrn Kardinal-Fürstbischofs bemerkt ist, bereits eine vorbereitende Verständigung erreicht worden. Die Aenderungen zielen darauf ab, der katholischen Kirche das erwünschte Maß von Freiheit und Selbständigkeit in der Regelung und Verwaltung ihrer Vermögensverhältnisse zu verschaffen, während andererseits der Kirche die bewährte Ordnung und die äußere Form für eine gesicherte Vermögensverwaltung erhalten bleibt, und der Staat ihr auch fernerhin seine Zwangsmittel zur Verfügung stellt. – Zu dem zu 6 genannten Gesetze beabsichtige ich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der es für die Zukunft außer Kraft setzt. Bezüglich der auf Grund der §§ 2, 4 und 6 dieses Gesetzes einzelnen altkatholischen Gemeinschaften bisher eingeräumten Gebrauchs- und Benutzungsrechte an kirchlichen Vermögensgegenständen hat der Herr Kardinal-Fürstbischof bereits bezeugt, daß in Einzelfällen die Rückgabe von Gebäuden, die dem katholischen Kultus dienten, an die katholische Kirche bereits erfolgt ist. Ich werde auf Anregung in den wenigen noch übrigen Fällen gern prüfen, ob im Einvernehmen mit den Beteiligten in gleicher Weise vorgegangen werden kann.
Die übrigen in dem erwähnten Schreiben des Herrn Kardinal-Fürstbischofs erörterten Punkte berühren nicht solche Gegenstände, die durch einen der Abänderung der Kulturkampfgesetzgebung dienenden gesetzgeberischen Akt zu behandeln wären. Ich möchte also im Interesse des schnelleren Zustandekommens der erwähnten Gesetzentwürfe ganz ergebendst bitten, <[ein Wort unlesbar] hier berührten Fragen in diesem Zusammenhange>1 von einer gleichzeitigen Erledigung absehen zu wollen. Diese Fragen werden, daran zweifle ich nicht, von der Preußischen Staatsregierung mit demjenigen Ernst und Verständnis
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behandelt werden, welche die Rücksicht auf die Bedeutung der katholischen Kirche erfordert. Nur bei zwei Punkten scheint mir ein enger Zusammenhang mit dem Gegenstand dieser Erörterung zu bestehen.
Das patronatliche ius praesentandi ist nach den bei Beratung der Reichsverfassung gepflogenen Erörterungen durch die Reichsverfassung nicht berührt worden. Die Frage, ob und inwieweit der Staat hier die ihm zustehenden Rechte abändern kann, ohne seine Verpflichtungen einzustellen, wird von mir geprüft.
Die in den verschiedenen Bullen vorgesehen Dotationen sind bei den darin enthaltenen Besoldungen in gleicher Weise, wie es für die preußischen Beamten geschehen ist, dem sinkenden Geldwert dauernd angepasst worden. Auch für die übrigen Diözesanbedürfnisse ist der preußische Staat, soweit der Ertrag kirchlicher Steuern und anderer Einnahmen nicht ausreichten, in erhöhtem Maße eingetreten. Ich habe die Zuversicht, daß die Ordnung dieser Verhältnisse bei etwaigen weiterem Sinken des Geldwertes in gleicher Weise fortgesetzt werden wird, wie den der preußische Staat auch die Staatsrente für die Besoldung der katholischen Geistlichen auf rd. 139 Millionen Mark erhöht hat und Staatsvorschüsse nach einem Jahresbetrage von mehr als 1 Milliarde Mark gibt. Andererseits aber glaube ich, daß bei der außerordentlichen, auf die Etats der Länder zurückwirkenden Belastung Deutschlands mit Zahlungen an das Ausland, bei der Erschütterung des Geldwertes und bei der durch die Reichsverfassung begründeten Zuständigkeit des Reiches zur Aufstellung von Grundsätzen für eine etwaige Ablösung gegenwärtig nicht der geeignete Zeitpunkt sein würde, um zu einer zahlenmäßig festgelegten, auf die Dauer berechneten Neuregelung der Dotationsfrage zu gelangen.
Gestatten Euerer Exzellenz den Ausdruck meiner besonderen Verehrung, womit ich die Ehre habe zu sein
Euerer Exzellenz
ergebenster
gez. Boelitz.
Preußischer Minister für Wirtschaft, Kunst und Volksbildung
Die lateinische Übersetzung dieses Schreiben finden Sie unter Dokument Nr. 11045.
1Hds. eingefügt von unbekannter Hand, vermutlich vom Verfasser.
Empfohlene Zitierweise
Boelitz, Otto an Pacelli, Eugenio vom 27. September 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 975, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/975. Letzter Zugriff am: 28.03.2024.
Online seit 24.10.2013.