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Die Regierung des Großherzogtums Hessen übte von 1806 bis 1918 maßgeblichen Einfluss
auf die Besetzung von Benefizien aus. Die Landesherrliche Verordnung vom 30. Januar
1830 begründete ein aus der Staatshoheit abgeleitetes allgemeines Staatspatronat. Diesem
entsprechend etablierte die Regierungsverordnung vom 8. Februar 1830 nicht nur ein
staatliches Präsentations-, sondern sogar ein Verleihungsrecht. Dem Bischof von Mainz
hingegen kam lediglich ein Vorschlagsrecht zu. Im Nachgang der Revolution von 1848/49 konnte
die katholische Kirche im Großherzogtum dem Staat in der Frage der Besetzung der Benefizien
Zugeständnisse abringen. Die Übereinkunft vom 23. August 1854 gestattete dem Bischof,
selbstständig Pfarrstellen zu besetzen, verpflichtete ihn jedoch dazu, seine Entscheidung
der Regierung vor der Besetzung anzuzeigen. Die Vereinbarung galt allerdings weder für
Patronatspfarreien, die durch besondere kanonische Rechtstitel begründet waren, noch für die
Pfarreien von Darmstadt und Gießen. 1866 wurde die Übereinkunft aufgehoben, aber de facto
weiter angewandt. Dies änderte sich im Kulturkampf. Das Gesetz betreffend die Vorbildung und
Anstellung der Geistlichen vom 23. April 1875 legte die Entscheidungsgewalt über die
Anstellung von Geistlichen wieder in die Hand der Regierung. Der Abbau der
Kulturkampfgesetzgebung brachte der Kirche auch im Großherzogtum wieder größere Spielräume.
Das Gesetz vom 5. Juli 1887 über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen bestand
aber weiter auf eine Anzeigepflicht bei der Regierung. Erst Artikel 137 der Weimarer
Reichsverfassung beseitigte diese Anzeigepflicht. Artikel 63 der hessischen Verfassung
vom 12. Dezember 1919 hob zudem die landes-, standes- und grundherrlichen Patronaten
auf. Mit dem Gesetz vom 22. Juni 1923 endeten schließlich auch die
Privatpatronate.
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Besetzung von Benefizien in Hessen
Sources
Landesherrliche Verordnung vom 30.Januar 1830; Schlagwort Nr. 3344.
Vorläufige Übereinkunft zwischen der Großherzoglich-Hessischen Regierung und dem
Bischof von Mainz vom 23. August 1854, in: HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang
(Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des
deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des
Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848-1890, Berlin 21990 ND
Darmstadt 2014, Nr. 122, S. 274-278.
Gesetz, betreffend die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, vom 23. April
1875, in: HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und
20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts,
Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des
Kulturkampfs 1848-1890, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 351,
S. 755-758.
Gesetz, die Vorbildung und Anstellung der geistlichen betreffend, vom 5. Juli
1887, in: HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und
20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts,
Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des
Kulturkampfs 1848-1890, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr.44,
S. 924-927.
Weimarer Reichsverfassung, Artikel 137; Schlagwort
Nr. 25002.
Hessische Verfassung vom 12. Dezember 1919, Artikel 63, in: WITTRECK, Fabian
(Hg.), Weimarer Landesverfassungen. Die Verfassungsurkunden der deutschen Freistaaten
1918-1933, Tübingen 2004, S. 252-264, hier 263.
Bibliography
MAY, Georg, Geistliche Ämter und kirchliche Strukturen im 19. und
20. Jahrhundert, in: JÜRGENSMEIER, Friedhelm (Hg.), Handbuch der Mainzer
Kirchengeschichte, Bd. 3: Neuzeit und Moderne, Bd. 2 (Beiträge zur Mainzer
Kirchengeschichte 6), Würzburg 2002, S. 1313-1340, hier 1333-1340.
Recommended quotation
Besetzung von Benefizien in Hessen, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', keyword no. 1607, URL: www.pacelli-edition.de/en/Keyword/1607. Last access: 19-06-2025.